Wenn der Schlaf zu viel Pause macht
Schlafstörungen im Alter sind häufig, und sie haben die vielfältigsten Ursachen. Bei der Behandlung kommen ebenso vielfältige Massnahmen infrage. Ohne Geduld und eine Anpassung der Lebensgewohnheiten lässt sich dem Schlaf aber nicht auf die Sprünge helfen.
Siebeneinhalb Stunden, von elf Uhr abends bis halb sieben Uhr morgens: So viel und in diesem zeitlichen Rahmen schlafen Schweizerinnen und Schweizer an Werktagen im Durchschnitt. Die Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen passt allerdings nicht in dieses Schema, weil bei den Pensionierten die Schlafzeit meist ganz anders aussieht: Früher, kürzer und schlechter lässt sich der Schlaf älterer Menschen beschreiben.
Störungen der Schlafqualität wie Ein- und Durchschlafschwierigkeiten oder frühes Erwachen kommen in der gesamten Bevölkerung vor. Mit zunehmendem Alter nehmen sie allerdings zu beziehungsweise nimmt die Schlafdauer ab. So gibt denn auch mehr als die Hälfte der Seniorinnen und Senioren an, in der Nacht nicht genügend Schlaf und somit zu wenig Erholung zu erhalten. Ständige Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit sind bei einem grossen Teil der Hausarztbesuche älterer Patienten ein Thema.
Im höheren Lebensalter wird der Schlaf instabil. Statt einer nächtlichen Hauptschlafperiode zeigen ältere Menschen ein mehrteiliges Schlafmuster mit weniger Tiefschlafphasen und einem grösseren Anteil an Phasen mit flachem Schlaf, ähnlich wie kleine Kinder. Durch Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus verschiebt sich der Zeitpunkt, an dem sie «bettreif» sind, nach vorn und lässt sie nach ausreichender Zeit in Morpheus’ Armen sehr früh am Morgen erwachen.
Der häufig verwendete Begriff «senile Bettflucht» für das zeitige Aufstehen der Älteren ist übrigens irreführend; auch solche, die gesundheitlich noch gut in Form sind, verlassen das Nachtlager oft in aller Frühe. Umgekehrt verstärken degenerative Erkrankungen vorhandene Schlafprobleme tatsächlich.
Wissenschaftliche Erklärungen bringen denjenigen aber kaum Trost, die sich ihr bisheriges Leben lang eines tiefen und festen Schlafs erfreuten und sich in späteren Jahren mit veränderten Tatsachen abfinden müssen. Zumal es sich bei den meisten um eine Lebensphase handelt, in der weniger Aufgaben oder Pflichten anstehen und Zeit und Musse für längeres Schlafen vorhanden sein sollten. Kommen zum fortgeschrittenen Alter mit seinen biologischen Veränderungen Schicksalsschläge, Krankheiten oder Unfälle dazu, wird der Schlaf des Gerechten plötzlich «ungerecht».
Misslungene Operation
So fühlte sich auch Frau A.* vom Schicksal gebeutelt, als sie nach einer Operation des grauen Stars massive Schlafprobleme bekam. Nicht etwa, dass sie Schmerzen gehabt hätte. Es waren mehr die psychischen Folgen des erfolglosen Eingriffes, die der sonst vitalen 83-Jährigen den Schlaf raubten. Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass sie nach der Augenoperation schlechter sah als vorher, und fühlte sich vom Arzt schlecht beraten. Durch das ständige Grübeln geriet sie in eine Depression und zog sich immer mehr zurück.
Die Schlafprobleme trugen wesentlich dazu bei, dass Frau A. nicht mehr aus dem Haus ging. Am Morgen war sie so gerädert, dass sie sich kaum anziehen mochte. Für einen Spaziergang oder eine andere, mit körperlicher Aktivität verbundene Unternehmung fehlte ihr die Energie. Wenn sie sich nach dem Mittagessen hinlegte, dann gelang es ihr, ein wenig zu dösen. Ein erholsamer Schlaf stellte sich aber nicht ein, sodass die alleinstehende Frau abends gegen zwanzig Uhr todmüde ins Bett fiel, aber weder gut ein- noch bis am Morgen durchschlafen konnte. Die Hausärztin verschrieb Schlaftabletten und Akupunktur.
