Lotti Meier lebt seit 27 Jahren im Nirgendwo von Lappland. Die ehemalige Modedesignerin verbringt heuer den letzten Winter mit ihren 87 Huskys. Sie steht vor einem grossen Umbruch.
Text: Roland Grüter
Manchmal gönnt sich Lotti Meier (67) eine Auszeit. Dann steigt sie auf ihren Hundeschlitten, lässt sich von ihren acht Huskys durch die glitzernde Zuckerwelt Lapplands ziehen. Sie fliegt über zugefrorene Seen und durch lichte Wälder, hinter ihr der stiebende Schnee, vor ihr die Freiheit bis an den Horizont. Auf dem Rücken des Hausberges Avvakko stoppt sie die Tiere. Das Surren der Kufen verstummt, rundherum ist nur noch Stille und Weite. «Ein Himmelsgefühl», sagt sie. «Für solche Momente bin ich meinem Schicksal unendlich dankbar.»
Erst vor ein paar Wochen ist die gebürtige Argauerin neuerlich in den Norden Schwedens zurückgekehrt, den Sommer verbrachte sie in der Schweiz. Fernab der Stadt Kiruna, 150 Kilometer nördlich des Polarkreises, liegt Lotti Meiers «Snowtrail Dogcamp»: ein Gastbetrieb, der Menschen aus der Hektik des Lebens hin zu sich selber führen will. Im Winter bietet die Schweizerin Hundeschlittenfahrten an, im Sommer lässt sie Gäste durch die unberührte Natur führen. Angefangen hat alles vor 27 Jahren in einem Zweizimmerhäuschen ohne fliessendes Wasser. Heute bietet das Gästehaus allen nötigen Komfort für vierzehn Personen. Ein hölzernes Logis mit eigenem See und anderen Naturspektakeln.
Moon Boots statt High Heels
Stille Momente, wie sie Lotti Meier auf dem Avvakko erlebt, sind selten. Ihr Alltag ist geprägt von unendlich viel Arbeit. Die 87 Huskys müssen versorgt sein, die Gäste auch. Das hält sie rund um die Uhr auf Trab. Bereits in jungen Jahren war es sich die Schweizerin gewohnt, Aufgaben ohne Blick auf die Uhr anzupacken. Sie war Haute-Couture-Schneiderin und Verantwortliche der Wäschekollektion eines namhaften Schweizer Unternehmens. Die Modezeichnerin war erfolgreich, stöckelte in High Heels durch ihr Jetset-Leben. Irgendwann hatte sie sich am Luxus sattgesehen. Sie sehnte sich nach Tiefe, nach verbindlicheren Werten. Und fand beides auf einem Hundeschlitten, als sie Ferien in Finnland verbrachte. «Schon auf der ersten Fahrt erlebte ich jenen Seelenfrieden, den ich derart lange herbeigesehnt hatte. Die Stille, die Hunde, die Natur – das ist eine Droge, von der man nie mehr wegkommt», sagt sie.
Anfangs schien die Droge jedoch nur bedingt zu wirken. Lotti Meier kehrte in die Schweiz zurück, in ihren alten Beruf. Erst Jahre später führte sie das Schicksal neuerlich in den skandinavischen Winter. Sie verliebte sich in einen Nordländer, kündigte und wanderte nach Schweden aus. Zusammen mit ihrem Partner gründete sie das «Snowtrail Dogcamp». Doch das Nordlicht verblasste schneller als erahnt. Die Liebe scheiterte, das Unternehmen schlingerte. Andere hätten aufgegeben. Die Zuwanderin aber liess sich nicht beirren und krempelte die Ärmel hoch. «Was ich mache, mache ich richtig», sagt sie. «Solange ich mit meinen Händen zulangen kann, lassen sich damit alle Probleme lösen.»
Mit dieser Haltung plant die Weltenbummlerin nun ihre Zukunft, ihr drittes Leben. Die 67-Jährige will das «Snowtrail Dogcamp» in Schweden verkaufen, im April dieses Jahres definitiv in die Schweiz zurückkehren. Endlich wieder Zeit mit ihren Freunden und der Familie verbringen, die sie so lange vermisst hatte! Sie will Spanisch lernen, sich um ihre demenzkranke Mutter und allenfalls um andere Seniorinnen und Senioren kümmern. Und baldmöglichst mit einer Freundin die Welt bereisen. Als Erstes peilen sie Tasmanien und Neuseeland an.
Neue Ziele
In den vergangenen zwei Sommern hat sie ihr drittes Leben ausgiebig erprobt. Lotti Meier bezog oberhalb von Meilen ZH im Haus ihres Schwagers eine Wohnung. Nur einmal geriet sie darin in eine veritable Krise und beweinte den nahen Abschied von ihren vielen zwei- und vierbeinigen Weggefährten, mit denen sie eng verbandelt ist. «Ich bin fast 68», sagt sie: «Höchste Zeit, das ‹Snowtrail Dogcamp› in jüngere, dynamischere Hände zu übergeben. Das bin ich den Hunden und meinem Team schuldig.» Für sie sei die Zeit reif, ein neues Kapitel aufzuschlagen – mit aller Konsequenz und ohne Wehmut. «Alles hat seine Zeit. Das gilt es zu respektieren.»
Hat sie kein bisschen Sorge, diesen Schritt später zu bereuen? Die Frau schüttelt den Kopf, lässt ihre wassergrünen Augen funkeln. «Über Vergangenes sollte man sich nicht grämen», sagt sie. «Wenn ich etwas bereue, dann einzig jene Schritte, die ich im Leben nicht gemacht habe.» Dieser Lebensphilosophie will sie zeitlebens treu bleiben.
Lotti Meiers Erlebnisse im Buch: «Pfoten im Schnee», Lotti Meier, Eden Books, CHF 26.90. Mehr Infos zum Angebot ihres Gastbetriebes in Schweden: snowtraildogcamp.com
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