Bäuerin, Familienfrau, Politikerin
Schon als Kind verbrachte Dorothe Glauser-Wyss gern Zeit auf dem Bauernhof. Nach ihrer Heirat wurde sie Bäuerin, Mutter von fünf Kindern und stieg in die Politik ein. Heute staunt sie, wie sehr sich das Leben in Haus und Hof seit damals verändert hat.
Eine Fahrt auf der Rössliryti war als Kind das Grösste für mich. Auf die «Chilbi» auf dem Schulhausplatz freute ich mich das ganze Jahr und sparte jeden Batzen fürs Fest mit den Bahnen und Ständen. Während meine Brüder Schifflischaukel und Tütsch-Autos bevorzugten, drehte ich glücklich meine Runden auf dem Rössli.
Richtig reiten zu lernen, lag leider nicht drin im Familienbudget. Wir wuchsen in sparsamen Zeiten auf, in denen alles gesammelt, geflickt und weiterverwertet wurde. Während der Kriegsjahre wog uns Mama die Butterration zum Zmorge sogar per Briefwaage ab. Den Rock auf dem Foto von 1941 hatte sie selbst gestrickt, wie sie überhaupt alle meine Kleider nähte und schneiderte – bis hin zum Hochzeitskleid.
In Zürich geboren, wuchs ich in Dielsdorf ZH auf. Mein Vater arbeitete dort als Jugendsekretär und Amtsvormund. Meine Kindheit war glücklich, auch wenn die Eltern meinen Brüdern deutlich mehr zutrauten als mir. Was sich für Mädchen und Buben gehörte, war klar geregelt. Im Haushalt mithelfen mussten meine Brüder kaum. Mein Vater lebte bezüglich Frauen- und Männerrollen noch ganz in den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Demnach hatten die Geschlechter unterschiedliche Gehirne und daher unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen.
Einsatz für die Frauen
Daran dachte ich später oft, als ich in die Politik einstieg, mich im Grossen Rat für die Ausbildung und die gesellschaftliche Stellung der Frauen einsetzte und verschiedene Ämter in Verbänden und in der Kirche übernahm. Meinem Vater hätte das gar nicht gefallen, und auch meine Mutter lobte mich nur für Leistungen als Haus- und Familienfrau. Zum Glück unterstützte mein Mann mich stets.
Betrachte ich heute das Foto der 5-Jährigen auf dem Rössli, muss ich schmunzeln. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich einmal die Frau eines Bauern und Pferdezüchters würde und wir viele schöne Stunden bei gemeinsamen Ausritten verbringen würden. Aus dem scheuen Mädchen auf der Rössliryti wurde eine Bäuerin im Thurgauer Birwinken. Auf dem Glauser-Hof hatte ich schon als Kind meine Ferien verbracht und heiratete schliesslich den Sohn der Familie.
Eigentlich fühlte ich mich mit 21 Jahren noch zu jung für die Ehe und hätte gerne meine Ausbildung zur Krankenschwester an der Zürcher Pflegerinnenschule abgeschlossen. Doch mein Verlobter war acht Jahre älter und auch meine Eltern wünschten sich ihre Tochter sicher «unter der Haube». So brach ich die Ausbildung an der «Pflegi» ab, besuchte die Bäuerinnenschule Arenenberg und zog nach der Heirat 1957 nach Birwinken.
Handarbeit in Haus und Hof
Wie viel Arbeit in Haus und Hof man damals noch von Hand erledigte, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Fast alles, was auf den Tisch kam, produzierten wir selbst. Die Frauen spielten dabei eine wichtige Rolle und waren neben Familie, Haushalt und Garten auch auf dem Feld und im Stall unentbehrlich.
Nur schon die Wäsche oder die «Usebutzete» im Frühling waren Grosseinsätze. Wir räumten Stube und Schlafzimmer aus, nahmen die Betten auseinander, sonnten, klopften und bürsteten Matratzen und Teppiche, wuschen Wände, fegten, wichsten und blochten Böden … Neue Maschinen wie etwa eine vollautomatische Waschmaschine oder eine Obstauflesemaschine brachten nach und nach grosse Erleichterungen im Haushalt und auf dem Feld. Motoren ersetzen die Arbeit von Tieren, Männern, Frauen und Kindern.
Glück und Sorgen
Arbeit und Familie bescherten uns viele glückliche, aber auch viele sorgenvolle Stunden. Viel Zuwendung benötigte unser ältester Sohn, der seit frühester Kindheit an einer starken Epilepsie leidet. Mit ihm verbindet mich bis heute eine besondere Fürsorge. Wie meine Schwiegereltern vor uns, zogen mein Mann und ich schliesslich ins Stöckli, als die nächste Generation übernahm. Unterdessen übergibt unser Sohn bald selbst an die junge Familie seines Sohnes.
Dass so viele unserer Nachkommen – drei Söhne und drei Enkel – Bauern aus Leidenschaft wurden, freut mich ebenso wie die Karriere unserer Tochter als Richterin. Zum Glück haben sich die Rollenbilder verändert und meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln stehen heute vielfältigere Lebenswege offen als früher. Auch die Verhältnisse zwischen den Generationen sind kameradschaftlicher und offener als zu meiner Zeit, das geniesse ich sehr.
Unterdessen habe ich die meisten Ämter abgegeben und bin seit sechs Jahren Witwe. In der Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich immer wieder Neues lernen – und bin dankbar, wenn dass Leben mich noch mit viel Schönem überrascht.
Aufgezeichnet von Annegret Honegger