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Alles freiwillig – oder doch nicht?

Der japanische Spielfilm «Plan 75» liefert eine drastische «Lösung» gegen die Überalterung: ein freiwilliges Seniorensterben.

Text: Fabian Rottmeier

Und plötzlich ist der Tod nur noch neun Ziffern entfernt: 012 843 650. Wenn die 78-jährige Michiko diese Rufnummer wählt, wird ihr freiwilliger Tod kostenlos in die Wege geleitet – dank des neuen Projektes «Plan 75». Die japanische Regierung kommt für die Kosten auf und obendrauf gibts für die Sterbefreiwilligen neben einem letzten Festmahl vorab noch 100000 Yen zum Verprassen.

Die Kernidee des Films «Plan 75» ist auf den ersten Blick so brutal, dass es überrascht, dass sie ausgerechnet aus dem so zurückhaltend-anständigen Japan stammt: Wer über 75 Jahre alt ist, kann neu aus freien Stücken, von der Regierung begleitet, aus dem Leben scheiden. Natürlich schmerzfrei und professionell betreut. Die Seniorinnen und Senioren würden damit ihren Enkelinnen und Enkeln die Zukunft sichern, so der moralische Tenor. Und hätten auch gleich noch etwas gegen die Überalterung getan.

Regisseurin und Drehbuchautorin Chie Hayakawa erzählt ihre Geschichte aus drei Perspektiven: Hauptprotagonistin ist die eingangs erwähnte Seniorin Michiko, die kinderlos und alleinstehend auch mit 78 Jahren aus finanziellen Gründen auf ihre Arbeit in einem Hotel angewiesen ist. Dort putzt sie und macht die Wäsche. Daneben lernt man die die junge philippinische Altenpflegerin Maria kennen sowie den herzensguten Hiromu, der als Verkäufer bei «Plan 75» angestellt ist.

«Plan 75» ist ein zumeist leiser Film mit einem traurigen Grundton. Trostlos etwa, wie Michiko ihre Arbeit im Hotel verliert und dann an einer Strassenbaustelle Fahrzeuge durchwinkt, sich für jedes einzelne verbeugt und dabei körperlich einmal mehr ihre Grenzen überschreitet. In den 112 Minuten Spielzeit scheint Michiko immer mehr zu verstummen. Zum Glück wird die Trostlosigkeit des Films stets von Beispielen grosser Menschlichkeit durchbrochen. Die Angestellten von «Plan 75» freunden sich mit den Menschen an, die sie betreuen. Das soll gemäss Jobbeschrieb auch so sein, damit ihnen die alten Kundinnen und Kunden vertrauen – und ihren Entschluss ja nicht mehr umstossen.

Gemein ist allen Hauptfiguren, dass sie, je länger der Film dauert, zunehmend an ihren Entscheidungen und Handlungen zweifeln. «Plan 75» ist ja freiwillig – oder eben doch nicht ganz? Regisseurin Chie Hayakawa sagt dazu: «In Japan herrscht eine Atmosphäre, in der ältere Menschen unter Druck gesetzt werden, so dass sie sich nutzlos fühlen. Intoleranz, Apathie und mangelnde Vorstellungskraft für den Schmerz anderer sind die bedrohlichsten Dinge. Dies will ich in diesem Film darstellen.» Das ist der 46-Jährigen eindrücklich gelungen.

«Plan 75», ab 4. Mai im Kino. In welchen Schweizer Kinos der Film zu sehen sein wird, erfahren Sie hier.

Beitrag vom 27.04.2023

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