Albumcover «So» © universal music

«Solsbury hill» von Peter Gabriel Songs und ihre Geschichten

Als Genesis-Mitbegründer machte Peter Gabriel den Prog Rock massentauglich, als Solokünstler legte er mit noch grösseren Erfolgen nach. Er schrieb Welthits wie «Solsbury Hill», «Biko» und «Sledgehammer» und war Wegbereiter der Worldmusic. Der Sänger und Multiinstrumentalist ist nicht nur Musiker, Texter, Komponist und Videokünstler, sondern auch politischer Aktivist.

Text: Urs Musfeld

Ende der 1960er-, anfangs der 1970er-Jahre haben englische Bands wie King Crimson, Yes oder Genesis den Progressive Rock oder Prog Rock, Art Rock, wie er später genannt wird, populär gemacht. Eine experimentelle Abwandlung des klassischen Rock, eine Abkehr vom traditionellen Songschema. Die Stücke werden länger und komplexer, die Instrumentierungen und Arrangements anspruchsvoller. Prog Rock basiert auf der Verschmelzung von Genres und Stilen – darunter Klassik und Jazz.

1967 gründet der 17-jährige Peter Gabriel im britischen Surrey mit Mike Rutherford und Tony Banks und zwei weiteren Schulfreunden Genesis. Sie spielen in ihrer ersten Phase (1967-1974) verschachtelte, zuweilen skurril und esoterisch anmutende Songs, vorgetragen von Gabriel. Mal singt er wie ein krächzender Rabe und dann wie ein jungenhafter Sopranist. Er schreibt mystische, aber auch sarkastische und humorvolle Texte und leitet die Songs bei Konzerten mit irren Geschichten ein.

Gabriel hat Sinn für das Theatralische, überrascht immer wieder das Publikum und auch seine Band mit ausgefallenen Outfits: Im roten Designer Kleid und mit Fuchsmaske, im Ganzkörperanzug mit riesigen Beulen, als Blume, in einem durchsichtigen Ballon oder als Monster.

Mit seinen extravaganten Shows und seiner überdrehten Schauspielerei zieht er auf die Dauer aber so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass die übrigen Mitglieder von Genesis sich in den Hintergrund gedrängt fühlen.

Ausstieg und Neuanfang

Unterschiedliche, musikalische Auffassungen führen zu zusätzlichen Spannungen. Trotz des Erfolgs des Konzeptalbums «The Lamb Lies Down On Broadway» (1974) verlässt Gabriel nach der Welttournee 1975 die Band. «Ich wollte mein Leben ändern.» Der Rock-Zirkus war ihm «weniger interessant» geworden, «es gab keine Risiken mehr». In den Kommerz-Höhen der Supergruppe Genesis fühlt er sich «entmenschlicht». «Als Individuum wollte ich wirklich nicht so weitermachen. Das wird ein Lebensstil.» 

Er zieht sich ins englische Bath zurück und widmet sich seiner Familie. Daneben arbeitet er im Garten und befasst sich mit Weltmusik, Religionen und Psychologie.

1977 erscheint sein Solo-Debut «Peter Gabriel 1» – wegen des Covers von seinen Fans auch «Car» genannt. Es zeigt die Bandbreite von Gabriels Talenten und Einflüssen und setzt verstärkt auf Synthesizer und Piano.

Herzstück des Albums ist sein erster Single-Hit «Solsbury Hill». Darin verarbeitet Gabriel die Angst vor der ungewissen Zukunft und den unvermeidlichen Ausstieg bei Genesis. Oder in den Worten von Peter Gabriel: «Es geht um die Bereitschaft, zu verlieren, was du hast, und was du dafür bekommen könntest. … Es geht darum, loszulassen». 

Ein junger Mann besteigt den berühmten Hügel oberhalb Bath im Südwesten Englands und macht eine spirituelle Erfahrung: 

Climbing up on Solsbury Hill
I could see the city light
Wind was blowing, time stood still
Eagle flew out of the night

Als ich auf den Solsbury Hill stieg
Konnte ich die Lichter der Stadt sehen
Der Wind wehte, die Zeit stand still
Ein Adler flog hinaus in die Nacht

He was something to observe
Came in close, I heard a voice
Standing, stretching every nerve
I had to listen, had no choice

Er wollte etwas beobachten
Als er näher kam, hörte ich eine Stimme
Und ich stand da, jeder Nerv angespannt
Ich musste zuhören, ich hatte keine Wahl

I did not believe the information
Just had to trust imagination
My heart going Boom-boom-boom
«Son», he said
«Grab your things, I’ve come to take you home»

Ich konnte die Nachricht nicht glauben
Ich konnte nur meiner Vorstellungskraft vertrauen
Mein Herz schlug bumm bumm bumm
«Junge», sagte er, «hol deine Sachen
Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu bringen»

To keep in silence I resigned
My friends would think I was a nut
Turning water into wine
Open doors would soon be shut

Um zu schweigen, zog ich mich zurück
Meine Freunde würden denken, ich wäre ein Spinner
Wenn ich Wasser in Wein verwandelte
Würden offene Türen bald geschlossen

Das biblische Zitat «Wasser in Wein verwandeln» würde zur These passen, dass der Song von Gabriels Ausstieg bei Genesis spricht. Schliesslich hat er manchmal «den Jesus gegeben» – wie im 23-minütigen Stück «Supper’s ready» vom 1972er-Album «Foxtrot»: 

Ein Engel steht in der Sonne, und ruft mit lauter Stimme «Das ist das Abendessen der Mächtigen» / Herr der Herren / Er ist zurückgekehrt, um seine Kinder nach Hause zu führen / Um sie in ein neues Jerusalem zu bringen.

