Wohlbefinden im Wald
Was viele spüren, weiss unterdessen auch die Wissenschaft: Ein Bad im Wald erquickt Körper, Geist und Seele. Waldbaden oder «Shinrin Yoku», der Gesundheitstrend aus Fernost, wird auch im Westen immer beliebter. Mit Pro Senectute St. Gallen können Badefreudige in Stadtnähe eintauchen und geniessen.
Text: Annegret Honegger; Fotos: Stephan Bösch
Ein paar Schritte nur sind es von der Bushaltestelle Riethüsli bis in den Wald. Mit jedem Meter werden die Geräusche von Autos, Zügen und Baustellen leiser. Das Grau der Stadt weicht Grün- und Brauntönen. Die Vögel zwitschern, in den Baumkronen rauscht der Wind. Und statt nach Abgasen riecht es nach Harz und Holunder.
«Herzlich willkommen zum Wald-baden – oder auf Japanisch: Shinrin Yoku», begrüsst Marie-Louise Hanenberg ihre Gruppe, die den Sprung ins Grün heute zum ersten Mal wagt. Was sie wohl erwartet? «Abefahre und geniessen», vermutet jemand. «Bäume umarmen?», fragt eine andere Teilnehmerin mit ironischem Unterton.
Als Anfangsritual lässt die «Bademeisterin» ihre Gäste die Alltagssorgen einem Tannzapfen übergeben, den sie schwungvoll in den Wald werfen. Befreit sind nun alle bereit fürs Waldbad und für die verschiedenen «Werkzeuge» zum Waldgenuss. Mal sollen sie im «Fuchsgang» wie auf der Pirsch durch den Wald schleichen. Mal ein Pflänzchen bis ins kleinste Detail studieren. Dann wieder ist der «Eulenblick» gefragt, bei dem man die Augen weit werden und schweifen lässt.
Erstaunlich, wie diese Übungen die Wahrnehmung verändern – und wie anspruchsvoll es ist, anders zu gehen und zu sehen als gewohnt. Stört ein Helikopter oder eine Kreissäge die Waldesruhe, bleibt Marie-Louise Hanenberg gelassen: «Den perfekten Wald gibt es ebenso wenig wie das perfekte Leben.»
Die Shinrin-Yoku-Trainerin gibt Inputs zu verschiedenen Pflanzen am Wegrand wie dem sagenumwobenen Holunder. Zwischendurch sitzen die Teilnehmenden ganz ruhig bei einem Baum und lassen die Atmosphäre auf sich wirken. Bläst Marie-Louise Hanenberg in ihre Kuckuckspfeife, kommen alle zusammen. Etwa zur Stärkung beim Wald-Znüni mit Zedernkernen, Birnenschnitzen und Holundersirup. Gesprächsthemen gibt es genug: Erinnerungen an Walderlebnisse aus der Kindheit, an Begegnungen mit Tieren …
Gute Schuhe, eine Trinkflasche und der Witterung angepasste Kleidung – mehr braucht es nicht fürs Waldbad. Neben geführten Waldbädern in der Gruppe kann man problemlos auch alleine eintauchen. «Der Wald hat immer geöffnet und ist in der Schweiz nie weit weg», betont Marie-Louise Hanenberg. Sportliche Spitzenleistungen seien nicht gefragt, im Gegenteil: «Wer langsam unterwegs ist, sieht, hört und erlebt mehr.»
So wohl tut der Wald, dass einige Krankenkassen sogar Beiträge ans Waldbaden leisten. Denn Waldduschen stärken erwiesenermassen das Immunsystem und lassen die Glückshormone fliessen. Ganz ohne Turnhalle und Kraftraum profitieren quasi als Nebenwirkung auch Balance und Beweglichkeit.
Für die Teilnehmenden ist die grüne Praxis allerdings weit wichtiger als die graue Theorie. Sie fühlen sich nach ihrem ersten Mal inspiriert. In Zukunft, sind sie sich einig, werden sie anders durch den Wald spazieren: acht- und aufmerksamer.
«Waldbaden» bei Pro Senectute St. Gallen
Shinrin Yoku Waldbaden ist ein Gesundheitstraining in und mit der Natur. Durch Achtsamkeits-, Atem- und Bewegungsübungen erlebt man die positiven Wirkungen des Waldes auf Körper, Geist und Gemüt. Geführte Waldbäder in St. Gallen finden am 3. und 31. Oktober sowie am 14. November statt. Anmeldung: Telefon 071 227 60 28. Kursbeschriebe, Kontaktmöglichkeiten und Onlineanmeldung für weitere Angebote im Kanton St. Gallen auf sg.prosenectute.ch, Stichwort «Begegnung und Austausch».
Angebote in Ihrer Nähe finden Sie bei Pro Senectute in Ihrer Region. Sämtliche Adressen stehen auf prosenectute.ch
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