Alt und Jung an einem Tisch
Veronika Keller (71), Urs Haslebacher (49) und Elias Rüegsegger (30) diskutieren über Generationenkonflikte und -solidarität und sagen, was ihnen Angst macht und Hoffnung gibt.
Text: Usch Vollenwyder, Fotos: Pia Neuenschwander
Veronika Keller: Generationenkonflikte? Zu meiner Zeit redete man ständig davon. Gemeinsamkeiten mit den Eltern gab es kaum. Heute ist das Zusammenleben zwischen den Generationen einfacher. Beim Enkelhüten bewege ich mich in den Haushaltungen meiner Söhne und Töchter wie zu Hause. Ich bin nicht mehr die Schwiegermutter, wie ich sie noch erlebt habe: die jeweils zu Besuch kam und mit dem Finger kontrollierte, ob Staub auf den Möbeln lag. In meinem Beruf als Lehrerin erlebte ich ebenfalls keine Konflikte aufgrund der unterschiedlichen Altersklassen im Kollegium. Meine Nachfolgerin kam direkt von der Pädagogischen Hochschule. Die Übergabe bei meiner Pensionierung verlief völlig problemlos.
Urs Haslebacher: Auf meinem Schweinemastbetrieb arbeiten fünfzehn Angestellte, der älteste ist 61 Jahre alt und kommt aus Polen. Einige sind in meinem Alter, und regelmässig habe ich junge Bauernsöhne, die nach ihrer Ausbildung den elterlichen Landwirtschaftsbetrieb noch nicht übernehmen können. Wir haben einen guten Zusammenhalt. Der Älteste hat ein bisschen mehr Vogelfreiheit und wird vor schwerer körperlicher Arbeit eher verschont. Die Jüngsten arbeiten gern auch am Abend und notfalls in der Nacht, dann können sie tagsüber über mehr eigene Zeit verfügen. Dass meine Frau für einen grossen Teil der Angestellten kocht, ist für das Team sehr wertvoll: Am Tisch bespricht man mögliche Fragen und tauscht sich über anfallende Arbeiten aus.
Elias Rüegsegger: Als Geschäftsleiter der Organisation «UND Generationentandem» probiere ich, die Gesellschaft nicht in Generationen einzuteilen. Aber natürlich gibt es Unterschiede zwischen Jung und Alt. Zum Beispiel bei der Digitalisierung: Die jüngeren Generationen sind digital aufgewachsen und kennen diesbezüglich kaum Berührungsängste. Laut dem letztjährigen Generationen-Barometer des Berner Generationenhauses nimmt übrigens mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen einen Graben zwischen den Generationen wahr – während die älteren keinen sehen.
V.l.n.r.: Elias Rüegsegger, Veronika Keller, Urs Haslebacher © Pia Neuenschwander, fotografiert im Berner Generationenhaus.
Urs Haslebacher: Ich sehe vor allem auf der finanziellen Ebene einen grossen Graben. Der Generation der jetzt über Sechzigjährigen ging es ihr Leben lang immer besser. Sie konnte sich einen gewissen Wohlstand erarbeiten und Reserven schaffen. Der Wert ihrer Grundstücke und Häuser ist um ein
Vielfaches gestiegen. Die nächste Generation hat in dieser Beziehung viel schlechtere Aussichten.
Elias Rüegsegger: Das ist so. Die Nachkriegsgeneration hat eine noch nie dagewesene wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Dass beim Erben schliesslich das Vermögen von der sehr alten Generation zur alten Generation übergeht, während die Jüngeren oft unter finanziellem Druck stehen – das finde ich ein echtes Generationenproblem. Das Erben ist aus meiner Sicht eine Herausforderung für die Generationensolidarität. Ich fände es richtig, wenn ein Grossteil der Erbmasse, wenn nicht sogar alles, allen zugutekäme.
