Wir holen alles nach, Kapitel 8 Von Martina Borger
«Meinst du, die Grösse reicht?» Torsten kniet auf dem Fussboden, als sie ins Schlafzimmer kommt. Er hat vor dem Bett ein Zelt ausgebreitet, das er jetzt skeptisch beäugt. Sina verkneift sich die Frage, wozu er das Teil ausgepackt hat. Die gute Absicht zählt.
Torsten hat sich von seinem Kollegen Bernie, mit dem er sich während seiner ersten Arbeitswoche schon angefreundet hat und der Vater von sechsjährigen Zwillingen ist, das Zelt ausgeliehen. Angeblich sollen drei Personen darin Platz finden, Sina hat daran ihre Zweifel. Aber für Torsten und Elvis wird es genügen. Bernie hat Torsten ausserdem mit zwei Isomatten, zwei Schlafsäcken und einem kleinen Campingkocher ausgestattet, außer Proviant fehlt eigentlich nichts mehr.
«Bestimmt», sagt sie. «Es ist ja nur für eine Nacht. Echt nett von deinem Kollegen.»
«Ja, Bernie ist super», Torsten greift sich die Anleitung für den Zeltaufbau. «Ich muss mir überlegen, wie ich mich revanchiere. Ihr habt doch mal Werbung für diesen Whisky gemacht, kannst du davon noch eine Flasche organisieren?»
«Ich schau mal.»
Der einzige Vorbehalt, den Sina gegenüber dem ihr noch unbekannten Bernie hat, ist die Tatsache, dass er laut Torsten ein Feierbiest ist. Was im Klartext heisst: Er trinkt gerne. Nach dem Squash gestern hat er Torsten noch mit in eine Kneipe geschleppt, «ist doch das Schönste am Sport», hat er gesagt. Torsten hatte, so sagt er, kein Problem, inmitten all der Kollegen, die Halbe und Radler und Russen und Weisswein konsumierten, bei seiner Saftschorle zu bleiben, es gab offenbar auch keine dummen Sprüche. Die Männer wissen von seinem Handicap, wie er es selbst nennt, er hat es gleich am ersten Tag in der Kantine erzählt, wenn auch nur im kleineren Kreis, zu dem auch Bernie gehört.
Sina geht zum Schrank, knöpft sich dabei schon die verschwitzte Bluse auf, zerrt sie sich von den Schultern und wirft sie aufs Bett. Sie riecht nach Schweiss, schon seit dem Nachmittag. Die Freitage sind in der Agentur immer besonders stressig, alles, was während der Woche liegengeblieben ist, soll in ein paar Stunden abgearbeitet werden, H. C. nervt dann noch mehr als sonst. Wenn sie wenigstens das Wochenende freihätte.
«Danke, dass du Elvis abgeholt hast.» Sie öffnet den Schrank. «Wir gehen nicht mehr weg, oder?» Ansonsten müsste sie duschen, aber dazu hat sie keine Lust, bei der Hitze fühlt sie sich ständig schlapp, ausserdem tun ihr die Beine weh. Hoffentlich kriegt sie keine Grippe.
«Essen, meinst du?» Torsten beginnt, das Zelt wieder abzubauen, wird spannend, ob er das ganze Ding wieder in die verblüffend kleine Hülle be- kommt. «Lass uns doch hierbleiben. Wir können uns eine Pizza bestellen. Oder ich mach ein paar Spaghetti, irgendwas haben wir bestimmt noch im Haus.»
«Mir total recht.» Sina greift nach dem T-Shirt, das ganz oben auf dem Stapel liegt, und zieht es sich über. Jetzt nur noch die enge Jeans runter, stattdessen rein in die gemütliche Schlabberhose.
Als sie in der Küche die Vorratsschränke durchwühlt, kommt Elvis rein.
«Steinpilzrisotto oder Nudeln mit Fleischsosse? Und Salat dazu?»
«Nudeln gab’s heute Mittag schon bei Ellen.»
