Sie stehen im Guinness-Buch der Rekorde von 2021: Die zwölf Geschwister der Familie D’Cruz sind zusammen 1042 Jahre alt. Die Drittjüngste, Teresa Hedinger-D’Cruz, lebt seit 55 Jahren in der Schweiz.
Text:Usch Vollenwyder, Foto: Gerry Ebner
Ihre Tochter Sandra habe sie dazu ermuntert: «Mami, wir waren so lange nicht mehr in Kanada. Es wird Zeit, dass wir deine Brüder und Schwestern wiedersehen und meine Kinder ihre grosse Familie kennenlernen.» So organisierte die damals 79-jährige Teresa Hedinger-D’Cruz im Oktober 2019 ein Treffen in Toronto, wo zehn ihrer elf Geschwister leben. Aus Kalifornien reiste ihre Schwester Althea an. Der Familie war bewusst, dass es wohl das letzte Wiedersehen aller Geschwister sein würde: Bruder Patrick war krank und die älteste Schwester Doreen bereits 96 Jahre alt.
Eine Fotografin wurde engagiert und machte Erinnerungsbilder. Die neun Schwestern und drei Brüder hielten dabei ein Blatt mit ihrem Alter in den Händen. Ein Neffe begann die Lebensjahre zusammenzuzählen und kam auf die stattliche Zahl von über tausend. Er war begeistert: Das musste Weltrekord sein! Er habe die nötigen Schritte für einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde unternommen, erzählt Teresa Hedinger. Und so sind mit insgesamt 1042 Jahren und 315 Tagen die D’Cruz-Brüder und -Schwestern als älteste zwölfköpfige noch lebende Geschwisterschar der Welt in der Ausgabe von 2021 verewigt.
«Die Aufregung und Freude in der Familie waren gross», sagt Teresa Hedinger. Auch weil niemand ein solch hohes Alter habe vorhersehen können: Ihr Vater Michael starb bereits mit 55, ihre Mutter Cecilia mit 66 Jahren. Teresa Hedinger-D’Cruz kam 1940 in Karachi, das damals noch zu Britisch-Indien gehörte, als Siebenmonatskind zur Welt. Das robuste kleine Wesen überlebte in Watte in eine Schuhschachtel gebettet – ein Brutkasten stand keiner zur Verfügung. «Wir waren eine einfache Familie», blickt Teresa Hedinger zurück.
Füreinander sorgen
Alle ein bis drei Jahre kam der Arzt ins Haus der Familie D’Cruz, jedes Mal war nachher ein weiteres Baby da. Die älteren Geschwister waren überzeugt, der Arzt würde es in seinem schwarzen Koffer mitbringen. Auch für pakistanische Verhältnisse war ihre Familie gross, und das Geld musste gut eingeteilt werden: So trugen die Kleinen von den Grösseren Kleider und Schuhe nach, Zahnarztbesuche wurden eingespart und Teresa, die gerne Lehrerin geworden wäre, blieb das Studium aus finanziellen Gründen verwehrt. Wer schon Geld verdiente, gab es zu Hause ab. «Unser Zusammenhalt wurde so stark, weil wir von Anfang an füreinander sorgen mussten.»
1947 wurde Pakistan gegründet. Von einem Tag auf den anderen fand sich Familie D’Cruz, die zur englischsprechenden christlichen Minderheit Karachis gehörte, in einem muslimischen Staat wieder. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Diskriminierung wurde spürbar. Die älteren Geschwister wanderten aus – eines nach dem anderen liessen sie sich in der Umgebung von Montreal und Toronto nieder. Teresa kam in die Schweiz – der Liebe wegen, sagt sie. Durch eine Freundin hatte sie Alfred Hedinger kennengelernt, der sich geschäftlich in Karachi aufhielt.
Über all die Jahre hinweg blieben die Geschwister miteinander verbunden. Zunächst wechselten Briefe die Kontinente, hin und wieder ein Telegramm oder auch ein Ferngespräch. Mit Skype wurden die Kontakte einfacher. Seit Corona treffen sie sich täglich im Netz – um 17 Uhr Schweizerzeit, wenn in Kanada elf Uhr vormittags ist. Wer kann, schaltet sich zu, wenn immer möglich auch Althea aus Kalifornien. Einige ihrer kanadischen Geschwister hätten unter dem strengen Lockdown sehr gelitten, sagt Teresa Hedinger: «Für sie wurde das tägliche Online-Meeting zum Höhepunkt des Tages.»
Die bleibende Zeit nutzen
Jedes Treffen beginnt mit dem Rosenkranzgebet – eine Tradition aus der Kinderzeit. In ihre Gebete schliessen sie auch die Anliegen ihrer grossen Familie ein, die um insgesamt 35 Kinder, 57 Enkel und bisher dreissig Urgrosskinder gewachsen ist. Für die an den Folgen eines Hirnschlags leidende Schwester singen sie «You are my Sunshine». Sie kochen gemeinsam Familienrezepte nach und tauschen sich in ihrem virtuellen Bücherklub aus. Sie schätzen ihr tägliches Zusammensein: «Wir wissen, dass unsere Zeit limitiert ist.»
Den Bezug zu Pakistan hat Teresa Hedinger mit den Jahren verloren. Alle, die ihr lieb sind, haben anderswo eine Heimat gefunden. Sie selber, inzwischen zweifache Grossmutter, fühlt sich durch und durch als Schweizerin: Sie fiebert mit Roger Federer, wenn er auf dem Platz steht. Während der Fussball-EM hielt sie der Schweizer Nationalmannschaft die Daumen. Am 1. August dekoriert sie den Tisch in Rot-Weiss. Sie liebe ihren Wohnort Zug und den See – und die Möglichkeiten, die ihr dieses stabile Land biete: «Mein Leben ist hier. Mein Herz gehört der Schweiz.» ❋
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