Achten Sie auf Ihr Herz
Da in der Covid-Zeit die Herzgesundheit teilweise vernachlässigt wurde, stiegen die Todesfälle wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2022 leicht an. Das zeigt, wie wichtig Vorsorge und frühzeitige Behandlung sind.
Text: Marco Hirt
Es ist bei Männern im Durchschnitt 300 Gramm schwer, bei Frauen circa 250 Gramm und in etwa so gross wie die Faust des jeweiligen Menschen: das Herz. Es schlägt 100 000 Mal täglich und pumpt dabei bis zu 10 000 Liter Blut durch die Blutgefässe.
Das hat 2022 bei 20 465 Personen laut dem Bundesamt für Statistik nicht mehr funktioniert: 9512 Männer sowie 10 951 Frauen starben an den Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wie in den Vorjahren sind sie die häufigste Todesursache in der Schweiz (27,5% aller Todesfälle), noch vor Krebs (23,1%). Im Vergleich zu 2021 ist die Sterberate bei Männern wie Frauen leicht angestiegen.
Wie ist dies zu erklären? Prof. Dr. Isabella Sudano ordnet die Zahlen ein: «Eigentlich ist die Anzahl Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen gemäss Statistik pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner gesunken – von 442 im Jahr 2000 auf 221 im Jahr 2022.» Die Hospitalisierungen seien stabil geblieben, ausser während der Covid-Zeit. «Viele Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen sind da dem Spital ferngeblieben, was zum Teil die erhöhte Mortalität für Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2022 erklärt», sagt die Leitende Ärztin des Herzzentrums und der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich.
Dennoch stellt sich die Frage: Vernachlässigen wir das Herz zu sehr? «Sobald Beschwerden spürbar sind, achten die meisten Menschen aufs Herz», sagt Isabella Sudano. «Viele kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Bluthochdruck verursachen aber für längere Zeit keine Symptome.» Das bewirkt, dass sie wenig beachtet und nicht rechtzeitig behandelt werden (siehe Interview unten). Das gilt für beide Geschlechter. Die Frauen zeigen aber zum Teil andere Symptome (siehe Box unten).
Und das geschieht im Körper ohne Prävention: In den anfänglich elastischen Blutgefässen entstehen über die Jahre Ablagerungen, die Arteriosklerose. In der Innenschicht der Gefässe kommt es dabei zu Plaques, die durch die Einlagerung von Blutfetten, Zellen und später Kalk gebildet wird. Die Versteifung und Verengung der Blutgefässe führen zu einer Verringerung des Blutflusses und damit zu einer Unterversorgung lebenswichtiger Organe. Es entstehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, im schlimmsten Fall kommt es zu einer Unterbrechung des Blutflusses. Die Folge ist ein Herzinfarkt (oder Hirnschlag). Isabella Sudano: «Bei einem Herzinfarkt ist die Ursache der partielle oder komplette Verschluss eines der Herzkranzgefässe durch unvorhersehbar aufgebrochene Plaques, wodurch ein Blutgerinnsel entsteht.» Ein Herzmuskelteil, der kein Blut und damit auch keinen Sauerstoff mehr erhält, stirbt nach wenigen Stunden ab.
Führe man einen gesunden Lebensstil, sollte eine Vorsorgeuntersuchung trotzdem erwogen werden, rät Isabella Sudano. Viele Risikofaktoren würden wir nicht bemerken, diese zu entdecken und wenn nötig zu behandeln, sei sehr wichtig, um die Entwicklung von Komplikationen zu vermeiden. Denn hier kommt auch die erblich bedingte Veranlagung ins Spiel: Gab es in der Familie Fälle von Herzinfarkt oder Hirnschlag, ist eine frühzeitige Prävention zwingend. Nicht unwesentlich auch der Lipoprotein(a)-Wert: «Es wird empfohlen, diesen einmal im Leben zu testen. Ist der Lipoprotein(a)-Wert erhöht, sollten alle anderen Risikofaktoren optimal eingestellt sein.»
