Sie singt und komponiert, zeichnet und schreibt. Sie studierte Gesang und bildende Kunst. Ruth Dürrenmatt ist ein Multitalent. Mit ihrem berühmten Vater Friedrich Dürrenmatt verband sie die Liebe zur Malerei.
Ein leiser Ton kommt von Ruth Dürrenmatts Lippen, schwillt an, wird laut und erfüllt die Stube. Daraus entsteht eine Melodie, wehmütige Tonfolgen erklingen, werden leiser, verstummen. So komponiere sie, sagt Ruth Dürrenmatt, die 67-jährige Tochter des grossen Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt: «Von einem ersten Ton ausgehend ergibt sich eine Idee.» Diese träume sie weiter, manchmal meditiere sie dazu. Hat sich die Komposition in ihrem Kopf zusammengefügt, schreibt sie sie auf dem Computer nieder. Zurzeit entsteht ihr Werk «Der Winter», eine Auftragsarbeit für Mezzosopran, zwei Violinen, Viola, Cello und Cembalo.
Ruth Dürrenmatt sucht auf ihrem übervollen Arbeitstisch nach dem Laptop. Er liegt zwischen Büchern und Zeitschriften, Papieren und Dokumenten, Briefen und Karten. Ungeduldig drückt sie die Tasten und redet auf das Gerät ein, das nicht schnell genug auf ihre Eingaben reagiert. Gleichzeitig gibt sie Beat, ihrer männlichen Haushilfe, Anordnungen. Ruth Dürrenmatt sagt, was ihr durch den Kopf geht. Ihre Welt scheint ständig in Bewegung, sie selber gleichzeitig rastlos und nachdenklich, widersprüchlich und sanft: «Ich bin ein bisschen chaotisch.»
Das jüngste der drei Kinder von Friedrich Dürrenmatt und seiner ersten Frau, der Schauspielerin Lotti Geissler, ist Komponistin, Malerin, Kunsthandwerkerin, Dichterin, Sängerin. «Ich bin eine Hobbyistin», sagt sie von sich selber: «Alles, was ich mache, würde ich auch tun, wenn ich dafür nicht bezahlt würde.» Ständig ist sie am Werken, verschönert einen Mantel mit einem Band, verziert eine Agenda mit Zeichnungen, stickt mit kleinsten Stichen glitzernde Bilder. Daneben führt sie ein Gedanken-Buch, ein Traum-Buch, ein Tage-Buch, ein Analyse-Buch, ein Dürrenmatt-Buch … Darin schreibt sie alles auf, was mit ihrem Vater zu tun hat.
«Ruthli» wurde sie von ihrem Vater meist genannt, «Ruthle», wenn er über sie wütend war. Die Gemeinsamkeit zwischen Vater und Tochter war die Liebe zur Malerei, welche der Schriftsteller Dürrenmatt ebenso pflegte wie das Schreiben. Letztes Jahr zeigte das Centre Dürrenmatt Neuchâtel in der Ausstellung «Wie der Vater, so die Tochter» Bilder der beiden. Üppige Natur, märchenhafte Traum- und Fabelwesen bevölkern Ruth Dürrenmatts Gemälde und Stickereien. Im Gegensatz zu ihrem Vater ist die 67-Jährige überzeugt von einer alles umfassenden, göttlichen Präsenz. «Mein Vater würde mich wohl eine religiöse Atheistin nennen», sagt sie.
Enttäuscht war der sprachgewandte Schriftsteller-Vater Friedrich Dürrenmatt über die sprachlichen Fähigkeiten seiner Jüngsten, die an einer auffälligen Lese- und Schreibschwäche litt. «Gelang mir ausnahmsweise ein Text, waren die Lehrkräfte überzeugt, mein Vater habe mir dabei geholfen.» Sei er missraten, habe es geheissen: «Schämst du dich nicht als Tochter eines Dichters?» Heute kann Ruth Dürrenmatt darüber lachen.
Wegen ihrer Legasthenie wurde Ruth Dürrenmatt in einer heilpädagogischen Institution im Berner Seeland eingeschult. Mit dreizehn bekam sie Gesangsunterricht: «Ich krähte und sang wie eine Verrückte.» Sie improvisierte auf dem Klavier und auf der Geige. Schlager verabscheute sie, Schubert-Lieder liebte sie. Sie absolvierte in Stuttgart, München und Zürich die Ausbildung zur Opernsängerin. 1980 wanderte sie in die USA aus, studierte in Florida bildende Kunst und führte bis zu ihrer Rückkehr nach Bern im Jahr 2003 eine Galerie.
Masslos sei sie, bei ihr gebe es nur ein «entweder oder», ein «alles oder nichts». In jungen Jahren hatte Ruth Dürrenmatt nach einer Operation eine Nahtod-Erfahrung. Mit unbändigem Willen kämpfte sie sich ins Leben zurück. Dieser Wille ist ihr bis heute geblieben: Trotz ständiger Schmerzen – seit vielen Jahren leidet sie an einer chronischen rheumatischen Muskelerkrankung – lacht sie oft und gern. Dank einer Magenoperation habe sie viele Kilos verloren. Trotzdem stützt sie sich auf dem Weg in ihr Atelier, das nur wenige Gehminuten von ihrer Wohnung entfernt liegt, auf den Rollator. Dort verbringe sie die glücklichsten Tage – inmitten ihrer farbenprächtigen Stickereien und Gemälde, die so viel Vitalität und Lebenskraft ausstrahlen.
Uraufführung des Werks von Ruth Dürrenmatt «Der Winter»: Sonntag, 17. März 2019, 17 Uhr in der Kirche St. Martin Hochdorf LU
Centre Dürrenmatt Neuchâtel, Pertuis-du-Sault 74, 2000 Neuchâtel, Telefon 058 466 70 60, Internet www.cdn.ch
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