«Also Risotto.» Sina nimmt die beiden Tüten aus dem Schrank, wenn sie viel Parmesan dazugibt, schmeckt es ganz gut. «Ist aber wieder vegetarisch.»
«Macht mir nichts.»
«Zum Nachtisch haben wir noch Joghurt.» Sie holt einen Topf, stellt ihn auf den Herd, schaltet die Platte ein. Erst Olivenöl erhitzen, dann den Reis darin andünsten, sie kennt das auswendig.
«Morgen früh könnt ihr noch einkaufen gehen, Torsten und du. Damit ihr was zu essen habt bei eurem Ausflug. Würstchen vielleicht? Zelten macht hungrig.»
Sie giesst Öl in den Topf, holt aus dem Kühlschrank eine Salatgurke. Mist, Tomaten hat sie keine mehr. «Du darfst auch ein paar Süssigkeiten kaufen für Sonntag, wenn du bei Lukas bist. Oder Chips.» Sie wäscht die Gurke, trocknet sie ab. «Magst du die schneiden? Ellen sagt, du kochst gerne. Und machst das richtig gut.»
Kommentarlos holt Elvis ein Brett und nimmt ein Messer aus der Schublade, ausgerechnet das scharfe, an dem sie sich selbst schon mehrfach geschnitten hat. Soll sie ihm ein anderes geben? Oder darauf vertrauen, dass er vorsichtig ist?
Er nimmt ihr die Gurke aus der Hand. «Kann ich nicht lieber zu ihr?»
Sina gibt den Risotto in den Topf, rührt um, stellt die Flamme kleiner. «Zu Ellen? Das geht nicht, sie bekommt Besuch von einer Freundin, das hat sie dir doch sicher erzählt.»
«Ja. Sie holt sie nachher vom Zug ab.»
«Und die Wochenenden möchte sie sowieso gerne frei haben, sie braucht auch mal Zeit für sich, verstehst du?»
Sina beobachtet, wie Elvis vom Stielansatz der Gurke ein kleines Stück abschneidet, er ist wirklich vorsichtig, sie muss keine Angst haben.
«Magst du denn nicht mit Torsten zelten?», fragt sie sanft. «Er freut sich schon so darauf.» Das ist unfair, sie weiss es. Wieso muss ihr Sohn Rücksicht auf die Gefühle ihres Partners nehmen. Obwohl es stimmt, Torsten hat erst heute Morgen noch mal gesagt, dass er richtig Lust hat auf den Ausflug. Mit seinen Jungs wollte er so was schon längst mal machen, aber es wird vermutlich beim Wunsch bleiben. «Du hast doch gesagt, du möchtest gerne.»
«Schon.»
«Aber?»
Er antwortet nicht. Sina rührt den Risotto noch einmal um, dreht sich dann um und beobachtet Elvis, der konzentriert und langsam die Gurke schneidet, in dünne Scheiben, ganz gleichmässig. «Fändest du es schöner, wenn ich dabei wäre?»
Wieder keine Antwort, er scheint ganz auf seine Arbeit konzentriert.
«Ich würde auch viel lieber mitkommen anstatt zu arbeiten«, sagt sie. »Aber ich muss in die Agentur, leider.« Wie oft hat er diesen Satz wohl schon
gehört. «Es wird sicher ganz toll, mein Schatz. Ihr könnt schwimmen gehen. Und abends ein Feuer machen. Würstchen grillen. Euch Geschichten erzählen.»
Er legt das Messer weg. Die Gurke ist, bis auf das kleine Endstück, in vollkommen gleichmässige Scheiben geschnitten.
«Danke, das hast du toll gemacht.» Sie holt eine Schüssel aus dem Schrank, stellt sie neben das Schneidbrett.
«Und Sonntag?» Er schiebt die Gurkenscheiben behutsam mit dem Messer in die Schüssel. «Kann ich da nicht hier bei euch bleiben? Da musst du doch nicht mehr arbeiten.»