Doch Medikamente wollte Frau A. keine schlucken, und die fernöstliche Medizin zeigte zu wenig Wirkung. Etwa sechs Monate nach Beginn der Schlafprobleme suchte die Patientin auf Zuweisung der Hausärztin das Zentrum für Psychosomatik in Zürich auf. Dieser 2015 eröffnete Ableger des Sanatoriums Kilchberg führt in seiner Spezialsprechstunde für Schlafstörungen und Chronotherapie diagnostische Abklärungen und therapeutische Massnahmen durch. Ein ausführliches Gespräch mit Schlafanamnese bildet die Grundlage für die Diagnose.
«Dabei lassen sich schon gewisse, dem Schlaf abträgliche Verhaltensmuster wie mangelnde Bewegung oder ein hoher Medikamentenkonsum erkennen», sagt die Schlafmedizinerin Annkathrin Pöpel. «Anschliessend füllen die Betroffenen zu Hause detaillierte Fragebögen aus und führen während zwei Wochen ein Schlaftagebuch, das wir zusammen mit den Aufzeichnungen eines Bewegungsmessgerätes auswerten.» Aufgrund dieser Daten, einer Blutuntersuchung sowie eines EKGs kann die Expertin beurteilen, ob die Schlafprobleme mehrheitlich psychisch bedingt sind und ob es im Schlaflabor einer weiteren Abklärung auf körperliche Ursachen bedarf.
«Bei Frau A. löste die Enttäuschung über die missglückte Augenoperation die Schlafprobleme aus. Bei jemand anderem kann das ein Unfall sein oder der Tod des Haustiers oder der plötzliche Verlust einer regelmässigen Tätigkeit. Geschehnisse, welche die Lebensgewohnheiten durcheinanderbringen, belasten oft die Schlaffähigkeit», erklärt Annkathrin Pöpel. «Ein solcher Zustand geht manchmal vorüber. Es kann sich aber auch eine chronische Insomnie daraus entwickeln.»
Die Rolle des Lichts
Der schlafgestörten Patientin riet sie, die regelmässigen Spaziergänge von früher wieder aufzunehmen, wegen der Bewegung und auch wegen des Lichts. «Tageslicht oder spezielle Lichtlampen spielen eine extrem wichtige Rolle in der Behandlung von altersbedingten Schlafstörungen. Rezeptoren in den Augen leiten Informationen ans Gehirn weiter, die den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflussen. Man weiss aus Untersuchungen, dass ältere Menschen, die den Grossteil des Tages in der Wohnung oder einem Altersheimzimmer mit niedriger Lichtstärke verbringen, mehr Schlafstörungen aufweisen.»
Zudem verordnete die Ärztin genau definierte Bettzeiten. Statt sich schon um zwanzig Uhr ins Bett zu legen, sollte Frau A., die chronotypisch eigentlich ein Morgenmensch, also eine Lerche ist, bis um 22 Uhr «durchhalten» und um sechs Uhr morgens aufstehen. Gegen die Depression bekam sie ein Antidepressivum mit schlafanstossender Wirkung.
Ein Jahr später schläft Frau A. besser. So gut wie vor der Augenoperation ist ihre Nachtruhe zwar noch immer nicht. Mit der Hilfe von Schlafmedizinerin Annkathrin Pöpel hat sie sich aber Methoden angeeignet, mit denen sie ihre Schlafprobleme möglichst eindämmen kann. Sie ist jeden Tag mindestens eine halbe Stunde zu Fuss unterwegs und geht nach Stundenplan zu Bett. Erwacht sie mitten in der Nacht, versucht sie, nicht zu grübeln, sondern aufzustehen und sich abzulenken, zum Beispiel mit Bügeln.
