© Stephan Pick

«Lassen Sie bitte niemals Ihre Seele baumeln»

Elke Heidenreich hat ein Plädoyer fürs «Altern», so der Buchtitel, verfasst. Es fällt amüsant, scharfzüngig, nachdenklich und direkt aus – und ist sehr unterhaltsam. Die bekannte Autorin und Literaturkritikerin hat ausserdem wunderbar treffende Zitate zum Thema zusammengetragen.

Text: Fabian Rottmeier

Elke Heidenreich hat klare Ansichten – mit 81 Jahren mehr denn je. Ihre Offenheit zeichnet sie aus, hat in ihrem Lebenslauf aber auch schon für die eine oder andere Konsequenz gesorgt. Etwa, als sie ihre Fernseh-Buchsendung «Lesen!» los war, nachdem sie das ZDF «einen kulturlosen Haufen» genannt hat, wie sie zu Beginn ihres neusten Werks «Altern» schreibt. Auch im «Literaturclub» von SRF eckt sie als Kritikerin immer wieder an. Das Buch ist Teil einer Reihe des Hanser-Verlags, der verschiedene Autorinnen und Autoren über die «zehn wichtigsten Themen des Lebens» schreiben lässt. Bei «Altern» fiel die Wahl auf Elke Heidenreich.

Sie beginnt das rund hundertseitige Werk mit den Worten «Ich habe mein Leben komplett in den Sand gesetzt». Es folgt ein schwarzhumoriger Abriss ihrer Biografie, bevor sie ihr Leben ein paar Seiten weiter aus anderer Perspektive zusammenfasst. Dort lautet der erste Satz: «Ich hatte ein unfassbar wunderbares Leben.» Ihr Buch ist auch deshalb ein Plädoyer fürs Alter geworden, weil sich Elke Heidenreich dafür entschieden hat, es wie der französische Philosoph Voltaire zu halten, der meinte: «Da es für die Gesundheit sehr förderlich ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.» Die Autorin fügt an, dass das bei ihr nicht immer klappe, «ist doch aber den Versuch wert, oder?».

«Die Seele hat man fest im Griff, sie ist unser Kostbarstes, da baumelt bitte nichts sinnlos herum.»

Denn es gibt vieles, das sie glücklich macht, und dazu gehört auch das Alter und ihre Wertschätzung für Beziehungen, Literatur und Musik. Die Deutsche empfindet das Alter als «einen ganz normalen Teil eines ganz normalen Lebens», der gar nicht mal so schlecht sei und auch eine Frage der Haltung sei. Auch da hat sie klare Ansichten: «Lassen Sie bitte nie, niemals, unter keinen Umständen Ihre Seele baumeln. Die Seele hat man fest im Griff, sie ist unser Kostbarstes, da baumelt bitte nichts sinnlos herum. Sonst hören Sie hier jetzt sofort auf, weiterzulesen!» Ein Ruhestand ist ihr fremd.

Der erste Teil des Buches gefällt am besten und hält sogar einen Beauty-Tipp der Autorin bereit: «Ich war nie eine Schönheit, aber auf meine Haut ist Verlass (niemals warmes Wasser ins Gesicht!)». Der zweite, nachdenklichere Teil enthält vieles, was man in anderen Büchern übers Altern schon lesen konnte (was aber nichts daran ändert, dass viele beim Lesen denken werden: «Genauso ist es!»). Die erste Hälfte glänzt durch entwaffnende, aber auch erhellende Passagen. Hier ein paar Beispiele:

  • «Ja: mitunter ist man so alt, wie man sich fühlt. Aber meistens ist man älter.»
  • «Alles über sechzig ist ein Geschenk, fast alles unter dreissig war eine Quälerei.»
  • «Man kann durch eine immer raffiniertere Medizin vielleicht das Leben immer weiter verlängern, aber sind wir nicht letztlich arm an Möglichkeiten, diesem verlängerten Leben noch einen Sinn zu geben?»

Sie sei klüger als mit 17 – und weniger wütend

Ohne das Alter zu beschönigen, ist Elke Heidenreich nicht der Meinung, dass die Jugendlichkeit das höchste aller Gefühle ist. Sie sei viel wütender und dümmer gewesen mit 17, schreibt sie. Und übers Glücklichsein hat sie sehr schöne Zeilen verfasst: Heute wisse sie, dass das Glück kein Zustand sei, nach dem man verzweifelt suchen müsse. «Es ist immer nur ein Augenblick, und ich habe gelernt, ihn zu erkennen und zu geniessen. Aus der Summe glücklicher Augenblicke setzt sich das Glück des Lebens zusammen. Diesem Glück bin ich heute viel näher als damals, mit zwanzig.» Sie findet diesen Zustand auch in der Ruhe, in der sie sich dem Musikhören oder Lesen bewusst hingibt – als Gegenmittel zur ruhelosen Welt.

Zu ihren Gedanken und Überzeugungen schöpft sie zudem literarisch aus dem Vollen. Aus ihrem Lesereichtum zitiert sie Philosophen und Schriftstellerinnen, die sich pointiert zu ihren Lebenswerten und zum Älterwerden geäussert haben. Astrid Lindgren etwa sagte: «Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern.» Für Elke Heidenreich tun es auch die Spaziergänge mit ihrem Hund. Älterwerden bedeutet für die 81-Jährige auch, dass sie noch am Leben ist. Bereits mit 23 hatte sie nach einer schweren Lungenoperation ihr erstes Testament verfasst. Und dass sie im vergangenen Jahr wegen einer verstopften Herzarterie nur mit viel Glück überlebt hat, lässt sich im Buch bloss mit der Aussage erahnen, dass sie nun drei verschiedene Pillen einnehmen müsse, «die mein Herz reparieren sollen».

Etwas alt wirkt Elke Heidenreich bloss zum Ende des Buches hin, als sie sich über Lastenfahrräder und das vermehrte Aufkommen von Lebensmittelunverträglichkeiten lustig macht. Es sind unnötige Zeilen, die jedoch den vorherigen Lesespass nicht schmälern. Er ist gespickt mit scharfzüngigen Passagen: «Und Gott? Wohnt rechts vom Pflaumenbaum, hab ich mal irgendwo gelesen. Ist möglich.» 

Elke Heidenreich: «Altern», Hanser-Verlag, Berlin, CHF ca. 30.–

Das sagt Elke Heidenreich über ihr neues Buch.

Zur Autorin

(Text: Hanser-Verlag) Elke Heidenreich, geboren 1943, lebt in Köln. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete bei Hörfunk und Fernsehen. Für ihr Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Ernst-Johann-Literaturpreis 2021. Bei Hanser erschienen u.a.: «Der Welt den Rücken» (Erzählungen, 2001), «Passione» (Liebeserklärung an die Musik, 2009), «Alles kein Zufall» (Kurze Geschichten, 2016), «Männer in Kamelhaarmänteln» (Kurze Geschichten über Kleider und Leute, 2020) und zuletzt «Ihr glücklichen Augen» (Kurze Geschichten zu weiten Reisen, 2022).

Beitrag vom 29.05.2024
  • J. Schoch sagt:

    Wenn jung sein darüber definiert wird, dass man sich nicht über Lastenfahrräder und Lebensmittelunverträglichkeiten lustig machen darf, dann müssen wir unsere Prioritäten doch tatsächlich nochmals hinterfragen.

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