Kohlenhydrate stehen unter Verdacht, uns dick und krank zu machen. Zu Recht? Ernährungsberaterin Andrea Cramer erklärt, wie wir Spaghetti und Brot richtig rationieren. Und was diese Lebensmittel in unserem Körper bewirken.
Text: Roland Grüter
Kohlenhydrate sind lebensnotwendig, der Körper braucht sie für den Stoffwechsel. Weshalb werden sie trotzdem kontrovers diskutiert? Weil sie gemeinhin als Dickmacher gelten. Vor allem sogenannte Low-Carb-Diäten, die den Anteil an Kohlenhydraten niedrig halten, befeuern den schlechten Ruf. Tatsächlich kann eine qualitativ ungünstige Wahl diverse gesundheitliche Probleme bewirken, insbesondere Übergewicht.
Weshalb sind wir trotzdem darauf angewiesen? Kohlenhydrate sind Treibstoff für unseren Körper. Sie versorgen Gehirn und Muskeln mit Energie. Ausserdem bieten uns kohlenhydratreiche (möglichst unverarbeitete) Lebensmittel idealerweise auch Nahrungsfasern, Vitamine und Mineralstoffe. Diese sind unerlässlich für eine geregelte Verdauung, das Immunsystem, viele Stoffwechselprozesse, den Körperaufbau etc.
Eine grobe Faustregel lautet: Je süsser ein Lebensmittel schmeckt, desto mehr Kohlenhydrate stecken darin. Ist sie verlässlich? Relativ. Bei natürlichen, unverarbeiteten Produkten können wir uns gut auf diesen Merksatz verlassen. Es gibt jedoch Lebensmittel, die täuschen. Dies ist vor allem bei industriell verarbeiteten Produkten der Fall, in denen oft verschiedene Kohlenhydratarten und/oder Geschmacksverstärker eingesetzt werden. Darin ist der zugesetzte Zucker teilweise nicht mehr spürbar, selbst wenn die Lebensmittel eigentlich sinnvoll sind. Beispiele dafür sind Tomatensaucen oder Vollkornflakes.
Dass Zucker in Verdacht steht, ist bekannt. Aber weshalb auch Pasta, Brot und anderes? Hier sind vor allem raffinierte Produkte ungünstig, also Weissmehlprodukte, geschälter Reis etc. Diesen werden im Verarbeitungsprozess Nahrungsfasern und teilweise auch Vitamine und Mineralstoffe entzogen. Vollkornprodukte (Brot, Teigwaren, Reis) und Hülsenfrüchte hingegen sind eine sinnvolle Wahl.
Was macht raffinierte Produkte riskant? Die starke industrielle Vorverarbeitung nimmt dem Körper einen Teil der Verdauungsarbeit ab, er nimmt folglich den darin enthaltenen Zucker sehr schnell auf. Dies wiederum bewirkt einen raschen Anstieg des Blutzuckers, den der Organismus hormonell senkt. Dieses Wechselspiel mündet in erneutem Appetit oder Heisshunger. Das Mehr an Kohlenhydraten wird in Fett umgewandelt und eingespeichert. Daneben fehlen der Verdauung die Nahrungsfasern, was zu Verstopfung führen kann. Nicht zuletzt essen wir Weissmehlprodukte in grösseren Mengen, weil sie weniger sättigen als Vollkornlebensmittel. Auch dies begünstigt das Übergewicht.
Die Wissenschaft unterteilt Kohlenhydrate in Einfach-, Zweifach- und Mehrfachzucker. Welche gilt es insbesondere zu meiden? Haushaltszucker, Honig, Traubenzucker, Fruchtzucker oder Milchzucker bestehen aus Einfach- oder Zweifachzucker. Sie werden sofort verdaut und ins Blut aufgenommen. Sie versorgen uns zwar mit «schneller Energie», bewirken im Körper jedoch besagte Gegenreaktion aus: Er schüttet Insulin aus. Breiartige oder flüssige Lebensmittel, also Süssgetränke, Sorbets etc., verstärken diesen Effekt. Einfach- oder Zweifachzucker sollten deshalb möglichst gemieden werden – so wie auch Weissmehlprodukte. Getränke sollten grundsätzlich zucker- und damit kohlenhydratfrei sein.
