Online entgleisen Anstand und Respekt immer wieder, dabei sind auch Beschimpfungen im Netz, sogenannter Hate Speech, oft strafbar.
Der Glaube, dass das Internet ein rechtsfreier Raum sei, in dem man alles tun, lassen und sagen kann, ist immer noch weit verbreitet. Doch das trifft in keiner Weise zu. Beleidigungen, Beschimpfungen und rassistische Äusserungen im Netz – kurz «Hate Speech» oder Online-Hassrede – stellen oft strafbare Handlungen dar. In Online-Foren, sozialen Netzwerken, aber auch in Kommentarspalten von Zeitungen machen viele ihrem Unmut Luft. Das ist auch völlig in Ordnung, solange das Recht beachtet wird. Doch im Schutz vermeintlicher Anonymität oder als Teil eines (Online-)Mobs geht dies oft vergessen.
Betroffen von Hate Speech können Privatpersonen sein, aber sehr oft trifft es auch Menschen, die im öffentlichen Rampenlicht stehen wie die ehemalige grüne Kantonsrätin des Kantons Zug Jolanda Spiess-Hegglin. Eine beispiellose Hetzkampagne gegen ihre Person in den Boulevardmedien hat sie gewissermassen «zum Abschuss» freigegeben. Ihre bittere Erfahrung zeichnet folgendes Täterprofil: «Plakativ gesagt ist der Beschimpfer im Netz der alte, weisse Männer, SVP-Wähler oder -Mandatsträger und wohnt in der Ostschweiz. Zumindest in jenen Fällen, die mich betreffen oder die ich bearbeite.»
Warum gerade ältere Männer zu Wutbürgern werden, erklärt sich die Gründerin des Vereins #Netzcourage, der Opfer von Beschimpfungen und Verleumdungen unterstützt, wie folgt: «Der jüngeren Generation wird in der Schule mitgegeben, dass online die gleichen Regeln gelten wie im Alltag und online die Beweisführung oft einfacher ist. Für Rentner ist das Internet vielfach Neuland, eine Alternative zum Stammtisch in der Beiz. Die Folgen ihrer unkontrollierten Online-Schimpftiraden werden ihnen erst dann klar, wenn ein eingeschriebener Brief der Staatsanwaltschaft eintrifft.» Jolanda Spiess-Hegglin ist auch aufgefallen, dass die Angriffe auf Männer anders ausfallen als bei Frauen: «Bei Männern wird die Kompetenz angezweifelt, bei Frauen zielen neun von zehn Angriffen auf den Körper oder die Sexualität.»
Während viele Leute solche Online-Angriffe als – wenn auch rüden – «Umgangston» hinnehmen, setzt sich neben #Netzcourage auch die Organisation Silenccio ein, dass Anstand auch im Netz respektiert wird. Mitgegründet wurde diese Plattform von Urs Saxer, Rechtsanwalt und Professor für Staats- und Medienrecht an der Universität Zürich. Seine Erfahrung hat gezeigt, dass meist eine Abmahnung reicht, damit die gehässige und möglicherweise strafrechtlich relevante Äusserung vom Urheber gelöscht wird. Silenccio hat auch ein Tool entwickelt, das für Kundinnen und Kunden das Netz nach verunglimpfenden Botschaften zur Person durchsucht. Dafür haben sie den Innovationspreis der Schweizer Asserkuranz erhalten. Bleibt etwas im Filter hängen, kann man an Silenccio einen Screenshot schicken, und die Autorin des Beitrags erhält eine Mail, die zur Löschung auffordert.
«Viele Leute sind sich der Wirkung gar nicht bewusst, die sie mit ihren hasserfüllten Angriffen auslösen», sagt Jolanda Spiess-Hegglin. «Sie sehen den Menschen dahinter gar nicht.» Deshalb geht sie in einem ersten Schritt auf die Wutbürger zu, trifft sich mit ihnen zu einem Kaffee. Nach solchen Begegnungen kommt es oft zu einem aussergerichtlichen Vergleich und: «Manchmal werden die Herren dann auch Mitglied von #Netzcourage, weil sie erkannt haben, welchen Fehler sie gemacht haben.» ❋
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