Ist man je zu alt für Karate? Eigentlich nicht, findet Charly Bicker. Schliesslich gehe es bei der fernöstlichen Kampfkunst nicht ums Dreinschlagen, sondern um den Respekt vor dem Gegenüber und vor sich selbst. Der 74-Jährige trägt den schwarzen Gürtel und hat zusammen mit Pro Senectute Nidwalden einen Kurs für Interessierte organisiert.
Text: Annegret Honegger; Fotos: Markus Forte
Wird Charly Bicker im Zug angepöbelt, bleibt er gelassen. Der Bart des 74-Jährigen ist zwar grau, aber sein Gürtel schwarz. Der Stanser ist seit 25 Jahren Schwarzgurtträger im Karate und trainiert mehrmals pro Woche. Dank seiner Erfahrung kann er heikle Situationen beruhigen und lässt sich nicht provozieren.
Karate mit über siebzig? Das mag erstaunen, wenn man sich darunter Filmszenen mit wilden Schlägereien vorstellt. Doch die traditionelle Kampfkunst aus Asien sei weit mehr, erklärt Charly Bicker: «Es geht um Fitness, Beweglichkeit, Gleichgewicht, Haltung, Reaktion und Konzentration – genau die Punkte, die der Hausarzt anspricht, wenn man älter wird.»
Seit dem Frühjahr trainiert er im Pro-Senectute-Kurs drei Frauen und drei Männer. Die Lektion beginnt mit einer Verbeugung. Auch vor und nach jeder Übung verneigt man sich, um dem Gegenüber seinen Respekt zu bekunden. Stehen und Gehen, Schlagen und Schläge abwehren sind die grundlegenden Techniken, die die Einsteigerinnen und Einsteiger zuerst lernen. Körper und Gehirn sind gefordert, denn die Abläufe mit Fäusten und Füssen sind ungewohnt. «Am Anfang muss man alte Bewegungsmuster loslassen und neue einüben», erklärt Charly Bicker. «Das ist anspruchsvoll – in jedem Alter.»
Ebenso wichtig wie die Technik ist das Timing: «Versucht, euren Gegner oder eure Gegnerin zu lesen, um nicht zu früh oder zu spät zu reagieren.» Karate habe nichts mit Härte zu tun, sondern mit Lockerheit und Effizienz: «Jede Bewegung hat eine Absicht und ein Ziel.»
Schläge mit den Fäusten, Abwehr mit den Armen, Kicks mit den Füssen, Drehen auf den Fersen – bald brennen die Muskeln, die Köpfe rauchen. Im Hirn vernetzen sich in den zwei Kursstunden unzählige Nervenzellen. «Nach dem Training schlafe ich jeweils sehr gut», sagt Esther nach der Schlussverneigung lachend. «Fürs Altersturnen sind wir noch zu jung, für Yoga mit Jüngeren schon zu alt. Karate ist genau richtig», findet ihre Kollegin Silvia.
Ueli und Oskar sind ebenfalls gefordert: «Wir merken, dass wir heute üben müssen, was früher in Sachen Beweglichkeit, Gleichgewicht und Koordination selbstverständlich klappte.» Ilona wünscht sich vom Training mehr Energie: «Ich kenne Karate von früher und möchte nach einer gesundheitlich schwierigen Zeit wieder mehr Bewegung in mein Leben bringen.»
Der Kursleiter hofft, dass seine Teilnehmenden im Karate Freude an der Bewegung und Selbstvertrauen gewinnen – im Wissen um die eigenen Grenzen und trotz allfälliger Einschränkungen, die im Alter oft dazugehörten: «Es geht nicht ums Siegen, sondern darum, für sich selbst etwas zu gewinnen.»
Übermütige Jugendliche in der Region Stans seien hiermit gewarnt: Das Gegenüber im Zug kann möglicherweise Karate … Und auch wer graue Haare hat, trägt vielleicht den schwarzen Gürtel!
Karate bei Pro Senectute Nidwalden
Karate hilft, die Beweglichkeit zu steigern und lehrt die Teilnehmenden, das Gleichgewicht zu finden oder Unsicherheit zu überwinden. Männer und Frauen trainieren gemeinsam. Der Kurs findet jeweils am Mittwochnachmittag in der Turnhalle der Heilpädagogischen Schule Stans statt unter der Leitung von Charly Bicker, 5. Dan Seishin Ryu Jitsu. Interessierte sind willkommen. Der Kurs dauert noch bis am 24. Mai und geht nach der Sommerpause weiter.
Angebote in Ihrer Nähe finden Sie bei Pro Senectute in Ihrer Region. Sämtliche Adressen finden Sie auf prosenectute.ch
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