Urs Haslebacher: Ich höre von vielen alten Menschen, das Altersheim fresse ihr Vermögen auf. Dabei haben sie doch genau für solche Situationen gespart. Die Erben haben jedenfalls keinen Anspruch auf das Geld ihrer Eltern. Diese sollen damit ihr Alter finanzieren können und nicht auf den Staat zählen müssen.
Elias Rüegsegger: Im Kontext der Altersvorsorge wird immer wieder gesagt, wie viel uns die älteren Menschen kosten. Aber das ist nicht ein Problem, sondern vielmehr eine Herausforderung, die es anzupacken gilt. Abgesehen davon geht die demografische Entwicklung nicht immer so weiter. Wenn die Baby-Boomer-Generation dereinst nicht mehr da ist – was hoffentlich noch lange nicht der Fall ist –, wird die Altersstruktur nicht mehr einem Pilz ähneln. Dann werden alle Generationen annähernd gleich stark vertreten sein.
Veronika Keller: Die ältere Generation bringt ja auch viel in die Gesellschaft ein. Ich kenne kaum Grosseltern, die ihre Enkelkinder nicht hüten. Das war früher nicht so. Ich hatte niemanden, der mir die Kinder abnahm. Auch mein Umfeld konnte nicht einfach auf die Unterstützung von Eltern und Schwiegereltern zählen. Enkelhüten ist heute ganz selbstverständlich geworden, auch bei mir. Das ist etwas Schönes: Ich sehe, wie das Leben weitergeht.
Elias Rüegsegger: Junge Leute werfen ja auch einen neuen und oft erfrischenden Blick auf die Gesellschaft, während man – sobald man im Berufsleben eingespannt ist – eine wirtschaftliche Leistung erbringen und Geld verdienen muss. Was wiederum nur möglich ist, weil viele ältere Menschen und nach wie vor hauptsächlich Frauen unbezahlte Freiwilligenarbeit leisten und so mithelfen, die Wirtschaft am Laufen zu halten.
Urs Haslebacher: Ich glaube, dass unsere mittlere Generation nicht nur wirtschaftlich am Karren zieht. Sie steht auch in der politischen Arbeit und in gesellschaftlichen Gruppierungen wie zum Beispiel Vereinen an der Front. Von diesen Engagements lebt die Gesellschaft. Gerade in öffentlichen Ämtern muss man allerdings auch Kritik einstecken und mit Rückschlägen umgehen können. Das kann man schon als Kind üben. Ich finde, dass heutige Eltern ihre Kinder in jeder Beziehung viel zu sehr behüten.
«Es gibt so viele gute junge Menschen.»
Veronika Keller
Veronika Keller: Das stimmt. Als ich ein Kind war, hatte ich viel mehr Freiheiten, als die Kinder heute haben. Diese ständige Kontrolle hat für die kindliche Entwicklung jedenfalls nicht nur Vorteile. Doch man kann nicht verallgemeinern: Bei meinen vier Kindern mit den insgesamt elf Enkeln läuft es vier Mal anders! Vielleicht hat diese Überbehütung auch mit dem Alter der Mütter zu tun: Junge Eltern sind in der Regel unbekümmerter, ältere haben ein grösseres Sicherheitsbedürfnis.
Elias Rüegsegger: Ich stelle in meiner Generation generell ein grosses Sicherheitsbedürfnis fest. In unserer unsicheren und unklarer werdenden Welt ist das nachvollziehbar.
Urs Haslebacher: Ist die Welt tatsächlich unsicherer geworden? Als Pubertierender erlebte ich den Irak-Krieg, da dachte ich auch, jetzt sei die Welt am Ende. Solche Ängste hat es immer schon gegeben. Als die ersten Maschinen auf den Hof kamen – Traktore oder Melkmaschinen –, waren meine Grosseltern jedenfalls überzeugt, dass eine solche Entwicklung niemals gut enden würde. Die Geschichte wiederholt sich, einfach unter anderen Vorzeichen.
