Süsse Stachlige
Sie sind ein wenig kapriziös, in der Jugend sauer, in der Blüte ihrer Reife köstlich süss, für Gaumen
und Gärtnerinnen eine kleine Herausforderung: die Stachelbeeren.
Text: Gaby Labhart
Schon am Strauch, auch am Hochstamm, wo sie seltener gezüchtet werden, sind sie sehr wehrhaft: Stachelbeeren sind von scharfen Stacheln begleitet. Nomen est omen. Und ja, zerkratzte Hände sind nach der Ernte unumgänglich. Handschuhe helfen. Und dann sind sie also frisch geerntet, diese etwas dickhäutigen und flaumig behaarten Beeren (es gibt mittlerweile auch Züchtungen ohne Haare!) und locken zum Verzehr. Wenn sie unreif sind, meistens also sehr grün, sind sie frischfröhlich sauer und grandios geeignet für Wähen. Wenn sie reifer werden, kommt dann ihre aromatische Süsse immer mehr zum Tragen. Für Wähen ists dann zu spät, aber für Konfitüren ideal.
Erstaunlicherweise haben «Chrosle» nach den Weinbeeren den zweithöchsten Zuckergehalt in der einheimischen Beerenwelt. Die winzigen Kerne, die im Fruchtfleisch liegen, isst man einfach mit. Diese Kernchen sind übrigens enorm gut fürs Gedärm, so wie auch das ganze Früchtchen Balsam für die Verdauung ist. Was wiederum schon die alten Franzosen wussten, die ihre «Groseille à la maquereau», wie sie in Frankreich heissen, zwar nicht besonders gut mochten, sie aber gerne zu eher Fettigem wie Makrelen (maquereau!) oder Ente servierten. Mittlerweile hat die wissenschaftliche Forschung belegt: Chruselbeeri sind besonders bekömmlich zu schweren Speisen, weil sie verdauen helfen. Voilà. Dazu kommen ein hoher Vitamin-C-Gehalt sowie Kalium, Kalzium, Phosphor, um nur das Wichtigste aufzuzählen.
Gooseberry heisst die Krausbeere bei den Engländern, das haben sie der Groseille der Franzosen abgeguckt. Oder vielleicht auch der Kruisbes der Niederländer. In der englischen Küche läuft die Beere dann endlich zur verdienten Hochform auf. Ihr «Gooseberry Fool» ist ein Dessert mit karamelisierten Stachelbeeren, Vanille und Double Crème, das vieles in den Schatten stellt. Im grössten Inselstaat Europas wurde auch die bis anhin grösste Stachelbeere gezüchtet (58 g), wie wir in Pinis «Gourmet Handbuch» erfahren dürfen. Das war 1978 und bleibt bis jetzt ungeschlagen.
Und von den weltweit fünfhundert Sorten von Stachelbeeren werden in der Tat die meisten in Grossbritannien angebaut. Grundsätzlich geben drei Hauptsorten den Ton an: grünweisse, gelbe und rote Beeren. So sehr die Stachelbeere als einheimisch empfunden wird, so sehr ist sie es eigentlich ganz und gar nicht. Sie stammte ursprünglich wohl aus dem Himalayagebiet, aber auch das ist nicht ganz sicher. Ihre Hauptsaison beginnt im Mai und dauert bis August.
Und sicher ist, dass die Stachelbeere rein gar nichts mit der Kapstachelbeere zu tun hat. Diese, auch als Physalis bekannt, gehört wie Tomate und Kartoffel zu den Nachtschattengewächsen. Die Stachelbeere hingegen kommt aus der Familie der Ribes, der Johannisbeeren. Und aus der nahen Verwandtschaft wurde auch eine ganze neue Beere gezüchet: die Jostabeere – ein Kofferwort aus Johannisbeere und Stachelbeere.