Eine Studie besage, so Isabella Sudano, dass mit optimaler Behandlung der bekannten Risikofaktoren etwa 90% der Herzinfarkte vermeidbar wären. «Auch wenn wir viele Krankheiten immer besser behandeln können, halte ich Prävention für die ideale Form der Medizin.»
Dem Herzen alles Gute!
Viele Probleme rund um das Herz sind vermeidbar. So werden Ablagerungen zum Beispiel stark begünstigt durch Rauchen, chronischen Stress und zu wenig Bewegung. Umso wichtiger ist es, einer anbahnenden Arteriosklerose frühzeitig vorzubeugen.
Blutdruck messen
Zu hoher Blutdruck ist einer der häufigsten Gründe für eine Arteriosklerose. Ein konstant hoher Druck begünstigt Ablagerungen, was oft unbemerkt bleibt. Regelmässiges Messen ist wichtig zur rechtzeitigen Behandlung von Bluthochdruck.
Cholesterin kontrollieren
Es gibt das «gute» HDL- und das «schlechte» LDL-Cholesterin. Verbleibt von Letzterem zu viel im Blut, lagert es sich in den Innenwänden der Arterien ab. Tiefe LDL-Werte sind deshalb das Ziel, wozu oft Medikamente notwendig sind.
Erbliche Vorbelastung checken
Wenn in Familien Personen einen Herzinfarkt oder Hirnschlag frühzeitig erlitten haben (bei Männern vor dem 55. Lebensjahr, bei Frauen vor dem 60. Lebensjahr) oder kardiovaskuläre Risikofaktoren bekannt sind (hohes LDL-Cholesterin), sind Vorsorgen so früh wie möglich wahrzunehmen.
Lipoprotein(a)-Wert kennen
Ein Test ist zu empfehlen, denn ein erhöhter Lipoprotein(a)-Spiegel kann Ablagerungen fördern. Der Wert bleibt im Allgemeinen ein Leben lang stabil und ist zu 80–90% genetisch vorbestimmt.
Blutzucker prüfen
Sind die Blutzuckerwerte dauerhaft zu hoch, beschleunigt dies ebenfalls die Schädigung der Gefässe. Wie bei Blutdruck und Cholesterin gilt auch hier: Ein normales Körpergewicht, genügend Bewegung und eine ausgewogene Ernährung sind wirksame Präventionsmassnahmen.
Finger weg von Nikotin und Tabak
Durch den vollständigen Verzicht aufs Rauchen, das die Gefässverkalkung stark fördert, lässt sich das Risiko innert kürzester Zeit senken. Keine Alternative sind E-Zigaretten, die nicht etwa harmlos sind: Obwohl es noch keine Langzeitstudien gibt, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor E-Zigaretten und anderen elektronischen Geräten oder Nikotinprodukten.
Bewegung stärkt
Jede körperliche Aktivität stärkt den Herz-Kreislauf und beugt Krankheiten vor. Und bereits wenig Bewegung macht dabei einen grossen Unterschied. Bei körperlicher Aktivität benötigt der Organismus mehr Sauerstoff, weshalb das Herz mehr Blut durch den Körper pumpt. Das stärkt das Kreislauf-System und trainiert den Herzmuskel.
Ernährung umstellen
Zu fette, süsse und salzige Nahrungsmittel meiden, wenig Fleisch, keine Fertigprodukte, den Alkoholkonsum mässigen. Auf die sogenannt mediterrane Küche setzen, u. a. mit reichlich Gemüse, Salat, Früchte, Fisch und Raps- und Olivenöl.
Übergewicht reduzieren
Die Fettzellen im Bauchbereich sind mit einem höheren HerzKreislauf-Risiko verbunden. Jedes Kilo weniger zählt!
