Public-Viewing 14. Juni 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von FFP2-Masken und vom GGG-Nachweis.
«Andere Länder – andere Corona-Sitten». Mit den Lockerungen überall habe ich eigentlich gedacht, dass sich dieses Thema erübrigen würde. Doch auf dem Weg für eine Zeitlupe-Leserreise nach Österreich zeigen sich die anderen Sitten bereits in Sargans. Da die Arlbergstrecke wegen Bauarbeiten gesperrt ist, muss ich in den Bahnersatzbus umsteigen. Schroff werde ich vom Chauffeur zurückgerufen: Ohne FFP2-Maske nehme er mich nicht mit. Glücklicherweise habe ich im letzten Augenblick mein einziges Exemplar ins Gepäck gesteckt. Ich habe es vor Monaten von meiner Redaktionsfreundin bekommen, aber nur einmal versuchsweise übergestülpt und gleich wieder weggelegt: zu wenig Luft zum Atmen, dafür ein ständiges Zupfen und Zurren hinter den Ohren. Jetzt bin ich froh darum – der Bus startet in wenigen Minuten.
In Ötztal steht der Railjet nach Klagenfurt schon parat. Natürlich droht unter der Maske keine Erstickungsgefahr. Aber als ich gegen Abend in Kärntens Hauptstadt ankomme, ist mein Gesicht schweissnass und die Ohren tun mir weh. Eine Mitreisende tröstet: Dafür sei die Maskenpflicht im Freien aufgehoben, auch in den belebtesten Fussgängerpassagen und in der Innenstadt. Nach einer erfrischenden Dusche im Hotel setze ich mich in eine Strassenbar am Neuen Platz in Klagenfurts Zentrum. Das Leben kehrt zurück: Kleine Kinder rennen über den Platz, Strassenmusikantinnen buhlen um Aufmerksamkeit und Geld, Teenager drehen mit Rollbrettern und Velos ihre Runden. Ich fühle mich rundum wohl und freue mich auf einen Aperol Spritz.
Doch bevor ich überhaupt bestellen kann, will die Serviceangestellte meinen GGG-Nachweis sehen. Ich scheine begriffsstutzig, denn sie doppelt sofort nach: Ja, sie müsse kontrollieren, ob ich getestet, genesen oder geimpft sei. Und bitte noch das Registrierungsformular ausfüllen. Und überhaupt hätten es die Gäste noch gut. Sie sei zwei Mal geimpft und müsse immer noch jede Woche zum Test antraben. Mein gelbes Impfbüchlein liegt im Hotelzimmer … Am nächsten Tag fallen mir die zahlreichen blauen Container mit der Aufschrift «Klagenfurt testet» auf. Ja, sie würde alle zwei Tage zum Testen anstehen, sagt mir eine Einheimische. Ohne GGG-Nachweis kein Bier, keinen Kaffee, keinen Museumseintritt, keine Schifffahrt auf dem Wörthersee, kein Public-Viewing während der Fussball-EM.
Dieses findet ebenfalls auf dem Neuen Platz statt. Stellwände grenzen den Bereich ab, darüber und dazwischen kann man einen Blick auf die Leinwand und die an langen Tischen sitzenden Zuschauerinnen und Zuschauer werfen. Genau 766 hätten Platz, alle würden kontrolliert und müssten sich am Tisch registrieren, sagt der schwitzende Security am Eingang. Es geht laut zu und her beim Eröffnungsspiel zwischen Italien und der Türkei. Die Stimmung vor der Umzäunung ist womöglich noch ausgelassener als innerhalb und aus den Lautsprechern. Plötzlich spüre ich zwei Arme um die Schultern, rieche eine Bierfahne und ein begeisterter Italien-Fan schreit mir entgegen: «Wunderbar! Schon fast wieder wie früher.» Ich wische mir die feuchten Tropfen aus dem Gesicht. So viel Nähe hätte ich auch schon früher nicht gebraucht.
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