Nicht lustig
Mit «Joker» bricht Regisseur Todd Philips den Reigen der üblichen Comic-Verfilmungen und holt die Geschichte des Erzfeinds von Batman auf den harten Boden der Realität.
New York oder eben Gotham City, wie die Metropole in den Batman-Comics genannt wird, in den Achtzigerjahren. Das soziale Gleichgewicht ist aus den Fugen. Banker und die Wall-Street-Anhänger verdienen sich dumm und dämlich auf dem Rücken der mittellosen Masse. Mehr und mehr regt sich Unmut gegen die Überheblichkeit der monetären Elite, deren einziger Massstab der Profit ist.
Unter prekären Verhältnissen vegetiert Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) zusammen mit seiner pflegebedürftigen Mutter (Frances Conroy). Mit Gelegenheitsjobs als Clown versucht sich Arthur durchzuschlagen und träumt von einer Karriere als Komiker. Doch selbst seine Mutter findet, dass er kein Talent dazu hat. Sie ist vielmehr überzeugt, dass Thomas Wayne, Multimilliardär und Bürgermeisterkandidat, sich ihrer erbarmen wird. Schliesslich hatte sie viele Jahre im Dienst der Waynes gestanden. Doch ihre Briefe bleiben unbeantwortet.
Ein ungesundes Lachen
Durch eine Verkettung von Ungerechtigkeiten und einem Missgeschick verliert Arthur auch noch seinen Job – sein Lachen behält er trotzdem. Es ist kein gesundes Lachen, sondern eine Art Zwangshandlung, die er nicht kontrollieren kann. Ähnlich dem Tourette-Syndrom, das von unwillkürlichen Bewegungen und Lautäusserungen geprägt ist, hat Arthur Lachanfälle. Diese bringen ihn oft in Schwierigkeiten. Als er einmal mehr zusammengeschlagen wird, setzt er sich zur Wehr und erschiesst seine Angreifer. Er kann nicht ahnen, dass er mit seiner brutalen Tat, die er in voller Clown-Montur begangen hat, zur Symbolfigur des wachsenden Widerstands gegen das Establishments von Gotham wird.
Wenn man Regisseur Todd Philips Ursprungsgeschichte des Jokers etwas vorwerfen möchte, so wäre dies, dass einer Person allein so viel Pech eigentlich nicht widerfahren kann. Es gibt keinen Lichtblick im Leben von Arthur Fleck, und alles, was danach aussieht, gleicht eher einer Wahnvorstellung. Doch im Vergleich zu den sonst fürs Comic-Genre üblichen Überzeichnungen nimmt sich die unablässige Verkettung von Schicksalsschlägen bescheiden aus. Dafür ist die schauspielerische Leistung von Joaquin Phoenix wirklich eindrücklich. Der Hollywoodstar hat für die Rolle 24 Kilo abgenommen und seinem Körper damit fast animalische Züge verliehen. Den Autoren des Films ging es darum, das Comic-Genre auf den Boden des Alltags zu holen und es zu «vermenschlichen», wie Todd Phillips gegenüber dem Magazin «Total Film» erklärte.
Atypisch, aber sehr erfolgreich
Phillips schwebte ursprünglich eine Serie von düsteren Low-Budget-Porträtfilmen von Superhelden und Bösewichten vor. Sie sollten nichts mit den Mega-Produktionen à la «Superman» und «Justice League» zu tun haben. «Joker» sollte den Reigen eröffnen. Die Studioverantwortlichen hielten aber wenig von der Serienidee, aber dafür umso mehr von einer neuen Origin-Geschichte des «Clown Prince of Crime». Dieser Entscheid könnte nun aber infrage gestellt werden, denn «Joker» hat weltweit fast eine Milliarde Dollar eingespielt und besetzt auch in unseren Kinos Platz Eins.
In Interviews betont Todd Phillips, dass er sich für seinen Film an keiner Comic-Vorlage orientiert habe. Dennoch sind Parallelen zu Alan Moores Meilenstein «The Killing Joke» auszumachen, denn hier wie dort fängt die Hauptfigur als glückloser Stand-up-Comedian an, dem das Schicksal nur die allerlausigsten Karten austeilt.
Weder gut noch böse
Der neue Joker ist das Produkt einer gnadenlosen Gesellschaft, in der die Leute über Leichen gehen, und wo diejenigen, die nicht den Konventionen entsprechen, zuerst schikaniert, dann gedemütigt und zum Schluss ausgestossen werden. So schreibt der erfolglose Komiker Arthur Fleck einmal in sein Gag-Buch: «Das Schlimmste an einer Geisteskrankheit ist, dass die Menschen von dir erwarten, dass du dich so benimmst, als hättest du keine.» Hauptdarsteller Joaquin Phoenix erklärte am Filmfestival in Venedig seine Faszination für die Figur damit, dass er nie wirklich nachvollziehen konnte, was den Joker motiviert: «Üblicherweise hat man in Genre-Filmen eine klare Rollenaufteilung in Gut und Böse. Man spielt entweder den Helden oder den Fiesling. Das ist hier nicht der Fall.»
«Joker» ist ein gesellschaftskritisches Drama, das seinen Ursprung in der Welt der Comics hat, aber sich fern von den gängigen Verfilmungen bewegt. Philips Werk, das nicht vor brutalen Szenen zurückschreckt, um die Psychose des Protagonisten zu illustrieren, reiht sich vielmehr in die Reihe der Ausnahmen wie «V for Vendetta» oder «Logan, dem Niedergang Wolverines». Dort rennt noch kein Superheld im Fledermauskostüm herum. Es regiert der alltägliche Wahnsinn, die Superhelden müssen erst geboren werden.
«Joker» von Todd Philips mit Joaquin Phoenix und Robert De Niro, jetzt im Kino.
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