Die Glukose-Tricks
Glukose versorgt den Körper mit Energie. Unzählige Ratgeber zeigen, wie wichtig dieser Schlüsselwert für unsere Gesundheit ist und wie er uns vor einer Gewichtszunahme schützt. Zu Recht? Eine Expertin klärt auf.
Text: Roland Grüter
Soll ein Auto reibungslos funktionieren, braucht es Benzin. Ähnlich funktioniert der menschliche Körper. Damit er gehen, atmen und denken kann, ist er auf Energie angewiesen.
Der Nährstoff Glukose, sogenannter Trauben- oder Blutzucker, spielt im Energiehaushalt eine zentrale Rolle. Das Gehirn ist auf seine Kraft angewiesen, es akzeptiert keine andere Energiequelle. «Damit Glukose aber überhaupt in die Zellen gelangt, braucht sie einen Türöffner – diese Aufgabe übernimmt das Hormon Insulin», erklärt Ruth Ellenberger, Ernährungsberaterin und Mitbesitzerin des Ernährungszentrums Zürich. Dieser Botenstoff wird immer dann besonders stark ausgeschüttet, wenn der Glukosespiegel im Blut steigt, also nach der Nahrungsaufnahme. Denn der Körper versucht, den Anteil des Blutzuckers konstant auf gesundem Level zu halten. Ist er reichlich im Blut vorhanden, hält der Körper entsprechend mit Insulin dagegen.
All das ist bekannt, wird in der Welt der Ratgeber und Blogs aber gerade neu aufgearbeitet. Die Autoren und Autorinnen polieren allseits den Blutzuckerspiegel auf Hochglanz, erklären Zusammenhänge und schüren Hoffnungen auf ein gesundes Leben – und als angenehmer Nebeneffekt auf purzelnde Pfunde. Denn wer den Blutzuckerspiegel konsequent konstant hält, schützt sich vor Heisshungerattacken und animiert den Körper, eingelagerte Reserven, also auch Fettpölsterchen, abzubauen.
Zur Erklärung: Wird das Blut mit zu viel Glukose geflutet, landet der grösste Teil des Überschusses als Speicherzucker (Glykogen) in Muskeln und Leber. Überschüssiger Zucker wird umgewandelt und in Fettdepots angelegt. «In Notzeiten oder in der Nacht greift der Körper darauf zurück», erklärt Ruth Ellenberger. Doch verhätscheln wir den Körper unentwegt mit neuem Futter, beginnt dieser seine Reserven eher aufzustocken, statt davon zu zehren. «Ein ständiges Übermass an Glukose macht auf die Länge überdies krank», so die Expertin. Es kann zu Gefäss- und Organerkrankungen führen, das Risiko auf Herzinfarkte oder Schlaganfälle wächst. Auch Diabetes mellitus kann daraus resultieren. Bei uns sind eine halbe Million Menschen betroffen, davon 460’000 vom Typ-2-Diabetes, der unter anderem auf Übergewicht zurückgeht.
Essen wir mit Mass und nach den Empfehlungen der modernen Ernährungslehre, indem Eiweissträger, Kohlenhydrate und Gemüse ausgewogen zueinanderfinden, funktioniert das Zusammenspiel zwischen Glukose und Insulin reibungslos. Oft genug ernähren wir uns aber zu einseitig. Dann gerät das Gefüge aus der Balance. Der Körper schüttet reichlich Insulin aus, um die Glukose aus dem Blut zu schaffen. «Dies führt zum Absacken des Blutzuckers und als Gegenreaktion zu einem erneuten Hungergefühl», erklärt Ruth Ellenberger (siehe Interview anschliessend).
Es gibt etliche Tricks und Lebensmittel, die helfen, den Körper erst gar nicht auf Zickzack-Kurs zu leiten. Vor allem die französische Wissenschaftlerin Jessie Inchauspé zeigt Wege auf, wie sich das verhindern lässt. Sie schrieb vor zwei Jahren ein Buch, das exakt darauf ausgerichtet ist und sie zum Star machte: «Der Glukose-Trick» (Heyne Verlag). Jessie Inchauspé zeigt in ihrem Werk Methoden auf, die den Glukoselevel möglichst stabil halten. «In der Folge sind wir weniger müde, konzentrierter und leistungsfähiger», bekräftigt sie in Interviews. Stimmt das? «Ja», sagt Ernährungsberaterin Ruth Ellenberger. Auch sie hat Tipps parat, wie sich das erreichen lässt: nie Süsses separiert essen, sondern stets mit anderen Speisen kombinieren. Oder: faserreiche Speisen, etwa Gemüse, an den Anfang des Menüs stellen (siehe Box). «Solche Tricks halten uns gesund – und schützen uns vor allerlei Unbill», sagt Ruth Ellenberger.
