Computeranimierte Welten gegen Schmerzen und Ängste, digitale Assistenten bei Operationen. In Spitälern wird künstliche Intelligenz bereits breit eingesetzt. Sie wird die Zukunft der Medizin stark prägen.
Text: Roland Grüter
In Schweizer Spitälern findet seit Jahren eine stille Revolution statt. Fast in allen grösseren Kantons- und Unispitälern kommen mittlerweile Programme zum Einsatz, die auf künstliche Intelligenz bauen. Ganzkörperscanner erfassen autonom Hautkrankheiten, Apps erkennen, ob Husten auf eine ernstzunehmende Lungenkrankheit zurückgeht. Noch sind viele Fragen ungeklärt, wie weit die digitale Medizin dereinst gehen darf. Doch aufhalten lässt sich die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung wohl nicht. Vor allem «Virtual Reality» (VR) und «Augmented Reality» (AR, Erklärungen siehe Kasten) werden von Kliniken und anderen medizinischen Instituten bereits breit genutzt. Ein paar Beispiele, wofür diese nützlich sind:
Virtuelle Ablenkung statt Schmerzmedikamente
Gegen Schmerzen: Virtual-Reality-Technologien gelten als erprobtes Mittel gegen Schmerzen. Eine Pilotstudie unter der Leitung des Universitären Notfallzentrums des Berner Inselspitals und der Universität Bern hat erwiesen, dass sie sich sogar auf Notfallstationen bewähren. Probandinnen und Probanden litten allesamt unter Schmerzen, deren Stärke sie auf einer Zehn-Punkte-Skala mit drei oder höher eingestuft hatten. Sie erhielten auf der Notfallstation des Inselspitals VR-Brillen aufgesetzt, die sie in virtuelle Welten führten, etwa auf Spaziergänge durch den Wald. Dadurch verminderten sich die Schmerzen merkbar. Forscher vermuten, dass die Erlebnisse in der anderen Realität dermassen ablenken, dass Betroffene ihre Schmerzen weniger stark wahrnehmen. An die Wirkkraft der virtuellen Analgetika glaubt offenbar auch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA. Sie hat VR-Anwendungen offiziell als Therapie gegen Rückenschmerzen zugelassen.
Digitale Realitäten
Virtuelle Realität (Virtual Reality, VR) ist eine computergenerierte Wirklichkeit. Die erschaffenen, dreidimensionalen Welten wirken erstaunlich echt und werden mitunter über Video- respektive VR-Brillen übertragen. Augmented Reality (AR) wiederum bedeutet so viel wie «erweiterte Realität». Darin wird die reale Welt mit digitalen Elementen ergänzt, etwa mit dreidimensionalen Ansichten eines Gelenks – auf einem Bildschirm oder in einer Brille, vor den Augen des Betrachters.
Für die Rehabilitation von Querschnittgelähmten: Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU setzt VR-Brillen im Kampf gegen chronische neuropathische Schmerzen ein – aber auch, um Angst, Depressionen und andere negativen Emotionen zu mildern. Die Wirkung wurde in Testreihen nachgewiesen. Darüber hinaus hilft ein VR-Projekt Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern, mit Hindernissen im städtischen Umfeld besser umzugehen. «Die Ergebnisse unserer Studien zeigen, dass Virtual Reality ein wirkungsvolles Hilfsmittel in der Rehabilitation von Querschnittgelähmten sein könnte – doch sind weitere Forschungen nötig, um deren vielfältige Möglichkeiten effizient zu nutzen», sagt Stefan Stalder, Leiter Digitalisierung, Innovation und Transformation am Schweizer Paraplegiker-Zentrum.
In der Psychotherapie: Virtual Reality ist auch in der Psychotherapie angekommen. Ausgestattet mit einer VR-Brille begeben sich beispielsweise Patientinnen und Patienten mit psychischen Störungen – unter Aufsicht ihrer Therapeutinnen und Therapeuten – in eine virtuelle Welt, um Phobien, Traumata oder Essstörungen zu bekämpfen. Ein Vorteil: Virtuelle Welten lassen sich punktgenau kontrollieren.
Hightech misst den Puls
Zur Überwachung von Grundfunktionen: Im Universitätsspital Basel kommen mobile Sensoren zum Einsatz, die bei Patientinnen und Patienten automatisiert Herz- und Atemfrequenz und andere körperliche Grundfunktionen überwachen. Wie das funktioniert? Die Menschen tragen ein Messgerät auf sich. Nähern sie sich sogenannten «Cisco Access Points», werden die Daten eruiert und innerhalb des sicheren Krankenhaus- Netzwerkes übermittelt. «Die alternde Bevölkerung und die damit einhergehende Zunahme chronischer Krankheiten sowie der Personalmangel belasten zunehmend das Gesundheitssystem», sind sich die Initianten dieser Technik sicher: «Digitale Lösungen können die Effizienz verbessern und der Misere in Spitälern Abhilfe schaffen.» Der Einsatz von mobilen Sensoren – und anderen sogenannten Wearables – spielt dabei eine wichtige Rolle.
Bei Operationen: Augmented-Reality-Brillen legen virtuelle Bilder oder Informationen über die «echte Welt». An der Universitätsklinik Balgrist in Zürich sondieren Fachleute aus Forschung, Ingenieurwesen und Chirurgie seit Jahren, wie sich Augmented Reality bei Wirbelsäuleneingriffen nutzen lässt. Im Dezember 2020 fand dort denn auch bereits die erste holografisch navigierte Operation statt. Die AR-Navigationssoftware führt dabei durch jeden Operationsschritt, stellt Gelenke dreidimensional dar oder zeigt millimetergenau an, wo und in welchem Winkel eine Schraube gesetzt werden sollte.
Im Medizinstudium: Medizinstudentinnen und -studenten werden mittels VR-Methoden in die Chirurgie eingeführt. Sie können chirurgische Eingriffe lebensecht simulieren, 3-D-Modelle von Skeletten, Blutgefässen oder Organen studieren, simple Tätigkeiten wie Blutabnahmen und chirurgisches Nähen üben oder sogar als Avatare auf Visite gehen und mit virtuellen Patienten kommunizieren. Übungen an lebenden Objekten werden dadurch hinfällig.
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