Von der Sehnsucht, ein Garten zu sein
Unser Gartenpöstler beneidet im Winter seine Gartenbeete ungemein. Denn diese verschlafen Wind und Wetter und erwachen erst dann wieder, wenn die Welt voller Wärme ist.
Meine Chancen, als Hausgarten wiedergeboren zu werden, sind extrem klein. So schön ich mir den Wunsch auch ausmale, er ist in der Philosophie der Wiederfleischwerdung, der Inkarnation, leider nicht vorgesehen. Was mich etwas wundert: Denn weltweit glauben immerhin rund 900 Millionen Hindus und über 400 Millionen Buddhisten an die Seelenwanderung. In der Schweiz sind es 1,6 Millionen Menschen, also rund 19 Prozent der Bevölkerung. Da hätte also folglich mindestens eine und einer auf die Idee kommen können, den Kreislauf des Lebens als Garten fortzuführen. Doch denkste – nullkomakein Interesse.
Das zumindest lässt der Blick ins Internet vermuten. Im digitalen Kosmos sind sonst sämtliche Lebenswünsche und -formen gut belegt, selbst die exotischsten. Zu pfeifenden Papageien beispielsweise finden sich in der Welt des Wahnsinns und Wissens (www) rund 389 000 Einträge und zu fliessenden Steinen immerhin 6,42 Millionen. Die Suche nach Seelenwanderern, die ihr Glück als Heimgarten suchen, aber führt ins Leere. Dr. Google kann dazu weder Studien noch lustige Filmchen nennen. Einzig Dichterfürst Rainer Maria Rilke ploppt in seinem Universum auf. Dieser hat sich offenbar vor 120 Jahren ähnliche Gedanken gemacht. Jedenfalls schrieb er dazu ein Gedicht: «Ich will ein Garten sein, an dessen Bronnen die vielen Träume neue Blumen brächen…» Also doch noch ein Verwandter im Geiste gefunden, uff!
Sozialer Hotspot
Sie finden meine Idee abwegig, als Gärtchen wiedergeboren zu werden? Ich nicht, denn die damit verbundenen Aussichten sind grandios: Ich müsste einzig faul in der Landschaft liegen, würde mit Liebe und Anerkennung überhäuft, ständig gekrault und genährt. Und würde ich schwächeln, riefen meine Besitzerinnen und Besitzer sogleich den Gärtner herbei, der nach mir sieht und mich wieder aufpäppelt. Oder zumindest die Schere zückt und mir eine neue Frisur verpasst, was das Dasein gemeinhin verschönert, wie wir alle aus Erfahrung wissen.
Darüber hinaus wäre ich ein sozialer Hotspot, also erfüllt von pulsierendem Leben. Schmetterlinge würden mich umflügeln, Ameisen bekrabbeln. Milliarden von Bakterien, Pilzen und Tieren würden mich jeden Tag besuchen und mir 1001 Geschenke bringen. Ich müsste dafür einzig stillhalten und einmal im Jahr an Stauden Blumen, an Bäumen Obst und an den Gemüsen knackige Früchte wachsen lassen. Worauf mich andere noch mehr lieben würden: bis in alle Ewigkeit, also ganz nach dem Gesetz der Reinkarnation. Dafür muss man nicht zwingend Fleisch sein, Matsch taugt dafür ebenso.
Im Winter scheint mir der Gartenwunsch noch verlockender. Unlängst stand ich an einer Bushaltestelle. Grimmige Blicke über Gesichtsmasken, überall Menschen, verborgen unter dicken Wollschichten. Ich fühlte mich matt und müde. Der zurückliegende Tag und die Corona-Misere hatten an Nerven und Kräften gezehrt. Meine Füsse waren nasskalt, die Ohren schlackerten im Winterwind. Da musste ich wieder an meinen Garten denken. Und ich beneidete ihn darum, dass er all die Widrigkeiten verschläft und erst dann wieder erwacht, wenn sich Sturm und Wetter verzogen haben. Und die Welt mit neuer Wärme erfüllt ist.
Schneegestöber in der Frühlingssonne
Just im Moment, in dem in meinen Gedanken die Frühlingssonne aufging, begann es zu schneien. In der Ferne glitzerte die Weihnachtsbeleuchtung, 1001 Lichtlein tanzten durch die Winternacht. Eine Frau eilte mit ihrem Kind herbei. Das lächelte mich an und streckte mir stolz sein Spielzeug entgegen. Ein Fahrradfahrer stoppte, um einer alten Dame den Vortritt zu lassen. Diese bedankte sich mit einem freundlichen Kopfnicken. Mir wurde urplötzlich warm ums Herz, durch meine Adern schoss pures Glück. Mir wurde gewiss: Menschsein, mit offenen Augen durchs Leben gehen zu dürfen, hat auch seine Vorteile. Vielleicht muss ich meine Gartensehnsucht nochmals gründlich überdenken. Mal schauen, was mir Google dazu rät.
Der Gartenpöstler
Roland Grüter (61) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.
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