Elias Rüegsegger: Natürlich hatten unsere Vorgängergenerationen Angst vor dem ersten Auto. Das Tempo der Entwicklung nehme ich heute aber schon anders wahr. Sie ist exponentiell – gerade auch, was KI, die künstliche Intelligenz, betrifft. Sorgen bis Angst machen mir zurzeit die geopolitische Lage, die Kriege, die gesellschaftliche Polarisierung oder eine mögliche Wahl von Donald Trump. Aber auch die psychische Gesundheit der Jungen bereitet mir Sorgen, diese Hoffnungslosigkeit, die bei vielen vorherrscht.
Veronika Keller: Wenn ich einen Blick auf die Zukunft werfe, frage ich mich auch, in was für eine Welt meine Grosskinder hineinwachsen. Dabei denke ich vor allem an den Klimawandel …
Elias Rüegsegger: Wir sind an planetare Grenzen angelangt. Was geschieht, wenn immer mehr Kipppunkte überschritten sind, mag ich mir gar nicht vorstellen. Die Situation mit regelmässigen Jahrhundertkatastrophen wird für eine unvorstellbar lange Zeit nicht mehr besser. Selbst wenn wir die CO2-Emissionen massiv eindämmen, muss meine Generation bis zu ihrem Lebensende mit immer schlimmeren Unwettern, Überschwemmungen und Dürren rechnen.
Urs Haslebacher: Ja, der Klimawandel ist ein Fakt. Da müssen wir uns adaptieren, daran führt kein Weg vorbei. Und gleichzeitig nach Lösungen suchen. Dass wir sie finden werden, davon bin ich überzeugt. Es wird auch in Zukunft Menschen geben, die mutig ihre Visionen verwirklichen. Ich wünsche jedenfalls der jungen und jüngsten Generation Mut und Zuversicht, die Herausforderungen der Zukunft anzupacken und zu meistern!
Veronika Keller: Ich habe grosse Hoffnung in die jüngeren Generationen. Es gibt so viele gute junge Menschen! Es freut mich immer sehr, wenn ich ehemaligen Schülerinnen und Schülern begegne und sehe, dass sie ihren Weg gemacht haben. Das gibt mir Hoffnung. Man sieht, dass man zusammen etwas bewegen und bewirken kann! Dann hat man weniger Angst vor der Zukunft.
Urs Haslebacher: Ich glaube auch an die Jungen, dass sie ihre Erfahrungen machen, daran wachsen und ihr Bestes geben werden. Dazu gehört, dass sie – wie die Generation vor mir das extrem gemacht hat – voll arbeiten und für ihr Leben die Verantwortung übernehmen. Aber auch auf andere Menschen zugehen und nicht nur für sich selber schauen. Wie es die vorderen Generationen schon gemacht haben: Man hilft und unterstützt einander, ohne immer gleich nach dem Staat zu rufen.
Elias Rüegsegger: Mein Wunsch an alle Menschen ist es, dass sie aus ihrer Bubble, ihrer eigenen Lebenswelt, heraustreten und sich die Lebenswelten der anderen Menschen anschauen. Das hilft, miteinander in einen Dialog zu treten und das Gegenüber wirklich zu verstehen. Es gibt dem Leben Sinn, für andere einzustehen und immer auch an das grosse Ganze zu denken.
Urs Haslebacher (49), vierfacher Familienvater, führt einen Schweinemastbetrieb (KMU) im mittleren Gürbetal und ist SVP-Gemeindepräsident von Thurnen BE.
Elias Rüegsegger (30), hat Theologie studiert und ist Initiant und Geschäftsführer der Organisation «UND Generationentandem» mit Sitz in Thun.
Veronika Keller (71), ehemals Lehrerin in Bern West, ist begeisterte Grossmutter und aktiv bei der GrossmütterRevolution und den Klimaseniorinnen.
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