Coronamüde 5. Oktober 2020
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder ist 69 Jahre alt. Als Angehörige der Risikogruppe erzählt sie jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von sinnlosen Streitereien über ein endloses Thema.
Ich bin müde – coronamüde. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum ich mich über Themen auslasse, an denen es doch nichts zu ändern gibt. Ich streite sinnlos mit meiner Redaktionsfreundin, ereifere mich im Gespräch mit meiner Schwester und stänkere sogar mit meinem Mann. Grund ist die neue Corona-Kampagne des BAG «Mach’s einfach!». Die lapidare Aufforderung von oben macht mich kratzbürstig, lauthals lamentiere ich: «So muss mir keiner kommen, weder das BAG und auch nicht Herr Berset.» Ich hasse diesen Befehlston. Mit bald siebzig fühle ich mich alt genug, um selber zu denken.
Meine Redaktionsfreundin argumentiert mit Solidarität: «Halt dich an die Regeln, mach’s doch einfach. Wenn nicht dir, so den anderen zuliebe.» Meine Schwester findet, es sei doch auch in anderen Lebensbereichen ganz «gäbig», wenn einem die Richtung vorgezeichnet werde. Dem behördlichen «Mach’s einfach!» zu folgen sei jedenfalls weniger anstrengend, als wenn man sich ständig selber motivieren müsse. Und selbst mein Mann staunt über mein Lamento: «Dass du über so etwas einen Gedanken verlieren magst – mach’s doch einfach!»
Ich habe Corona satt. Keine Nachrichtensendung und keine Zeitung ohne dieses Thema. Das Journalistenvolk schöpft mit Schlagzeilen und Untergangsszenarien aus dem Vollen. Neben fundierten Berichten füllen halb ausgegorene Analysen und sich widersprechende Forschungsergebnisse die Zeitungsseiten. Wenn in den Internet-News eine Epidemiologin sagt, in meinem 1’039’474-Seelen-Kanton würden die Fallzahlen exponenziell steigen, ist das einfach nicht wahr. Der unaufgeregte neue oberste Schweizer Gesundheitshüter ist schon wieder abgetreten. Dabei hat seine bedächtige, ruhige Art gutgetan.
Kein Besuch, keine Einladung, keine Begegnung und kein Telefon mehr, ohne dass nicht doch noch irgendwann Corona auf den Tisch kommt. Seit sieben Monaten sind Händedruck, Umarmungen und Streicheleinheiten aus dem Alltag gestrichen. Stattdessen heisst es Abstand halten, Zurückhaltung üben, Spontaneität kontrollieren. Masken habe ich inzwischen in allen Variationen – sogar aus Stoff, mit kleinen Ankern bedruckt, als Souvenir von den Nordseeferien heimgebracht. Ich tue, was BAG und Behörden empfehlen. Aber ich mach’s nicht einfach! Ich mach’s, weil mir die Vorsichtsmassnahmen einleuchten.