Weinheim D (2) 17. Mai 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem leeren Hotel und der Ausgangssperre in einer deutschen Stadt.
Für die Reise nach Deutschland habe ich nicht nur das Euro-Portemonnaie, das Zugbillett und die Identitätskarte in der Handtasche, sondern ebenso die digitale Einreiseanmeldung, die Impfdokumentation und die Einladung zum Gespräch mit der deutschen Krimi-Autorin Ingrid Noll. Diese gilt als Bestätigung, dass ich beruflich unterwegs bin – touristische Reisen sind verboten. Hinter Basel, kurz nach der Grenze, habe ich das Billett zu zeigen – danach will niemand mehr eines meiner Papiere sehen.
Der Intercity nach Mannheim ist gut besetzt. Über die Anzeigetafel flimmern alle paar Minuten die üblichen Corona-Regeln. An die Gesichtslosigkeit maskentragender Mitreisender werde ich mich wohl nie gewöhnen. Fast alle haben eine FFP2-Maske aufgesetzt, im Regionalzug sind sie Vorschrift. Am Bahnhof in Weinheim kaufe ich mir einen Kaffee und will mich auf einen der Stühle unter dem Vordach setzen. Verboten. Ich möge den Kaffee doch bitte im Stehen trinken, sagt die nette Verkäuferin.
Im leeren Hotel reicht mir die Rezeptionistin neben dem Zimmerschlüssel auch einen Teller mit Messer und Gabel: für das Nachtessen, das ich mir bei einem Takeaway auf dem Marktplatz besorgen müsse. Noch habe ich Zeit für einen Stadtbummel. Ich flaniere über die kopfsteingepflasterten engen Gassen, spaziere durch den Schlosspark, fotografiere die alten Fachwerkhäuser. Eine schöne Altstadt – nur sind kaum Menschen unterwegs. Die Restaurants sind geschlossen, die Gartenstühle auf den Tischen. Mehr Betrieb ist ausserhalb der Stadtmauern in der Fussgängerzone, wo man sich schon fast in die Quere kommt.
Einige Läden sind für alle und ohne Kontrolle zugänglich: Lebensmittelläden, Apotheken, aber auch der Schuh- oder der Buchladen. Im Schaufenster eines Kleidergeschäfts steht «Schnelltest im Laden jederzeit und sofort möglich», in einem anderen «Click&Meet – Terminvereinbarung». Allerdings nur mit einem aktuellen negativen Test, vollständiger Impfung oder nach Genesung. «Uffbasse!» titelt ein Plakat, das zwei junge Frauen zeigt, die beide auf ihre Masken deuten. Die Informationen an der Kirchentür sind so lang, dass man sie gar nicht lesen mag. Beim Takeaway auf dem Marktplatz kaufe ich mir zum Nachtessen badischen Spargel.
Um 22 Uhr beginnt die Ausgangssperre. Weit öffne ich die Fenster meines Hotelzimmers und horche hinaus. Es ist so still, dass ich nur das Rauschen des Bluts in meinen Ohren höre. Kein Autolärm, kein Stimmengewirr, keine Musik, keine Schritte – und das mitten in einer Stadt mit gegen 50’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Später erwache ich vom Lärm eines Rollkoffers, der über das Kopfsteinpflaster gezogen wird. Im Nu bin ich am Fenster: Im spärlichen Licht einer Strassenlampe steht ein Mensch und konsultiert seine Stadtkarte. Es könnte eine Szene aus einem Film sein. Oder aus einem Krimi.
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