Mäuse sind oft nachtaktiv und leben sehr verborgen. Besonders schwer zu sehen ist das kleinste dieser Tiere: die Zwergmaus. Sie lebt vor allem in den dichten Hochgrasbeständen von Seeufern und anderen Feuchtgebieten.
Text: Esther Wullschleger-Schättin
Sie ist ein Leichtgewicht von weniger als zehn Gramm, mit rund sechs Zentimetern Körperlänge die kleinste Maus der Schweiz und äusserst klettergewandt. Die Zwergmaus ist aber nicht nur wegen ihrer geringen Grösse in der Natur kaum je zu sehen. Sie lebt meist gut verborgen in dichten Beständen von Hochgräsern, wo sie harte Halme vorfindet, wie in Riedwiesen von Feuchtgebieten oder Gewässerufern. Auch Schilfbestände kann sie offenbar in den Randzonen besiedeln, solange die Schilfhalme nicht zu dick gewachsen sind, was der winzigen Maus wahrscheinlich das Klettern erschwert.
Flink unterwegs mit Greifschwanz
Mit Leichtigkeit bewegt sich die Zwergmaus in den biegsamen «Halmwäldern» fort und nutzt dabei ihren langen Greifschwanz, den sie um die Pflanzen wickeln kann, um sich festzuhalten. Die Füsse sind ebenfalls zum Greifen spezialisiert, abspreizbare Finger und Zehen erleichtern das Festhalten. Wenn Gefahr droht, flüchtet die Maus stets nach unten, oder sie lässt sich auf den Boden fallen. Sie kann auch sehr gut schwimmen, was ihr in den zeitweilig überschwemmten Lebensräumen einen Vorteil bietet.
Im Sommerhalbjahr bauen die Zwergmäuse auf gut 30 bis 50 Zentimetern Höhe ihre Hochnester. Dabei erweisen sich vor allem die älteren, erfahrenen Tiere als wahre Künstler im Nestbau, während ganz junge darin eher noch ungeschickt sind. Meist nutzen die Zwergmäuse ein paar dicht beieinanderstehende Halme, an die sie das farblich gut getarnte runde Nest verweben, doch wurden ihre hübschen Kugelnester auch schon frei hängend an Zweigen eines Busches gesehen.
Geflochtene Nester
Die nestbauende Maus nimmt die Blätter der Grashalme ins Maul und zerschleisst sie mit ihren scharfen Zähnchen, sodass mehrere feinere Fasern entstehen. Diese werden zu einem runden Nestkonstrukt geflochten. Danach wird weiteres Baumaterial eingewebt, sodass das rohe Gerüst zunehmend abgedichtet wird. Auch Blütenrispen der Graspflanzen erntet sie ab, um sie ins Nest einzutragen. Wie Kolbenwolle, Blütenkätzchen und anderes feines Material dienen diese zum Auspolstern.
Die zum Ruhen genutzten Schlafnester sind etwas kleiner und einfacher gebaut als das sorgfältig gepolsterte «Wochenstubennest», welches für jeden Wurf neu angelegt wird. Bei Letzterem verschliesst das Weibchen den seitlichen Zugang, wenn es das Nest während der Jungenaufzucht für die Nahrungssuche verlässt. Die Zwergmaus sammelt Sämereien und verzehrt Teile krautiger Pflanzen, ist aber auch eine flinke Jägerin von Insekten und anderen Kleintieren. Für den Winter ziehen sich die kleinen Mäuse auf trockenere Bodenflächen in der Umgebung zurück und bauen dort ein Nest, worin sie die kalte Jahreszeit mit einem Wintervorrat von Sämereien überdauern.
Bei günstigen Bedingungen und extensiver Bewirtschaftung können Zwergmäuse auch Getreidekulturflächen als Ersatzlebensräume nutzen. Felder mit Hafer oder Gerste wurden in früheren Zeiten nicht selten von den Winzlingen besiedelt. Dabei berichtete «Tiervater» Alfred Brehm, dass Zwergmäuse oft unbeabsichtigt mit dem reifen Getreide in Scheunen eingetragen wurden und sich dort im Winter massenhaft ansammelten.
Winzling mit weiter Verbreitung
In der Schweiz ist die Zwergmaus sehr selten geworden und gefährdet, da ihre Lebensräume durch Trockenlegung der Feuchtgebiete stark zurückgegangen sind. Vorkommen sind vor allem vom Südufer des Neuenburgersees, vom Murtenseeufer und vom Genferseebecken bekannt, aber auch im Jura und am Bodensee sind die Tierchen nachgewiesen worden. Das Verbreitungsgebiet der winzigen Wesen ist im Ganzen riesig. Ihre Populationen erstrecken sich von Nordspanien und Grossbritannien über Europa und Asien ostwärts bis nach China, Korea und Japan. Seltsamerweise war die Zwergmaus erstmals in Sibirien einem europäischen Forschungsreisenden aufgefallen. Der preussische Naturforscher Peter Simon Pallas hatte die Tierart während einer Expedition im östlichen Russland entdeckt und 1771 wissenschaftlich genau beschrieben.
Wie andere kleine Nagetiere haben Zwergmäuse einen rasanten Lebenszyklus. Ihre Populationen können stark schwanken, Bestandeseinbrüche werden unter günstigen Bedingungen rasch ausgeglichen. Ein Weibchen kann mehr als vier Mal im Jahr Junge gebären. Mit einem Gramm Gewicht sind die Neugeborenen winzig, doch sie wachsen sehr schnell heran und können das Nest, von der Mutter geführt, schon mit elf Tagen verlassen. Nach gut eineinhalb Monaten sind sie selber geschlechtsreif. Die Lebenserwartung der Zwergmäuse ist gering, zahlreiche Beutegreifer wie Wiesel, Greifvögel oder Eulen stellen ihnen nach. In der Natur erreichen die Winzlinge kaum mehr als ein Jahr. ❋
Die kleinsten Säugetiere
Die Etruskerspitzmaus, eine Insektenjägerin von kaum zwei Gramm Gewicht und etwa vier Zentimetern Länge, gilt als kleinstes Landsäugetier der Welt. Sie scheint im südlichen Europa verbreitet vorzukommen, bleibt aber so unauffällig, dass man den Winzling im Tessin erst 2011 durch speziell angefertigte Fallen nachweisen konnte. Sie besiedelt vor allem extensiv genutztes Kulturland mit Strukturen wie Lesesteinmauern. Unter den fliegenden Säugetieren ist die südostasiatische Hummelfledermaus mit ebenfalls gut zwei Gramm Gewicht die Kleinste. Die rund drei Zentimeter kleine Fledermaus war erst in den 1970er-Jahren entdeckt worden.
Spannendes über die aktuell 99 wildlebenden Säugetierarten in der Schweiz und Liechtenstein gibt’s im «Atlas der Säugetiere – Schweiz und Liechtenstein», Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie, Haupt Verlag, Richtpreis CHF 78.40, ISBN: 978-3-258-08178-6, https://www.haupt.ch/buecher/
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