9 Glukose-Hemmer, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen
Wer sich ausgewogen ernährt, schont bekanntermassen seine Gesundheit – und vor allem seinen Stoffwechsel. Manche Lebensmittel helfen uns aber dabei besonders, den Blutzucker konstant zu halten, sie schützen uns damit vor Heisshungerattacken und deren Folgen. Eine Übersicht.
Gemüse (Brokkoli, halber Salat)
Autorin Jessie Inchauspé schreibt in ihrem Buch «Der Glukose-Trick»: Eine Gemüsevorspeise reduziert Blutzuckerspitzen um bis zu 75 Prozent – da Ballaststoffe die Darmwand mit einer Art Netz auskleideten und Glukose weniger schnell in die Blutbahn gelangt. «Diese Aussage ist korrekt», sagt Ernährungsberaterin Ruth Ellenberger: «Speisebrei, der durch Gemüse oder Salat mit Fasern angereichert ist, verlangsamt die Aufnahme von Glukose und anderen Kohlenhydraten enorm.» Wer abnehmen will, sollte allein schon deshalb die Hälfte seines Tellers für Zucchetti, Tomaten & Co. freihalten.
Hülsenfrüchte
Die Frage beschäftigt die Forschung schon länger: Verbessert pflanzliches Protein der Hülsenfrüchte (Leguminosen) tatsächlich den Stoffwechsel von Diabetes-Erkrankten? Die Antworten sind vielversprechend. Allein die Nahrungsfasern von Kichererbsen, Kidneybohnen und Linsen wirken ausgleichend auf den Blutzuckerspiegel. Die darin enthaltenen Nährstoffe sind gut verpackt, der Körper muss mehr Aufwand betreiben, um sie zu zerlegen und aufzunehmen. Doppelt gut: Hülsenfrüchte machen lange satt, sind also ein prima Ersatz für Reis, Teigwaren oder Kartoffeln.
Protein
Eine Studie, die vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass eiweissreiche Ernährung die Langzeitblutzuckerwerte sinken lässt. Das klappt mit pflanzlichem Eiweiss genauso gut wie mit tierischem. Denn ein hoher Gehalt erhöht die Verweildauer von Speisen im Magen. Die Folge: Der sogenannte glykämische Index, der den Blutzuckeranstieg im Blut angibt, sinkt. Taugliche Eiweisslieferanten sind Eier, Milchprodukte, Fisch und Fleisch. Forscher raten uns jedoch eher zum verstärkten Konsum von hochproteinhaltigen Pflanzen.
Nüsse
Nüsse enthalten zahlreiche Ballaststoffe, welche die Verarbeitung von Kohlenhydraten im Darm hemmen. So gelangen diese langsamer ins Blut. Zusätzlich enthalten Nüsse reichlich gesunde ungesättigte Fettsäuren, die die Insulinresistenz verbessern: dass die Körperzellen also wieder stärker auf das körpereigene Insulin reagieren. Nüsse sollte man aber in Massen essen, höchstens 30 Gramm pro Tag. Denn sie bringen nebst vielen positiven Eigenschaften auch viele Kalorien mit.
Vollkornteigwaren
Kohlenhydrate sind wohl die wichtigsten Energielieferanten für unseren Körper – und wirken sich entsprechend stark auf den Blutzuckerspiegel aus. Deshalb stehen Kohlenhydrate auch gemeinhin als Dickmacher unter Verdacht. Doch was wäre das Leben ohne einen Teller Pasta? Wer nicht darauf verzichten mag: Vollkornteigwaren führen den Blutzuckerwert weit weniger auf Zickzack-Kurs. Auch hier muss der Körper Mehrarbeit leisten, will er sich daran sattessen.
Turnschuhe
Dass uns Bewegung guttut, ist allgemein bekannt. Sie ist einer der Schlüsselfaktoren, mit dem wir den Blutzucker flach halten können. Viele denken dabei an Fitnessstudios und Leistungen, die uns ins Schwitzen bringen. Bereits ein Zehn-Minuten-Spaziergang nach dem Essen besänftigt den Stoffwechsel merkbar. Was auch taugt: nach Mahlzeiten zu bügeln, zu putzen, den Haushalt zu machen.
