Langlebigkeit: «Ich will nicht um jeden Preis der älteste Schweizer werden.»
Der Traum vom ewigen Leben ist heute dank neuer Forschungsergebnisse in der Genetik aktuell wie nie. Luca Hintermann, Spitex-Pfleger, Personal Trainer und junger Vater, erklärt im Gespräch warum Sport für ihn wichtig ist, welche Rolle Eisbäder in seinem Alltag spielen und wie er zur Longevity-Bewegung steht.
Interview: Marc Bodmer
Wie kamen Sie zu Longevity? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Luca Hintermann: Nach einem Sprachaufenthalt in England, bei dem ich einen nicht sonderlich gesunden Lebensstil pflegte, entschloss ich mich vor rund zehn Jahren, diesen zu ändern. Ich stand vor dem Einstieg ins Berufsleben. Ich begann, viel Sport zu machen, stellte meine Ernährung um und sah schnell Resultate. Später widmete ich mich Themen wie Schlaf und mentaler Gesundheit.
Was erachten Sie heute als wichtig?
Für mich gibt es vier Säulen: Sport, Ernährung, Regeneration, dazu zähle ich gesunden Schlaf, Eisbäder und Meditation und als vierten Punkt die mentale Einstellung, das Mindset.
Sie sind Anfang Jahr Vater geworden. Klappt es mit Programm immer noch?
Bereits kleine Veränderungen können eine grosse Auswirkung im Alltag entfalten, zum Beispiel beim Schlaf. Hier ist ein gleichmässiger Rhythmus entscheidend, was mit dem Baby schwieriger ist. Der Schlaf folgt dem ultradianen Zyklus in Einheiten von 90 Minuten. Es lohnt sich, diesen zu berücksichtigen, besonders wenn man eine «kurze» Nacht vor sich hat. Und: Ich klebe mir den Mund zu.
Weil Sie im Schlafen zu viel reden?
Nein (lacht), um die Nasenatmung zu fördern. Diese schützt besser vor Krankheitserregern und sorgt für einen tieferen Schlaf.
Neben Ihrer Arbeit als Spitex-Pfleger sind Sie als Personal Trainer tätig und geben auch Kurse in der Wim-Hof-Technik, bei der Kältebäder zentral sind. Was bringen die?
Bei der Wim-Hof-Methode sind alle drei Säulen – die Kälteexposition, die Atmung und das Mindset – gleich wichtig. Die Kältebäder sind aber für die meisten das Highlight des Workshops.
Was geschieht im Körper, wenn man in kaltes Wasser eintaucht?
Das Bad löst im Körper einen Ausstoss von Botenstoffen aus. Das Dopamin steigert sich um bis zu 250 %, das Noradrenalin sogar bis zu 530 %. Die Wirkung ist sofort spürbar. Ich hatte schon Depressive und Suizidale in meinen Workshops, die dank regelmässigen Eisbädern ihre Antidepressiva absetzen konnten. Ganz wichtig: Die Atmung und das Mindset gehören auch dazu.
Atemübungen haben allgemein einen grossen Wirkungskreis.
Genau. Wir können mit der Atemtechnik die Biochemie des Körpers verändern, uns in Stresssituationen entspannen und vieles mehr.
Nun haben die wenigsten ein Eisbad im Garten stehen …
… aber die meisten haben eine Dusche im Badezimmer. Mit älteren Menschen mache ich oft ein kaltes Fussbad, das hilft auch. Aber: Man sollte keine Kältebäder machen, wenn man krank ist. Sie bedeuten Stress für den Körper. Bereits unter 18 Grad finden gesundheitliche Prozesse nach zwei Minuten statt.
Zu den vier Säulen gehört für Sie die Ernährung. Essen Sie vegetarisch? Vegan?
Früher habe ich alles gegessen. Meine Frau und ich essen nun vegetarisch, oft vegan. Ich trinke sehr selten Alkohol. Es stimmt mich nachdenklich, wenn ich Leute am Morgen am Bahnhof sehe, die ihre «Zigi» rauchen und einen Energy Drink schlürfen. Das gilt leider als selbstverständlich. Aber wenn man Selbstgekochtes mit zur Arbeit nimmt, wird das schräg beäugt.
Im Umfeld von Longevity ist immer wieder von Intervall-Fasten die Rede. Das ist aber nicht für alle empfehlenswert, weil es zu Muskelabbau führen kann.
Intervall-Fasten kann Gutes bewirken. Jedoch ist es auch Stress für den Körper. Das Intervall-Fasten hat seinen Ursprung bei Mönchen in Asien, die einen ganz anderen Lebensstil pflegen als wir im Westen.
Das kann ich mir vorstellen. Wie würde eine angepasste Version aussehen?
Früh Abendessen um fünf oder sechs Uhr, dann eine Nahrungskarenz von 12 bis 15 Stunden. Man ist danach mental wacher. Aber zentral ist die Frage: Lässt es der Lebensstil zu oder ist es zu viel Stress?
Longevity-Aushängeschild Bryan Johnson schluckt rund 100 Pillen pro Tag.
Was er macht, ist realitätsfremd und eher eine Realsatire. Das hat nichts mit gesundem Lebensstil zu tun.
Wie beginnen Sie den Tag?
Mit einem Eisbad von zwei Minuten und Atemübungen.
Schauen wir noch das Training an. Was können Sie allgemein empfehlen?
Zwei Mal pro Woche sollte man den ganzen Körper trainieren. Optimal ist ein gesundheitsorientiertes und funktionelles Training. Dann ein bis zwei Mal Ausdauer pro Woche. Aber grundsätzlich gilt: Weniger ist mehr. Der Muskel wächst in der Regenerationsphase.
Wie wichtig ist Aufwärmen?
Sehr, dazu gehört auch Stretching. Das nimmt gut zehn Minuten in Anspruch, der Hauptteil rund 30 Minuten, gefolgt von einer Abkühlphase. Ein Eisbad danach hilft bei der Regeneration. Aktive Regeneration wie ein Spaziergang oder Yoga-Übungen sind auch sehr gut.
Was wird oft unterschätzt?
Grundlagenausdauer und mentale Gesundheit. Wer raus geht und eine Stunde spaziert, erfüllt beide Bereiche.
Warum möchten Sie länger leben?
Mein Ziel mit Longevity ist nicht das ewige Leben. Ich möchte die Jahre, die ich vor mir habe, mit einer maximalen Lebensqualität leben dürfen. Ich liebe mein Leben, aber es ist nicht mein grösstes Ziel, um jeden Preis der älteste Schweizer zu werden. Lebensqualität ist alles. In fortgeschrittenem Alter ist Einsamkeit ein grosses Thema. Bei vielen Leuten ist nichts mehr da. Ist das lebenswert?
Ist Eitelkeit auch ein Faktor?
Mein Körper ist mein Tempel. Was ich ihm zuführe, gibt er mir zurück. Auch wenn Selbstliebe wichtig ist, meine Tochter ist klar an erster Stelle. Wir machen sie bereits vertraut mit unserem Lebensstil. Es macht Freude, ein Vorbild zu sein und mit Personal-Training zu helfen, Leiden zu mindern. Jemanden helfen, tut einem auch selber gut.