Neben psychisch oder psychiatrisch begründbaren Schlafstörungen gibt es ebenso viele Schlafstörungen mit organischen Ursachen. Zu den körperlichen Erkrankungen, die Ein- oder Durchschlafstörungen oder einen nicht erholsamen Schlaf nach sich ziehen, gehören Atemwegserkrankungen wie Asthma, neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz, metabolische Störungen wie Schilddrüsenfehlfunktion oder Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionskrankheiten, Erkrankungen der Leber oder Niere sowie jede Erkrankung mit Schmerzzuständen, also zum Beispiel rheumatische oder neurologische Leiden. Auch grundsätzliche Parameter wie erhöhter Blutdruck oder ungünstiger Blutzucker können Mitursachen sein, warum der Schlaf gestört ist.
Auch Herr B.* musste seine plötzlichen Schlafprobleme akzeptieren lernen. Vor zwölf Jahren erlitt der heute 78-Jährige einen Schlaganfall. Zurück blieb eine linksseitige «Dysästhesie», also durch eine Fehlfunktion des Nervensystems verursachte Schmerzen und Missempfindungen. Diese sind so stark, dass sie den Senior nicht nur tagsüber quälen, sondern ihm auch nachts den Schlaf rauben. Nachdem anfänglich weder Schmerz- noch Schlafmittel Linderung gebracht hatten und selbst ein Versuch mit Morphium im Spital erfolglos geblieben war, realisierte Herr B., dass er mit diesen Beschwerden umgehen musste, wenn er wieder schlafen wollte.
Seine Therapie besteht darin, dass er so viel wie möglich an die frische Luft geht und sich bewegt, um natürliche Müdigkeit herbeizuführen. Auch Aufgaben im Haushalt hat er vermehrt übernommen. Kopflastige Tätigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Computerarbeit machen ihn zwar müde, verstärken aber die Schmerzen. Ab und zu genehmige er sich abends ein Gläschen Whisky, um besser einschlafen zu können, verrät der Senior. Schliesslich wurde doch noch ein wirksames Medikament gegen die Schmerzen gefunden, das Herr B. in ganz schlimmen Nächten schlucken kann. Denn nicht nur er leidet, seine nächtliche Unruhe hält auch die Ehefrau vom Schlafen ab.
Nicht nur Medikamente
Die Beispiele von Frau A. und Herrn B. zeigen: Medikamente können bei der Behandlung von vielen Schlafstörungen eine wichtige Rolle spielen, besonders wenn damit Grunderkrankungen angegangen werden. Sie sollten aber niemals die einzige Massnahme darstellen. Eine konsequente Schlafhygiene und Anpassungen der Lebensgewohnheiten (siehe Box rechts) sind für einen gesunden Schlaf im Alter unablässig.
«Besonders die sogenannten Benzodiazepine müssen sehr vorsichtig eingesetzt werden», sagt Schlafmedizinerin Annkathrin Pöpel. »Die wirken in der Regel zwar schnell, aber der Körper gewöhnt sich daran und verlangt nach höheren Dosen, welche Tagesschläfrigkeit sowie ein grösseres Sturzrisiko nach sich ziehen. Länger als zwei Wochen lang sollten Schlaf- und Beruhigungsmittel mit dem Wirkstoff Benzodiazepin daher nicht eingenommen werden.» Falls jemand fürs Ein- und Durchschlafen längerfristig Hilfe in Pillenform benötige, seien eher Antidepressiva oder -psychotika sowie pflanzliche Mittel als Therapiemöglichkeit zu erwägen.
