Sonntagsspaziergang 8. März 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einer alltäglichen Hunderunde und weisen Worten am Bienenhäuschen.
«Moos» – so nennt man die Talebene zwischen Belpberg und Längenberg. Einst war sie das «Chabisland» und versorgte die halbe Schweiz mit Sauerkraut. Jedes Dorf hatte seine «Chabishütte», und jeweils im Herbst lag der vertraute Geruch vergärender Kabisköpfe in der Luft. An vielen Sonntagen im Winterhalbjahr gabs Berner Platte mit Gürbetaler Sauerkraut. Heute existiert im ganzen Tal nur noch eine kleine Firma, die den einheimischen Weisskabis zu originalem Sauerkraut bis hin zum Verkauf verarbeitet. Dafür trägt sie den stolzen Namen Royal.
Mehr als Kabis gedeihen im Moos heutzutage Gras, Mais, Futterrüben und Getreide. Zahlreiche Wege führen schnurgerade um die Felder. Ich kenne jeden – aus der Höhe betrachtet lassen sie das Moos wie ein unregelmässiges Schachbrett aussehen. Auf jedem dieser Feldwege haben Bäri, Lava und Badi, und auch der jetzige Hund, ihre Spuren hinterlassen. Ich weiss, welche Hunderunde eine halbe, eine ganze oder auch zwei Stunden dauert, und richte mich entsprechend ein.
Je nach Standort hat man bei schönem Wetter freie Sicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau, auf die Niesen- oder die Stockhornkette. Sonnenaufgang oder Abendrot tauchen die Berge in ein Licht, das mich auch nach über dreissig Jahren immer wieder verzaubert. Noch faszinierender ist der Blick auf die andere Seite: Spaziere ich auf der östlichen Talseite Richtung Norden, scheinen sich am Horizont Belpberg und Längenberg zu berühren. Durchquere ich die Talebene, driften die beiden Hügelzüge scheinbar auseinander und man sieht in die Weite bis zu den Jurahöhen. Seit ich im Gürbetal wohne, mahnt mich dieser Blick daran, dass sich ein Perspektivenwechsel immer wieder lohnt.
Heute bleibe ich bei einem Bienenhäuschen stehen. Schon oft bin ich daran vorbeigekommen und habe mich über die aus einem Baumstamm geschnitzte Bank und die Einladung gefreut, die auf einem Brett an der Wand des Bienenhauses steht: «Chum chli cho höckle u gönn dir die Rueh, u lueg u los chli de Beieli zue.» Diesmal umrunde ich das Bienenhaus. Die farbigen Fluglöcher sind nach Süden ausgerichtet, die Fassade ist von der Sonne dunkelbraun gebrannt. Im Giebel steht die Jahrzahl «1927» und darunter, schon leicht abgeblättert, der Spruch: «An Gottes Segen ist alles gelegen. Doch musst du die Bienen auch warten und pflegen.»
Jetzt muss ich laut lachen. Welch weise Worte unbekannte Altvordere vor fast hundert Jahren am Bienenhäuschen angebracht haben – aktuell und gültig bis heute: Warten und Hoffen allein genügen nicht. Gefordert sind auch Engagement und beharrliches Dranbleiben.
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