Orangen
Frisch gepresster Orangensaft mag prima schmecken und uns mit Vitamin C versorgen. Leider rauscht er aber auch, sinnbildlich gesprochen, direkt ins Blut – und bringt mit seinem Fruchtzucker die Insulinproduktion des Körpers arg durcheinander. Also Gemach. Lieber eine Orange essen, statt trinken (gilt auch für Äpfel und Birnen) – denn auch hier muss sich der Körper erst an den Fasern der Frucht abarbeiten. «Idealerweise isst man ganze Früchte zum Dessert, etwa nach dem Mittagessen, also nicht isoliert als Zwischenmahlzeit», sagt Ruth Ellenberger. Denn im Alleingang irritiert der Fruchtzucker den Stoffwechsel ebenfalls – auch wenn wir glauben, uns damit etwas Gutes zu tun.
Fett
Im Prinzip ist Fett auch eine effektive Blutzuckerbremse, wer sich aber wünscht, etwas abzuspecken, muss sie sparsam und gezielt nutzen. Ein Esslöffel hochwertiges Raps- oder Olivenöl pro Mahlzeit wäre ideal, egal ob zum Anbraten oder in der Salatsauce.
Geschwellte (ganzes Stück)
Je stärker Lebensmittel verarbeitet sind – ob gekocht oder geschält –, desto effizienter schöpft unsere Verdauung Nährstoffe daraus. Deshalb sollten wir «Komfort-Food» möglichst meiden. Dazu zählen auch Speisen mit breiiger Konsistenz. Also lieber Kartoffeln ganz auf den Teller legen, als diese zu Stock stampfen.
«Wer den Blutzucker konstant hält, schützt sich vor Heisshungerattacken»
Interview mit Ruth Ellenberger, dipl. Ernährungsberaterin HF SVDE, Mitinhaberin Ernährungszentrum Zürich
Ist der Glukosespiegel tatsächlich der Schlüssel zu einer ausgewogenen, gesunden Ernährung?
Ruth Ellenberger: Ja, wir arbeiten schon seit Jahren mit Methoden, die darauf ausgerichtet sind. Die wohl wichtigste basiert auf dem Modell «Healthy Eating Plate» der Harvard-Universität und wurde für die Prävention von Diabetes und zur Gewichtsreduktion adaptiert. Darin geht es um ein ausgewogenes Verhältnis von Kohlenhydraten, Eiweiss und Gemüse.
Glukose ist für den Körper essenziell – weshalb?
Das Gehirn braucht diesen Traubenzucker zwingend, es akzeptiert keinen anderen Nährstoff. Deshalb legt der Körper auch Depots in Muskeln und Leber an, sogenannte Glykogenspeicher. Sind diese leer, wird in der Leber eingespeichertes Fett umgebaut. Andere Körperzellen sind etwas anspruchsloser, sie begnügen sich auch mit einfachen Fettsäuren.
Was bewirkt das ständige Auf und Ab des Blutzuckerspiegels?
Nebst vielen körperlichen Krankheiten führt es zu einer Störung des Hunger-Sättigungs-Mechanismus; eine wichtige Körperfunktion, die grossen Einfluss auf unsere physische und psychische Gesundheit hat. Gerade Kinder und Jugendliche sollten wir davor schützen.
Autorin Jessie Inchauspé verkauft entsprechende Erkenntnisse als neu: zu Unrecht?
Nein. Jessie Inchauspé machte sich die Mühe, den komplizierten Prozess um den Glukosehaushalt gut nachvollziehbar zu erklären und mit vielen praktischen Beispielen zu illustrieren. Seriöse Wissenschaftlerinnen sind Gold wert, die praxisbezogene Aufklärungsarbeit leisten.
Ein niedriger Blutzuckerspiegel führt zu Heisshunger: Wie das?
Der Körper reagiert darauf mit appetitanregenden Signalen. Er produziert beispielsweise mehr Speichel, was Schluckreflexe auslöst. Das wiederum animiert den Magen zu Kontraktionen, zu Magenknurren, da im Speichel die Nährstoffe fehlen. Letztendlich führt dieser Prozess zu Süsshunger. Wir bekommen Lust auf Backwaren und Süssigkeiten, um möglichst rasch die Zuckerversorgung des Gehirns sicherzustellen. Erst wenn wir einige Minuten zuwarten – individuell bis 20 Minuten –, werden die Depots für die Versorgung mobilisiert. In der Folge schwindet der Appetit. Halten wir den Spiegel also konstant, verschwinden unter anderem die Heisshungerattacken – was bedeutet, dass wir mehr Fett verbrennen.
Lässt sich mit einem stabilen Blutzuckerspiegel darum auch eine Gewichtsabnahme bewirken?
Ja. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir die Ernährung anpassen. Eine Gewichtsreduktion lässt sich nur dann erreichen, wenn der Energieverbrauch höher ist als die Zufuhr.
Mehr Infos: ernaehrungszentrum.ch
Worauf Sie achten müssen, wenn die Kilos purzeln sollen, lesen Sie auf zeitlupe.ch/kilos
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