Bei spezifischen organischen Schlafstörungen wie Restless Legs (RLS) und Schlafapnoe-Syndrom sind Schlaftabletten wenig hilfreich. Diese in der älteren Bevölkerung häufigen Schlafstörungen verlangen einen ganz anderen Behandlungsansatz. Das Schlafapnoe-Syndrom ist bei Männern im fortgeschrittenen Alter und mit Übergewicht verbreitet sowie bei Frauen nach der Menopause. Die Betroffenen klagen zwar seltener über Einschlafprobleme oder frühes Erwachen, dafür über erhöhte Tagesschläfrigkeit, die Hypersomnie. Wegen kleiner Atemaussetzer aufgrund des Zusammenfallens der Atemwege im Bereich des Gaumens ist ihr Schlaf zerstückelt und wenig erholsam.
Bei der Untersuchung im Schlaflabor werden die Patienten verkabelt, damit das Resultat der Atmung im Blut (Sauerstoff, CO2 und Säuregehalt) gemessen werden kann. «Lässt sich mittels dieser Polysomnografie im Schlaflabor ein mittleres oder schweres Schlafapnoe-Syndrom nachweisen, ist die Anwendung eines sogenannten CPAP-Gerätes sinnvoll», sagt Arto Nirkko, Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin Luzern. Diese Schlafmaske sei etwas gewöhnungsbedürftig, aber meistens sofort wirksam. Durch Überdruck wird der Druck in den Luftwegen während des Schlafs so weit erhöht, dass sie an den engsten Stellen nicht zusammenfallen. Die Betroffenen und ihre Partnerinnen oder Partner profitieren umgehend von einer ungestörten Nachtruhe, auch das typische Schnarchen entfällt. Darüber hinaus kann die Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms andere Probleme wie etwa einen hohen Blutdruck positiv beeinflussen.
Restless Legs, unruhige Beine, plagen vermehrt Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. Missempfindungen der Füsse und Beine und ein grosser Bewegungsdrang lassen diese Patientinnen oft keinen Schlaf finden, wenn sie sich einmal zur Ruhe gebettet haben. Oft hilft nur Umhergehen, Abduschen oder Massieren gegen das Kribbeln, Ziehen oder Stechen in den Beinen. Da die Beschwerden in vielen Fällen durch einen Eisenmangel verstärkt werden, stellen bei diesem speziellen Schlafproblem Eisentabletten oder -infusionen eine mögliche Therapie dar.
Ein gestörter und wenig erholsamer Schlaf im Alter hängt also einerseits mit physiologischen Veränderungen im Rahmen des normalen Alterungsprozesses zusammen wie der Verschiebung der Schlaf-Wach-Zeiten. Als zweiter erschwerender Faktor nehmen im Alter altersspezifische Erkrankungen zu, die mit Schlafstörungen einhergehen. Wenn Seniorinnen und Senioren über Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit klagen, stecken meistens handfeste Gründe dahinter, dass sie zu wenig Schlaf kriegen.
Um Abhilfe zu schaffen und den jeweils besten Mix aus Anpassung der Lebensgewohnheiten und therapeutischen Massnahmen zu finden, ist Beratung durch Fachleute hilfreich. Vor allem sollten Schlafstörungen im Alter nicht als unabänderliches Übel hingenommen werden. Denn ausreichend nächtliche Erholung ist in jedem Alter nötig, um sich einigermassen gut zu fühlen und leistungsfähig zu sein. Wie sagte der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer? «Der Schlaf ist für den ganzen Menschen, was das Aufziehen für die Uhr.»
10 Tipps für einen gesunden Schlaf bis ins hohe Alter
- Lange Bettzeiten vermeiden
- Täglich zur selben Zeit aufstehen
- Für möglichst viel Bewegung im Alltag sorgen
- Abends auf Alkohol, Koffein und Tabak verzichten
- Keine Schlafmittel regelmässig einnehmen
- Bei Durchschlafproblemen das Bett verlassen und etwas tun
- Höchstens 30 Minuten Mittagsschlaf halten
- Mehr Zeit im Freien verbringen
- Das Schlafzimmer ruhig, kühl und dunkel einrichten
- Nach 18 Uhr nur noch wenig trinken
(Quelle: Klinik für Schlafmedizin Zurzach)