Um sich vor einem Corona-Infekt zu schützen, müssen Menschen über 65 weitgehend zu Hause bleiben. Wie lässt sich der Alltag gestalten, damit wir die Krise heil überstehen? Ein Experte weiss Rat.
Albert Wettstein ist gerade beschäftigt. «Rufen Sie mich bitte später an», sagt er lachend. «Ich spaziere im Moment durch den Wald. Die Sonne scheint, die Welt ist schön – das Corona muss warten.» Der 73-Jährige war 28 Jahre Chefarzt des Stadtärztlichen Dienstes Zürich – und unter anderem auch für die städtischen Pflegeheime sowie für Einrichtungen für Demenzkranke verantwortlich. Vor acht Jahren wurde er pensioniert, seither leitet er die Fachkommission der unabhängigen Beschwerdestelle des Kantons Zürich. Nun gehört er altersbedingt zum Kreis jener Menschen, die nicht mehr selber einkaufen und den Umgang mit anderen meiden müssen. Wie also erlebt und überlebt er den Stillstand?
Herr Wettstein, wir haben Sie eben beim Spaziergang gestört. Dürfen Sie denn an die frische Luft? Natürlich darf ich das. Selbst Daniel Koch, Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), hat explizit darauf verwiesen, dass ältere Menschen selbst in Corona- Zeiten draussen spazieren gehen und etwas Sonne tanken sollten. Ich selber bin täglich mindestens eine Stunde unterwegs.
Haben Sie keine Angst, sich unterwegs anzustecken? Selbstredend halte ich mich an die Weisungen des BAG. Ich meide stark frequentierte Plätze oder Wege. Und kommt mir jemand entgegen, gebe ich wenn nötig Handzeichen: So ist der Zwei-Meter-Abstand beim Kreuzen gewahrt.
Weshalb sind Spaziergänge in diesen Zeiten derart wichtig? Stillstand setzt älteren Menschen besonders zu – und bringt eine Abwärtsspirale in Schwung. Entsprechend gilt es ihn zu vermeiden. Gewöhnliches Gehen ist ein gutes Mittel dagegen. Dahinter wirkt ein höchst komplexer Ablauf, der Geist und Körper gleichermassen fit hält.
Gut zu wissen
So bleiben Sie in Schwung: Die Kampagne «Sicher gehen – sicher stehen» von Pro Senectute, der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu und der Gesundheitsförderung Schweiz bietet auf sichergehen.ch Trainingsprogramme verschiedener Schwierigkeitsgrade an, die auf Kraft, Gleichgewicht und Beweglichkeit ausgerichtet sind. Mit den kognitivmotorischen Trainingseinheiten wird zudem das Zusammenspiel zwischen Bewegung und Hirnleistung gefördert. Mehr Infos auf sichergehen.ch.
Die bfu hat noch andere Übungen zusammengetragen, mit denen man sich vor dem Sofa in Schwung halten kann – zugeschnitten auf verschiedene Altersklassen. Infos dazu finden Sie unter mobilesport.ch.
Gründen Sie Telefonketten: Das Ziel: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen sich regelmässig und in fixer Reihenfolge gegenseitig anrufen. Informationen, wie sich Telefonketten gründen lassen, finden Sie auf prosenectute.ch/telefonketten. Auf prosenectute.ch finden Sie auch andere Tipps für den CoronaAlltag.
Knüpfen Sie Kontakt mit anderen: Auch auf zeitlupe.ch können Sie Mail und andere Freundschaften begründen: Der sonst kostenpflichtige digitale Treffpunkt ist bis auf Weiteres gratis. Infos dazu finden Sie auf unserer Homepage.
Betagte Menschen sind auf Hilfe angewiesen und trauen sich ohne Begleitung nicht aus der Wohnung. «Unsicheren Frauen und Männern emp- fehle ich Mini-Spaziergänge auf dem Balkon oder rund um den Tisch», sagt der Gerontologie-Experte. Eine taugliche Alternative: Setzen Sie sich auf einen Stuhl. Stehen Sie auf, gehen ein paar Schritte hin und her. Danach setzen Sie sich wie- der auf den Stuhl und wiederholen den Ablauf mehrfach. «Auch das hilft», sagt Wettstein.
Genauso wichtig ist es, sich von der Tristesse nicht zu entmutigen lassen – vor allem das Alleinsein zehrt an den Kräften. «Soziale Kontakte sind jetzt elementar», sagt Albert Wettstein. Er rät Menschen, sich mit anderen möglichst oft und vor allem regelmässig auszutauschen und Kontakte zu pflegen. «Denn Gespräche mit anderen stärken unsere Gesundheit und unser Immunsystem, egal ob sie zusammen an einem Tisch oder übers Telefon geführt werden.»
Rufen Sie Ihre Bekannten an, skypen Sie mit ihnen, schreiben Sie Briefe – jetzt haben wir genügend Zeit, Freundschaften zu pflegen.
Albert Wettstein, Gerontologie-Experte
Menschen aus Risikogruppen müssen soziale Kontakte meiden – wie sollen sie mit anderen ins Gespräch kommen? Ich rate den Menschen: Rufen Sie Ihre Bekannten an, skypen Sie mit ihnen, schreiben Sie Briefe – jetzt haben wir genügend Zeit, Freundschaften zu pflegen. Ich selber greife derzeit auch fleissig zum Telefonhörer. Mein Bruder lebt in einem Pflegeheim und ich darf ihn nicht besuchen, also spre- chen wir uns am Telefon.
Hält uns der Austausch tatsächlich gesund? Durchaus. Mir fällt dazu eine Studie ein, welche die Wirkkraft sozialer Kontakte vor Hüftoperationen untersucht hat. Menschen, die bis kurz vor dem Eingriff täglich im Austausch mit anderen standen, hatten in den folgenden zwei Jahren fünf Mal weniger Komplikationen, auch das Sterbe- risiko war fünf Mal niedriger.
Psychologen raten Menschen, ihren Zuhause-Alltag klar zu strukturieren: zur gleichen Zeit aufstehen, sich täglich Gutes tun (etwa in der Kör- perpflege), regelmässig essen, Rituale in den Tagesablauf einbauen, zur gleichen Zeit schlafen gehen. Albert Wettstein nutzt die viele Zeit zu Hause, um alte Pendenzen zu erledigen. Eben hat er ein kaputtes Elektrogerät repariert, nach dem Telefoninterview will er seine Papiere im Büro weiter ordnen. «Man kann die viele Zeit, die uns Corona einräumt, absitzen oder nutzen», sagt er. Er hat sich für Letzteres entschieden.
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