Stress abbauen
Stresshormone erhöhen den Blutdruck, weshalb entspannende Tätigkeiten im Alltag umso wichtiger sind – Musik hören, meditieren oder auch mal nichts tun.
Schlafqualität fördern
Essenziell fürs Wohlbefinden ist ausreichend Schlaf – die empfohlenen sieben bis neun Stunden pro Nacht. Bei längeren Schlafproblemen sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Im Notfall parat sein
Jede Sekunde hilft bei einem Herzinfarkt: Notruf 144 wählen, die betroffene Person leicht aufsetzen und von beengenden Kleidern befreien sowie – wenn bekannt – verschriebene Notfallmedikamente geben. Bei Bewusstlosigkeit und aussetzender Atmung mit Herzmassage beginnen.
Weitere Infos, Tipps & Kontakte: Schweizerische Herzstiftung / swissheart.ch
«Frauen unterschätzen oft ihr Risiko für Herzerkrankungen»
Interview mit Prof. Dr. med Isabella Sudano, Leitende Ärztin Universitätsspital Zürich, Universitäres Herzzentrum, Herzzentrum für Kardiologie
2022 wurden 66 554 Männer wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen hospitalisiert, bei den Frauen waren es 46 759. Verstorben sind mehr Frauen als Männer. Woran liegt das?
Isabella Sudano: Ja, Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden bei Frauen, die deswegen hospitalisiert werden, häufig später diagnostiziert. Und die Erkrankungen sind deshalb bereits fortgeschrittener als bei Männern.
Symptome für einen Herzinfarkt sind bei Männern ein heftiger, brennender Schmerz in der Brust, Atemnot und Beklemmung, Schweissausbrüche sowie Schmerzen in Schultern und Armen. Verhält es sich bei Frauen auch so?
Frauen haben häufiger andere Beschwerden – ein Druck- und Engegefühl in der Brust, Kieferschmerzen, Kurzatmigkeit, Übelkeit und Erbrechen sowie Beschwerden im Oberbauch. Diese sind weniger bekannt und als «nicht typische» Symptome zum Teil unterschätzt. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Frauen wie Männer alle aufgeführten Beschwerden spüren können.
Müssten Frauen in der Prävention speziell auf etwas anderes achten als Männer?
Für beide gilt gleichermassen, einen gesunden Lebensstil zu führen sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren zu testen, wenn sie gesund sind. Und Beschwerden wahrzunehmen, wenn welche vorkommen.
Haben die Risikofaktoren bei beiden Geschlechtern dieselben Auswirkungen?
Die klassischen Risikofaktoren haben ähnliche negative Effekte bei Frauen und Männern. Es gibt aber Risikofaktoren, die für Frauen spezifisch sind, u. a. Bluthochdruck oder Diabetes in der Schwangerschaft oder eine Therapie gegen Brustkrebs.sbezogene Aufklärungsarbeit leisten.
Sollten Frauen grundsätzlich mehr auf ihr Herz aufpassen?
Es wird häufig gesagt, dass Frauen ihr Risiko für Herzerkrankungen oft unterschätzen. Das kann sein. Wahr ist jedenfalls, dass bei Frauen vor der Menopause das Risiko für Herzerkrankungen unterschätzt wird. Es hält sich die Meinung, dass die Hormone junge Frauen «schützen». Deshalb werden vor der Menopause kardiovaskuläre Risikofaktoren wie hoher Blutdruck oder Übergewicht weniger konsequent behandelt.
Gibt es sonstige Annahmen, die gefährlich sein könnten?
Eine falsche Meinung ist generell, dass es bei Frauen «nicht spezifische Beschwerden» bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt. Was eine Diagnose verspäten kann, auch wenn ärztlicher Rat gesucht wird. Frauen spüren häufig, wie zuvor erwähnt, andere Beschwerden als Männer – und diese Beschwerden sind bei Frauen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen spezifisch.
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