Vielleicht auch ein Kommentar zu den schrägen Kostümierungen seiner Genesis Zeit.

So I went from day to day
Though my life was in a rut
‹Til I thought of what I’d say
Which connection I should cut

Also lebte ich von Tag zu Tag
Obwohl mein Leben dem gewohnten Trott folgte
Bis ich daran dachte, was ich gesagt hatte
Welche Verbindung ich lösen sollte

I was feeling part of the scenery
I walked right out of the machinery

Ich fühlte mich als Teil der Kulisse
Ich ließ die Maschinerie hinter mir

When illusion spin her net
I’m never where I wanna be
And liberty, she pirouette
When I think that I am free

Wenn die Illusion ihr Netz spinnt
Bin ich nie da, wo ich sein will
Und die Freiheit dreht ihre Pirouette
Wenn ich denke, dass ich frei bin

Watched by empty silhouettes
Who close their eyes but still can see
No one taught them etiquette
I will show another me

Beobachtet von leeren Silhouetten
Die ihre Augen schliessen und trotzdem sehen können
Niemand hat ihnen Anstandsregeln beigebracht
Ich werde ein anderes Gesicht von mir zeigen

Today I don’t need a replacement
I’ll tell them what the smile on my face meant

Heute brauche ich niemanden, der mich ersetzt
Ich werde ihnen sagen, was das Lächeln auf meinem Gesicht bedeutet hat

«Solsbury Hill» besticht durch seine Mischung aus Folk und Prog Rock, seine verwunschene Melodie und die verträumte Stimmung. Der Song startet mit einer akustischen Gitarre, für den Rhythmus sorgen statt einem herkömmlichen Schlagzeug überwiegend Rassel und Trommelschlägel, die ein Telefonbuch bearbeiten.

Im Laufe seiner Solokarriere wird Peter Gabriel zu einem der innovativsten Popmusiker der 1980er Jahre. Die Beschäftigung mit afrikanischen Sounds führt zu einer Auseinandersetzung mit Menschenrechtsfragen. Mit seinem Song «Biko» (1980) prangert Gabriel die Ermordung des gleichnamigen südafrikanischen Bürgerrechtlers an und wird damit zu einer gewichtigen Stimme der Anti-Apartheid-Bewegung in der Popmusik.

Er wird Aktivist bei Amnesty International, ruft 1982 die WOMAD-Festivals ins Leben, bei denen Musik, Kunst und Tanz aus verschieden Kulturen aufgeführt werden. 1989 gründet er das Plattenlabel Real World, um Musiker*innen von Afrika bis Asien, von Osteuropa bis Lateinamerika zu fördern, mit ihnen zu spielen und sie zu produzieren.

Mit dem fünften Album «So» gelingt Peter Gabriel 1986 der Sprung an die Spitze der Charts und der kommerzielle Durchbruch. Die Single-Auskopplung «Sledgehammer» wird zu seinem grössten Hit. Eine Hommage an die Soulmusik der 1960er-Jahre mit witzigen sexuellen Anspielungen. 

Das dazugehörige Video setzt neue Massstäbe und gewinnt zahlreiche Preise. Mit Spezialeffekten und Knet-Animationen werden Gemüse und Gemälde zum Leben erweckt, tanzend und singend. Muntere Spermien schlängeln sich durchs Bild. Eine Modeleisenbahn saust rund um Gabriels raffiniert verfremdeten Schädel.

«Sledgehammer» zeigt, dass für Peter Gabriel die visuelle Inszenierung seiner Kunst immer genau so wichtig ist, wie das Schreiben von Songs, das Komponieren von Musik und das Experimentieren mit Sounds. Immer ganz vorne dabei, wenn es darum geht, die Möglichkeiten des Multimedia-Zeitalters zu nutzen (z.B. Musik für Computerspiele).

Die schon für Genesis legendären Bühnenshows baut Gabriel während seiner Solo-Karriere weiter aus.

Im Mai geht der 73-jährige Musiker auf eine Europa- und anschliessende Amerika-Tour. Am 8. Juli tritt er im Hallenstadion in Zürich auf. Und auch in diesem Jahr erscheint «i/o», das erste Album mit neuen Songs seit «Up» vor 21 Jahren.


Urs Musfeld alias Musi

Portrait von Urs Musfeld

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/

Beitrag vom 23.03.2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Musik

«Phantom of the Opera»

Die Musik ist unvergesslich – und das Stück dazu das wohl berühmteste und beliebteste Musical weltweit: «Phantom of the Opera».

Musik

Unvergessliche Soundtracks im KKL

Erleben Sie mit dem 21st Century Orchestra & Chorus Gänsehaut-Momente beim Live-Filmmusik-Konzert «EPIC» im KKL Luzern.

Musik

«Sweet dreams (are made of this)» von Eurythmics

Eurythmics waren das erfolgreichste gemischte Doppel der 1980er-Jahre: Annie Lennox und Dave Stewart prägten mit ihrem schillernden Synthie-Pop die Dekade nachhaltig mit. Zu ihren grössten Hits gehören u.a. «Sweet dreams (are made of this)», «Who’s that girl?» und «There must be an angel»..

Musik

«O, Superman» von Laurie Anderson

Laurie Anderson, die amerikanische Multimedia-Pionierin, hat das einzigartige Talent, Performance, Text, Theater, Film, Musik, Bildende Kunst und neue Medien zu einem homogenen Ganzen zu verschmelzen. Weltweit bekannt wurde ihre Stimme 1981 durch ihr Lied «O Superman».