Und die andern? Komplexe Kohlenhydrate bestehen aus mehr als zwei Zucker-Bausteinen. Diese sind wie Perlen auf einer Kette aneinandergereiht und in Stärkeprodukten wie Getreide, Kartoffeln, Brot, Teigwaren zu finden. Komplexe Kohlenhydrate müssen im Verdauungsprozess erst aufgespalten werden. Sie gelangen deshalb zeitverzögert ins Blut und versorgen uns gemässigt, jedoch länger während mit Energie. Das wiederum bewirkt eine weniger intensive Reaktion des Körpers. Vollkornprodukte verstärken die positiven Effekte zusätzlich. Diese Gruppe ist eine sinnvolle Wahl.
Gemüse, Obst und Vollkornprodukte enthalten komplexe Kohlenhydrate. Sind sie deshalb von Beschränkungen ausgeschlossen? Jein. Auch Früchte sollten wir nicht grenzenlos konsumieren, da deren Zuckeranteil mitunter beachtlich ist. Idealerweise beschränken wir uns auf täglich zwei Portionen zu jeweils 120 Gramm. Gemüse hingegen können wir uneingeschränkt geniessen, und Vollkornprodukte sind vor allem für die Hauptmahlzeiten geeignet – bei grossem Hunger allenfalls auch für Zwischenmahlzeiten.
Welche Krankheiten drohen, wenn wir es mit Einfach- oder Zweifachzucker übertreiben? Übergewicht und die damit verbundenen Folgen, also Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkbeschwerden etc. Bei schlechter Mundhygiene bewirken sie auch Karies.
Welchen Anteil nehmen Kohlenhydrate idealerweise im Speiseplan ein? In den Hauptmahlzeiten sollte ein Viertel (maximal ein Drittel) des Tellers für komplexe Kohlenhydrate reserviert bleiben, also für Gemüse, Vollkornprodukte etc. Früchte kann man ins Frühstück integrieren oder als «Dessert» einplanen. Süssigkeiten gilt es auf eine Tagesportion zu beschränken. Wichtig: Diese sollte man stets mit anderen Speisen kombinieren, also als Dessert nach einer Hauptmahlzeit – weil sie separiert den Stoffwechsel stärker durcheinanderbringen. Angemessene Portionen sind: eine Kugel Glace, 3 bis 4 Guetzli, ein halbes Stück Cake.
Gemeinhin wird uns geraten, nach dem 50. Lebensjahr die Kohlenhydrate-Ration zu verkleinern. Weshalb genau dann? Man geht davon aus, dass der Energiebedarf des Körpers kleiner wird. Die oben genannten Mengen gelten jedoch auch im Alter. Ausgenommen sind krankhafte Ernährungsweisen, diese müssen professionell begleitet werden.
Empfiehlt sich im fortgeschrittenen Alter die populäre Low-Carb-Diät also doch? Nein, für gesunde Menschen ist eine mässige, vollkornbasierte Kohlenhydratauswahl idealer.
Wodurch ersetzt man krankmachende Energiespender? Älteren Menschen empfehle ich Proteine, also Fleisch, Fisch, Eier, Tofu, Sojaprodukte oder Fleischersatzprodukte. Denn mit zunehmendem Alter wird eine ausreichende Proteinversorgung wichtiger, damit die Muskeln erhalten bleiben.
Letzte Frage: Auf welches Kohlenhydrat-Produkt möchten Sie persönlich zuletzt verzichten – und weshalb? Vollkornhaferflocken. Sie sind in Kombination mit Magerquark und Früchten eine ideale Frühstücks-variante, die den Körper optimal mit Nährstoffen und Energie versorgt und lange satt hält.
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