Jaakko wäre gerne immer seltsam
Ein Kinofilm, der «The Blind Man Who Did Not Want To See Titanic» heisst, kann eigentlich nur unkonventionell sein. Das finnische Werk dreht sich um einen an Multipler Sklerose erkrankten Mann im Rollstuhl, der seine Telefonfreundin erstmals treffen will.
Text: Fabian Rottmeier
Es braucht Mut, einen solchen Film zu drehen. Regisseur Teemu Nikk richtet die Kamera während den gesamten 82 Minuten Spieldauer ausschliesslich auf den Hauptprotagonisten: Jaakko. Alles ausser dem Gesicht des Mittvierzigers bleibt für die Zuschauenden unscharf. Und dies bestimmt absichtlich, ist Jaakko doch durch seine Erkrankung an Multipler Sklerose nicht nur blind geworden, sondern auch vom Brustkorb abwärts gelähmt. Jaakko lebt isoliert, allein. Seine Welt wird durch das eingeschränkte Blickfeld der Kamera zumindest teilweise erlebbar. Schauspieler Petri Poikolainen wirkt dabei auch deshalb so authentisch, weil er tatsächlich durch MS erblindet ist.
Dass der finnische Film «The Blind Man Who Did Not Want To See Titanic» oder im Original «Sokea mies joka ei halunnut nähdä Titanicia» heisst, hat mit Jaakkos neuer Telefonfreundin Sirpa zu tun. Sie zieht in damit auf, dass er ihren Lieblingsfilm «Titanic» noch nie gesehen hat. Für ihn «der teuerste, kalkulierteste Scheiss der Welt». Stolz zeigt er ihr per Handykamera, dass er zwar die DVD des amerikanischen Kinohits besitzt, diese aber noch verschweisst ist. Er will den Film partout nicht schauen.
Medikamente … und viel schwarzer Humor
Lange besteht der Film einzig aus den unterhaltsamen Telefongesprächen zwischen den beiden, in denen nicht mit schwarzem Humor gespart wird. Jaakko sitzt im Rollstuhl, Sirpa ist auf einen Rollator angewiesen und ebenfalls schwer krank. Sie nennt das Virus, das sie zu einer Chemotherapie zwingt, ganz einfach «Satan». Jaakko wiederum sagt, dass er aufgehört habe, Filme zu schauen, als er Schauspieler Kurt Russell nicht mehr von einem Husky habe unterscheiden können. Sirpa findet, Jaakko sei manchmal etwas seltsam. Er entgegnet: «Ich wäre gerne immer seltsam.»
Jaakko und Sirpa fühlen sich voneinander ernstgenommen. Ein Gefühl, dass der «Nerd» ansonsten höchstens bei seiner Pflegerin erhält, die täglich kurz vorbeischaut. Er macht sich einen Spass daraus, sie Annie Wilkes zu nennen, eine sadistische Krankenschwester aus einem Roman von Stephen King. Seinen Vater, der jeden Tag pünktlich um drei Uhr nachmittags anruft, wimmelt er so gut es geht ab. Jaakko hat es satt, von allen bloss Mitleid zu erhalten, und flüchtet in Gedanken in den Wald, wo er unaufhörlich joggt.
Der Plan
Als es Sirpa eines Tages hundsmiserabel geht, schmiedet Jaakko kurzerhand einen Plan. Er will sie besuchen – die beiden haben sich noch nie getroffen. Es sind zwar 1000 Kilometer bis nach Hämeenlinna, doch Jaakko hat errechnet, dass er bloss auf fünf Unbekannte angewiesen ist, bis er vor Sirpas Haustür steht.
Dass Regisseur Teemu Nikk bei Jaakkos Taxi- und Zugreise auch unerwartete Wendungen einbaut, die den Film zwischenzeitlich in ein anderes Genre bugsieren, passt zum unkonventionellen Filmtitel. Die grösste Pointe aber, die hat er sich für den Schluss aufgespart …
«The Blind Man Who Did Not Want To See Titanic», 82 Minuten, ab 13. Juli im Kino. Infos zu den Spielorten finden Sie hier.