Frühzeitig erkennen und sofort behandeln: Wie heimtückisch eine Sepsis ist, wissen jedoch zu wenige. Für mehr Aufklärung sorgt aktuell ein schweizweites Programm.
Text: Marco Hirt
Es kann beängstigend schnell gehen! 2009 stürzte die beliebte TV-Moderatorin Ilona Christen (+58) schwer, drei Wochen danach war sie tot. Sie hatte sich einen Schlüsselbeinbruch zugezogen, verbunden mit einem massiven Bluterguss und einer daraus resultierenden Sepsis. Diese wurde zu spät erkannt. Es sei zum septischen Schock gekommen, sagte ihr Ehemann Ambros Christen später. «Meine Frau fiel ins Koma und starb.» Bedrohlich wurde es auch für Schauspieler Til Schweiger (60) vor ein paar Monaten, der wegen einer infizierten Wunde am Bein eine Blutvergiftung, wie eine Sepsis im Volksmund genannt wird, erlitt. Diese konnte aber rechtzeitig behandelt werden.
Neugeborene und Kleinkinder sowie ältere Personen über 65 Jahre zählen zu den Risikogruppen und sind besonders gefährdet, an einer Sepsis zu erkranken. Die prominenten Fälle erstaunen aber PD Dr. med. Nora Lüthi nicht. «Eine Sepsis kann jede Person treffen, unabhängig von Alter oder allgemeinem Gesundheitszustand.» Deshalb sollte auch allen bewusst sein, was die Anzeichen einer Vergiftung sind und welche Gefahren sie mit sich bringt. «Die Sepsis als Begriff selber wie auch die Dringlichkeit der Behandlung und die Bedrohlichkeit der Erkrankung sind in der Bevölkerung noch zu wenig bekannt», sagt die Fachärztin für Intensivmedizin und Allgemeine Innere Medizin, welche seit 2023 als medizinische Programmmanagerin des nationalen Sepsisprogramms am Universitäts-Kinderspital Zürich angestellt ist. «Zudem sind die Symptome einer Sepsis sehr unspezifisch und deshalb sehr einfach zu verkennen – nicht nur für Laien, sondern auch für Fachpersonen.» Dies führe dazu, dass oft wertvolle Zeit verstreiche, bis die Betroffenen ärztliche Hilfe aufsuchten oder die Blutvergiftung erkannt und die Behandlung eingeleitet werde.
Das soll anders werden – dank des 2022 verabschiedeten Schweizerischen Nationalen Aktionsplans gegen Sepsis und des nationalen Implementierungsprogramms «Sepsis», das für fünf Jahre von der Eidgenössischen Qualitätskommission für die Umsetzung des Aktionsplans finanziert wird. Bereits 2017 wurde in einer Resolution der Weltgesundheitsorganisation WHO die Sepsis als globale Gesundheitspriorität deklariert und die Mitgliederstaaten wurden aufgefordert, koordinierte Massnahmen zu er greifen, um die Sepsis-Erkennung, -Behandlung und -Nachsorge zu verbessern. Denn die lebensbedrohliche Komplikation nimmt mit weltweit 49 Millionen Fällen und davon 11 Millionen Todesfällen pro Jahr eine global bedeutende Stellung ein. «In der Schweiz schätzt man, dass jährlich ca. 20 000 Menschen an einer Sepsis erkranken und rund 3500 daran versterben. Aufklärung, Sensibilisierung und Schulung der Bevölkerung und der Fachpersonen sind deshalb in der Bekämpfung elementar.» Wichtig dafür ist auch der Welt-Sepsis-Tag, der jährlich am 13. September stattfindet und das allgemeine Bewusstsein weiter schärfen soll.
Was macht die Sepsis – mehr Informationen dazu in der Box unten und im nachfolgenden Interview – so gefährlich? Nora Lüthi: «Sie ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die entsteht, wenn der Körper überreagiert und eine systemische Entzündungsreaktion auslöst.» Ohne rechtzeitige Erkennung und Behandlung könne diese übermässige Immunantwort zu Gewebeschäden, Organversagen und letztendlich zum Tod führen. «Deshalb sollte jede Sepsis als Notfall angesehen werden.» Auch um Spätfolgen zu vermeiden, an denen bis zur Hälfte der Personen leiden, welche eine Sepsis überleben. «Gerade ältere Menschen erholen sich oft langsamer und weniger vollständig, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass körperliche und kognitive Beeinträchtigungen dauerhaft bestehen bleiben.»
«Die Umsetzung der Empfehlungen des nationalen Aktionsplans soll die Bevölkerung, aber auch das Gesundheitspersonal befähigen, Sepsis früh und rechtzeitig zu erkennen und schneller zu reagieren», erklärt Nora Lüthi. «Wir sind überzeugt, dass wir so einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Sepsis-Versorgungsqualität in der Schweiz leisten werden.»
Gut gewappnet, wenn Gefahr droht
Wenn sich eine Infektion zu einer Sepsis entwickelt, kann dies lebensbedrohlich werden. Deshalb: Wer umfassend informiert ist über Vorbeugung und Alarmzeichen, kann das Risiko reduzieren, an einer Sepsis zu erkranken. Und verhindert damit auch schwere Langzeitfolgen.
