Fürs Schweizer Fernsehen realisierte Marianne Pletscher zahlreiche Dokumentarfilme. Die Journalistin schreckte auch vor schwierigen Themen nicht zurück. Nun erscheint ihr neustes Buch mit Porträts von Menschen über neunzig.
Text: Usch Vollenwyder
Ihr neues Buch «90plus – mit Gelassenheit und Lebensfreude» habe ihre Haltung zum Altwerden verändert, sagt Marianne Pletscher. Die Filmschaffende und Journalistin erzählt darin neun Geschichten von Menschen zwischen 91 und 101 Jahren: «Das hohe Alter hat für mich viel von seinem Schrecken verloren. Diese Männer und Frauen sind meine Vorbilder geworden.» Nichts sei ihnen in den Schoss gefallen, nicht immer habe es das Schicksal gut mit ihnen gemeint, und alle hätten sie mit kleineren oder grösseren Altersbeschwerden zu kämpfen. «Gemeinsam ist ihnen die positive Grundhaltung dem Leben gegenüber.»
Marianne Pletscher realisierte das Buch zusammen mit dem jungen Fotografen Marc Bachmann. Keine inszenierten Porträtaufnahmen ergänzen die neun Texte, sondern dokumentarische Bilder, die die alten Menschen in ihrem Umfeld zeigen: unterwegs, bei Alltagstätigkeiten oder im Gespräch. Die Fotostrecken zeigen Aufnahmen von sieben Frauen, zwei Männern und einem Ehepaar, die zufrieden mit ihrem Leben sind und gelassen der Zukunft entgegensehen. Marianne Pletscher sagt über ihre Gesprächspartnerinnen und -partner: «Alle altern anders, aber alle altern gut.»
Die ausgebildete Dolmetscherin kam bereits mit 24 Jahren zum Fernsehen. Sie wurde zunächst Reporterin und Redaktorin bei der damaligen «Antenne», arbeitete später beim «Kassensturz» und der «Rundschau» und war als Auslandkorrespondentin und Produzentin tätig. Sie realisierte Kurzbeiträge und merkte schon bald, dass ihr Interesse dem Dokumentarfilmen galt: «Dabei konnte ich Themen ausloten und in die Tiefe gehen.» Ihr Film über das Zürcher Frauenhaus 1999 war ein Meilenstein auf ihrem beruflichen Weg: «Von nun an konnte ich meine Themen selber wählen.»
Insgesamt fünfmal kündigte Marianne Pletscher beim Schweizer Fernsehen und nahm sich eine Auszeit: Sie absolvierte eine Filmausbildung in Hollywood und unterrichtete zusammen mit ihrem Lebenspartner, dem Kameramann Werner Schneider, das Fach Dokumentarfilm an der internationalen Film- und Fernsehschule in Kuba. Sie war in Nepal tätig und dozierte am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern. Fünfmal wurde sie nach ihrer Rückkehr vom Schweizer Fernsehen gleich wieder angestellt. Drei Dokumentarfilme, vor allem für die Sendung DOK, hatte sie pro Jahr zu realisieren. Insgesamt produzierte sie Dutzende von Filmen und wurde vielfach ausgezeichnet.
Keine Angst vor schwierigen Themen
Marianne Pletscher interessiert sich für Menschen und ihr Leben. Dann entstehe eine Beziehung, so wachse Vertrauen. Filmend nähert sie sich auch schwierigen Themen an: Krankheit, Alter und Tod, Demenz und Sterben, Gewalt und Krieg. Sie musste lernen, nach solchen Aufträgen wieder in ihre eigene Welt zurückzufinden. «Schwierige Themen machen mich demütig», sagt sie. Demütig, weil es keinen Grund gebe, dass es ihr so viel besser gehe als anderen Menschen.
Ihr letzter Film fürs Fernsehen, bevor sie sich nach ihrer Pensionierung 2011 selbständig machte, ist gleichzeitig ihr persönlichster. «Dein Schmerz ist auch mein Schmerz» ist der Titel des Dokumentarfilms über Suizid, vor allem über die Zurückbleibenden: «Sie müssen damit fertig werden, dass ein geliebter Mensch sie ohne ein Wort des Abschieds verlassen hat.» Marianne Pletscher hat diese leidvolle Erfahrung selber gemacht. Ihr langjähriger Partner Werner Schneider hatte sich nach den ersten Anzeichen einer beginnenden Demenz mit einem Revolver das Leben genommen. Marianne Pletscher hätte sich für ihren Lebensgefährten einen sanfteren Tod mit Exit gewünscht.
Noch immer steht am Türschild – Marianne Pletscher wohnt im Norden Zürichs – der Name ihres Partners. Bis letztes Jahr war sie auch noch regelmässig mit seinem Segelschiff, das ihm so viel bedeutet hatte, unterwegs. Erst jetzt konnte sie sich davon trennen. Beruflich bleibt Marianne Pletscher auch mit über siebzig aktiv; die Ideen für weitere Dokumentarfilme und Bücher gehen ihr nicht aus. Sie unterrichtet nach wie vor an der Film- und Fernsehschule in Kuba und betreut junge Filmschaffende in der Schweiz: «Ich will arbeiten, so lange ich kann und so lange ich mag.» ❋
Buchtipp und Buchpräsentation
Marianne Pletscher/Marc Bachmann: «90plus – mit Gelassenheit und Lebensfreude». Limmat Verlag, 220 S., 150 Fotografien, ca. CHF 46.–. Buchpräsentation am Dienstag, 21. Mai 2019, 18 Uhr bis ca. 20 Uhr in der Pro-Senectute-Bibliothek, Bederstrasse 33, 8002 Zürich. Anmeldung Telefon 044 283 89 81 oder per Mail bibliothek@prosenectute.ch. Der Eintritt ist frei.
Das Thema interessiert Sie?
Werden Sie Abonnent/in der Zeitlupe.
Neben den Print-Ausgaben der Zeitlupe erhalten Sie Zugang zu sämtlichen Online-Inhalten von zeitlupe.ch, können sich alle Magazin-Artikel mit Hördateien vorlesen lassen und erhalten Zugang zur Online-Community «Treffpunkt».
Um diese Website optimal bereitzustellen, verwenden wir Cookies.
Mit der Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Erfahren Sie mehr in der
Datenschutzerklärung.