Zu den diesjährigen Konzerten im Zürcher Fraumünster hat die Hatt-Bucher-Stiftung das Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester eingeladen. Sein Dirigent Kai Bumann blickt auf zwanzig Jahre künstlerische Leitung zurück.
Interview: Usch Vollenwyder
Zweimal im Jahr proben Sie während einer Woche mit jungen Schweizer Musiktalenten. Wie machen Sie aus dieser zusammengewürfelten Gruppe ein Orchester?
Dazu braucht es viel Geduld. Die Jugendlichen müssen sich ja zuerst finden und zusammenwachsen. Zu Beginn einer Arbeitswoche klingt die Musik jeweils noch spröde. Doch bereits nach zwei oder drei Tagen, wenn die technischen Probleme überwunden sind, wird der Orchesterklang rund. Die jungen Musikerinnen und Musiker entdecken hier eine versteckte Linie, dort einen Rhythmus, hier eine bestimmte Harmonie. Ich erkläre ihnen, warum ich ein Stück genau so und nicht anders gespielt haben möchte: damit wir diesen besonderen Gesamtklang finden, der das Publikum berührt.
Sie verfügen über eine langjährige Erfahrung mit diversen Orchestern. Wie arbeiten Sie mit Ihrer jungen Truppe?
Wie mit jedem Berufsorchester. Es geht langsamer vorwärts, weil den Jugendlichen noch die Erfahrung und die technische Souveränität fehlen. Aber das Ergebnis ist vielfach ebenso überzeugend: Die jungen Musikerinnen und Musiker sind eher bereit, mit mir zusammen musikalische Grenzen auszuloten. Berufsmusiker hingegen wissen um die Absturzmöglichkeiten.
Was zeichnet diese jungen Musiktalente aus?
Es sind ganz normale junge Menschen mit einer Vorliebe für klassische Musik. Sie gehen mit einer grossen Disziplin an die Arbeit. Sie sind bereit, etwas zu investieren. Wenn wir ein neues Stück einüben, sehe ich oft in ganz beglückte Augen! Sie wissen aber auch sehr genau, was sie für sich und ihre Karriere brauchen. Und was sie nicht brauchen können, das wollen sie nicht. Insofern sind sie Kinder ihrer Zeit. Auch in ihrer Freizeit unterscheiden sie sich nicht von anderen Jugendlichen: Sie hören Musik, da tun mir die Ohren weh…
Wie hat sich das Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester in den vergangenen zwanzig Jahren verändert?
Es ist besser geworden, das Niveau und der Anspruch sind gestiegen. Vielleicht habe aber auch ich mich als Dirigent entwickelt. Ich habe an Erfahrung gewonnen und weiss inzwischen, wie ein Stück klingen soll. Ich kann schneller und klarer sagen, was ich von meinen Musikerinnen und Musikern erwarte.
An den Fraumünster-Konzerten dirigieren Sie die Ouvertüre zu Rossinis «Barbier von Sevilla», ein Flötenkonzert von Mozart und eine Haydn-Sinfonie. Was bedeutet Ihnen diese Musik?
Gioachino Rossini verlangt eine unglaubliche Konzentration, seine Musik ist gewaltig und genial – sie ist wie ein Lebensrausch! Joseph Haydn seinerseits ist ein phantasievoller Komponist, dessen Musik von Überraschungen lebt und eine positive Energie ausstrahlt. Haydn selber war kein glücklicher Mensch – vielleicht berühren seine Konzerte gerade deswegen weniger existenzielle Fragen. Vielmehr sollen sie dem Publikum die Alltagssorgen nehmen und es mit einem Lächeln nach Hause gehen lassen.
Und Mozart?
Wolfgang Amadé Mozart war zwar ein fröhlicher Mensch, aber er wusste um die Einsamkeit des Menschen. In Mozarts Werken ist eine Leichtigkeit spürbar, doch die Melancholie dominiert. Diese Balance zu treffen, macht in meinen Augen Mozart unglaublich schwierig. Alle Proportionen müssen genau stimmen – von der Ausgewogenheit der Tempi über die Art des Klangs bis zum Ende einer Phrase. Die Flötistin Aniela Stoffels war einst Mitglied des Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchesters und ein herausragendes Talent. Sie wird das Flötenkonzert in G-Dur spielen – und sie wird es schaffen! Es ist wunderschöne Musik; die Jugendlichen spielen mit Begeisterung. Wenn sich diese Begeisterung auf das Publikum überträgt, haben wir unser Ziel erreicht.
Warum sind Sie Dirigent geworden?
Mich fasziniert das Arbeiten mit Klang und das Schaffen einer Atmosphäre – zum Beispiel Stille. Mozart hat gesagt: «Der schönste Applaus ist der stille Applaus.» Wenn nach einem Konzert absolute Stille herrscht und man spürt, dass die Menschen berührt wurden; berührt von der Endlichkeit des Seins und der Unendlichkeit der Schöpfung – dann hat man den Idealzustand erreicht.
Musik ist demnach dem Himmel nah – stimmt das?
Aber auch der Hölle. Ich versuche, meinem Ideal von Musik möglichst nah zu kommen. Aber selten erreiche ich diesen Punkt. Oft bekomme ich Reaktionen aus dem Publikum – wie schön doch das Konzert gewesen sei. Doch ich weiss: Da war es nicht perfekt, dort hat es nicht geklappt … Ich bin dann immer ein bisschen enttäuscht und habe überhaupt nicht das Gefühl, dem Himmel nah zu sein.
Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Alltag?
Musik ist ein enorm wichtiger, zentraler Bestandteil meines Lebens. Aber ich versuche, kein Fachidiot zu sein. Im Gegenteil: Ich lese auch sehr gern, am liebsten Texte, die in einem historischen Zusammenhang stehen. Ich bin glücklich, dass ich in Polen lebe und arbeite – in einem Land mit einer lebendigen, reichen Kulturszene. Durch meine frühere Frau lernte ich es richtig kennen; inzwischen ist es zu meiner Heimat geworden. Für mich ist Polen das Zentrum Europas, in dem Osten und Westen zusammenkommen. ❋
Kai Bumann und das Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester
Die künstlerische Laufbahn des 57-jährigen gebürtigen Berliners Kai Bumann begann 1986 an verschiedenen Landes- und Stadttheatern. 1997 wurde er Chefdirigent der Staatsoper Krakau, ein Jahr später debütierte er an der Deutschen Oper Berlin. 2015 wurde er Chefdirigent der beiden Orchester der Philharmonie im polnischen Bromberg. Bereits 1998 übernahm er als Dirigent und künstlerischer Leiter das Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester. Das SJSO setzt sich aus bis zu hundert jungen Musiktalenten zwischen 15 und 25 Jahren zusammen. Unter der Leitung von Kai Bumann gehen die Musikerinnen und Musiker, die aus allen vier Landesteilen stammen, jeweils im Frühjahr und Herbst mit Werken aus allen Epochen der klassischen Musik auf Tournee.
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