Das stimmt. Sie weiss es zwar erst seit heute Mittag, aber H. C. hat ihnen grossmütig wenigstens den einen Tag freigegeben. Aber wenn sie Katja jetzt wieder so kurzfristig absagt, steht sie nicht nur da wie eine unorganisierte Idiotin, sie verbaut sich damit auch eine zukünftige Betreuungsmöglichkeit.
Als Katja sie gestern Abend zurückgerufen hat, mochte Sina ihr nicht sagen, dass sich ihre Frage wegen Samstag schon erledigt hatte, es war ihr peinlich. Stattdessen hatte sie munter ein Treffen von Elvis und Lukas angeregt, die sich ja wegen der Ferien schon länger nicht mehr gesehen hatten, Elvis würde sich freuen.
Dies galt für Katja offenbar nicht; unter der Woche ginge es vor Schulbeginn nicht mehr, hatte sie gesagt, Lukas sei ausgebucht. Sina hatte daraufhin das übernächste Wochenende vorgeschlagen, da habe sie Zeit und könne mit den Jungs etwas unternehmen, aber da ging es auch nicht wegen der Gartenparty eines Freundes. Schliesslich hatte Katja, wenn auch ohne grosse Begeisterung, den kommenden Sonntag vorgeschlagen, «Elvis könnte mit uns in unser Landhaus. Aber wir brechen am Sonntag nicht vor zehn auf, und am Montag müssen wir früh zurück, Louis hat um neun eine Telko.»
Unser Landhaus. Sina konnte sich nur mit viel Mühe eine spöttische Bemerkung verkneifen, die Frau muss ihr wirklich bei jeder Gelegenheit aufs Brot schmieren, dass sie sogenannten besseren Kreisen angehört. Sie riss sich Elvis zuliebe zusammen, seine wenigen Freundschaften durfte sie ihm nicht auch noch verderben. Und nach einer Woche mit Ellen hatte er sich die Gesellschaft eines Gleichaltrigen weiss Gott verdient.
Sie beugt sich über ihn, legt die Arme um ihn und küsst ihn auf die Haare, die mal wieder gewaschen werden müssten. «Ach, mein Schatz», sagt sie, «das geht nicht. Aber ich bin ganz sicher, du wirst jede Menge Spass haben, erst mit Torsten, dann mit Lukas und seiner Familie. Vielleicht wirst du ein Abenteuer erleben. Und dann koch ich uns was Schönes und du erzählst mir, was du so alles erlebt hast, ja?»
Sie spürt sein Nicken an ihrer Wange, in ihren Armen aber gleichzeitig auch, dass er sich steif macht, als fühle er sich bedrängt von ihr und wolle am liebsten flüchten. Wie lange wird es noch dauern, dass er sich ihre Umarmungen und Zärtlichkeiten gefallen lässt? Die sie selbst so dringend braucht.
«Mist, der Risotto brennt an», sie lässt ihn los und dreht sich zum Herd. «Kannst du schon mal den Tisch decken? Es dauert nur noch eine Viertelstunde.»
Was bisher geschah:
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Martina Borger
Wurde 1956 geboren und arbeitete als Journalistin, Dramaturgin und Filmkritikerin, bevor sie sich aufs Drehbuchschreiben verlegte. Sie hat bei mehreren Serien als Storylinerin und Chef-Autorin gearbeitet. Gemeinsam mit Maria Elisabeth Straub veröffentlichte sie 2001 ihren ersten Roman «Katzenzungen», dem «Kleine Schwester» (2002), «Im Gehege» (2004) und «Sommer mit Emma» (2009) folgten. Ohne Co-Autorin erschien 2007 ihr Roman «Lieber Luca». Martina Borger lebt in München.
Martina Borger, «Wir holen alles nach», Roman, Diogenes
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2020 Diogenes Verlag AG, Zürich, www.diogenes.ch
120 / 20 / 44 / 1; ISBN 978 3 257 07130 6