Hausarztmedizin ist Beziehungsmedizin
Neue Arbeitsmodelle, passende Weiterbildung und die Förderung der hausärztlichen Forschung sorgen auch zukünftig für genügend Allgemeinpraktikerinnen und -praktiker, ist der Präsident von Hausärzte Schweiz überzeugt.
Der Hausarzt alter Schule mit eigener Praxis stirbt aus. Junge Ärztinnen undÄrzte wollen in Gemeinschaftspraxen mit geregelten Arbeitszeiten tätig sein.Warum gibt es diese Entwicklung?
Die moderne Hausärztin arbeitet in einem Team, macht Hausbesuche, fühlt sich verantwortlich für ihre Patientinnen auch neben den Praxisöffnungszeiten, aber sie ist besser organisiert, verteilt die Last auf mehr Schultern und eröffnet sich damit Freiräume für Familie und Privates. Dies ist nicht eine Veränderung nur innerhalb der Hausärzteschaft, sondern eine gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Selbstbestimmung und weniger Fremdbestimmung.
Bestimmte Versicherungsmodelle erfordern einen Hausarzt, aber der ist immer schwieriger zu finden.
Kurzfristig sind wir in Engpässen, aber wir sind auf gutem Weg, mehr Hausärzte auszubilden. Wir haben sicher eine Durststrecke von fünf bis zehn Jahren, bis sich die Situation entspannt. Deshalb überlegen wir uns, was unsere Kernkompetenzen sind und welche Aufgaben auch andere Berufsgruppen übernehmen können, zum Beispiel gut ausgebildete Praxisassistentinnen. Der Einbezug von spezialisierten Pflegefachpersonen, Physiotherapeuten, Ergotherapeutinnen, Psychologen oder Apothekerinnen ist ebenfalls sinnvoll.
Wie lässt sich in der Patientenbetreuung Kontinuität garantieren, wenn mehrere Teilzeit-Ärztinnen oder -Ärzte für einen Fall zuständig sind?
Hier hilft uns die elektronische Krankengeschichte weiter. In einem Team arbeiten alle mit der gleichen Dokumentation, entsprechend sind alle mit den Informationen eines Patienten immer à jour. Teamgespräche, direkter Austausch unter den Behandelnden sind ebenfalls wichtig.
Die Patienten sollten mehr Eigenverantwortung zeigen. Welche Massnahmen sind dafür nötig?
Die Schweiz hat ein recht grosses Defizit, wenn man die internationalen Vergleiche bezüglich Gesundheitskompetenz der Bevölkerung ansieht. Auf verschiedenen Ebenen muss unbedingt mehr gemacht werden. Zum einen sollte man schon in den frühesten Jahren (Krippe, Kindergarten, Schule) Gesundheit thematisieren: Was esse ich? Wie bewege ich mich? Als Ärztinnen und Ärzte sollten wir unseren Patienten Informationen zur Verfügung stellen, damit sie in einem gemeinsamen Prozess über weitere Abklärungen und Therapien entscheiden können. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung muss so verstärkt werden, dass Werbungen für unnütze Verfahren erkannt werden, damit nicht immer alles nur Erdenkliche verlangt wird, auch wenn es keinen Sinn macht.
Was raten Sie älteren Patientinnen und Patienten, die sich schwertun mit der digitalisierten, modernen Medizin und den vertrauten ärztlichen Gesprächspartner von früher vermissen?
Hausarztmedizin ist Beziehungsmedizin. Die elektronischen Medien werden nie den direkten Austausch zwischen Ärztin und Patient ersetzen, sondern ergänzen. Auch in Zukunft werden Hausärztinnen als vertraute Gesprächspartner zur Verfügung stehen, vielleicht nicht für jede Kleinigkeit, aber sicher für wichtige Entscheidungen. Deshalb ist es uns auch wichtig, dass Patientinnen und Ärzte sich finden, die sich verstehen. Das bedingt, dass ich als Patient gewisse Wahlmöglichkeiten haben muss.
Was wird auf politischer Seite unternommen, damit junge Frauen und Männer den Hausarztberuf ergreifen?
Von politischer Seite her ist schon viel gemacht worden: Im Zusammenhang mit der Hausarztinitiative wurde der Masterplan Hausarztmedizin geschaffen, der Bund hat finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, die Institute für Hausarztmedizin konnten aufgebaut werden, die Präsenz im Studium wurde deutlich erweitert. Stiftungen und Kantone haben zunehmend Stellen geschaffen, die es erlauben, in den Praxen einen Teil der Weiterbildung zu absolvieren. So können wir in einem 1:1-Unterricht den Studentinnen und Studenten zeigen, wie spannend und anspruchsvoll unsere Arbeit ist.