Vorsicht
Eine Sepsis wird am häufigsten durch bakterielle Infektionen verursacht, grundsätzlich können aber auch Infektionen mit Viren, Pilzen und Parasiten eine Sepsis auslösen. Lungenentzündungen und Harnwegsinfektionen sind gerade bei älteren Menschen häufige Ursachen, weiter auch Haut- und Weichteilinfekte sowie Entzündungen im Bauchraum und Hirnhautentzündungen. Eine Sepsis entsteht nicht nur durch eine entzündete Wunde der Haut, wie oft fälschlicherweise angenommen wird.
Risiko
Grundsätzlich besteht bei jedem Menschen das Risiko einer Sepsis.
Vorbeugung
In erster Linie gilt es, sich vor Infektionen mittels Hygienemassnahmen, sorgfältiger Wundpflege und Impfungen zu schützen. Auch eine gute Kontrolle von Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann das Risiko von Infektionen verringern. Zudem kann eine angemessene Behandlung von Infektionen das Risiko einer Sepsis erheblich reduzieren.
Vergiftung
Der umgangssprachliche Begriff Blutvergiftung hat mit einer Vergiftung nichts zu tun und ist irreführend. Eine Sepsis ist eine lebensbedrohliche Reaktion des Körpers auf eine Infektion, bei der das Immunsystem ausser Kontrolle gerät und eine systemische Entzündung verursacht. Diese übermässige Immunantwort kann zu Gewebeschäden, Organversagen und schliesslich zum Tod führen, wenn sie nicht schnell und effektiv behandelt wird.
Spätfolgen
Die Spätfolgen einer Sepsis können vielfältig und schwerwiegend sein. Dazu gehören Nerven- und Muskelschäden, chronische Schmerzen, Erschöpfung, Schwäche, eingeschränkte Organfunktionen (Niere, Lunge, Herz) und Schlafstörungen. Eine schwere Infektion kann auch dem Hirn langfristig schaden und zu kognitiven Beeinträchtigungen wie Gedächtnisproblemen und Konzentrationsschwierigkeiten führen. Psychische Auswirkungen wie Angstzustände, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen können ebenfalls als Folge einer Sepsis auftreten.
Mythos
Weit verbreitet, aber falsch ist der Mythos, dass eine Sepsis durch einen «roten Strich bis zum Herzen» gekennzeichnet ist. Dieser rote Strich ist eine Entzündung der Lymphgefässe und kann durch eine lokale Infektion verursacht werden. Eine Sepsis hingegen ist eine systemische und lebensbe-drohliche Reaktion des Körpers auf eine Infektion, die nicht unbedingt äusserlich sichtbar ist.
Das sind die Alarmzeichen
Vor allem zu Beginn einer Erkrankung ist eine Sepsis nicht leicht zu erkennen. Diese Symptome sollten jedoch ernst genommen werden:
Fachärztin für Intensivmedizin und Allgemeine Innere Medizin sowie Medizinische Programmanagerin nationales Implementierungsprogramm «Sepsis» Universitäts-Kinderspital Zürich
Warum sind über 65-Jährige gefährdeter, an einer Sepsis zu erkranken? Nora Lüthi: Ältere Menschen sind aufgrund des altersbedingt schwächeren Immunsystems, chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Einnahme von Medikamenten, die das Immunsystem beeinträchtigen, aber auch aufgrund von häufigeren Spital- oder Pflegeheimaufenthalten anfälliger für eine Sepsis.
Gibt es weitere Gründe? Auch schlechter Ernährungsstatus, eingeschränkte Mobilität und Pflegebedürftigkeit können zu einer erhöhten Infektionsrate beitragen. Diese Faktoren zusammen führen dazu, dass Menschen über 65 Jahre ein höheres Risiko haben, eine Sepsis zu entwickeln und dass diese bei ihnen schwerer verläuft und häufiger tödlich endet.
Worauf sollen ältere Menschen besonders achten? Obwohl man sich nicht direkt gegen Sepsis schützen kann, gibt es viele Massnahmen, die das Risiko von Infektionen senken und damit auch die Gefahr einer Sepsis verringern. Dazu gehören Schutzimpfungen wie zum Beispiel gegen Grippe und Pneumokokken, die konsequente Behandlung von Infektionen und Wunden ebenso wie von chronischen Krankheiten, wie zum Beispiel Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wenn man sich zum Beispiel bei einer Wunde unsicher ist: Was empfehlen Sie? Das hängt natürlich ganz mit der Art, Lokalisation und Grösse der Verletzung sowie dem Risikoprofil der Person zusammen, welche sich verletzt hat. Generell ist wichtig, dass Wunden sauber gehalten werden und dass nicht zu lange zugewartet wird, wenn man den Eindruck hat, dass sich eine Wunde infiziert hat – zum Beispiel stark gerötet oder erwärmt ist, eitert oder übermässig schmerzt. Dann soll niederschwellig eine medizinische Fachperson zugezogen werden, dies kann neben dem Arzt auch eine Spitexpflegende oder ein Apotheker sein. Sie alle können beim weiteren Vorgehen unterstützen.
Wie wichtig ist die Nachsorge bei einer überstandenen Sepsis? Sehr wichtig, denn gerade ältere Menschen haben häufig länger, um sich von einer Sepsis zu erholen. Zudem haben sie auch ein erhöhtes Risiko, bleibende körperliche und kognitive Einschränkungen zu erleiden sowie erneut an einer Sepsis zu erkranken und hospitalisiert zu werden. Es ist daher wichtig, dass das für die Nachbehandlung zuständige medizinische Personal und auch die Angehörigen die vielfältigen Spätfolgen einer Sepsis kennen, erkennen und entsprechende Massnahmen einleiten können.
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