Sprachreise nach charming Chester
Am Vormittag Englisch büffeln, am Nachmittag Land und Leute kennenlernen: Die zweiwöchige Zeitlupe-Sprachreise 50plus führt nach Chester. Riegelhäuser, kleine Pubs, exklusive Boutiquen und eine mittelalterliche Kathedrale prägen das Stadtbild.
Text: Usch Vollenwyder
English only zone» steht auf einem gelben Plakat auf der Pinwand im Klassenzimmer. Rings um die zusammengeschobenen Tische sitzen die «students» – sieben Sprachschülerinnen und -schüler aus fünf verschiedenen Ländern: aus Chile und Japan, aus der Schweiz, Spanien und Frankreich. Zu zweit und zu dritt beugen sie ihre Köpfe über Scrabble-Steine, mit denen sie Präpositionen bilden: «At», «on», «from» … Raunen und leises Gelächter ist zu hören. Nach dem Grammatikunterricht folgt Konversation: Die erfahrene Englischlehrerin bespricht mit ihrer Klasse die für den Nachmittag vorgesehene Cream-Tea-Zeremonie in der Stadt.
Nur wenige Minuten dauert der Weg von der Schule «English in Chester» ins Stadtzentrum. Auf einer Führung lernen die Studierenden schon am ersten Nachmittag ihrer zweiwöchigen 50plus-Erlebnis-Sprachreise den historischen Stadtkern von Chester kennen. Am Einführungsmorgen erhalten sie ausführliche Informationen zum Schulbetrieb und zu den vorgesehenen Ausflügen und werden ihren Englischkenntnissen entsprechend in eine von drei Leistungsklassen eingeteilt. Die Gruppen umfassen maximal zwölf Studierende.
Nach dem Unterricht stehen am Nachmittag Ausflüge und Aktivitäten auf dem Programm. Die 50plus-Kurse seien ebenso Ferien- wie Sprachkurse, meint Richard Day, pensionierter Direktor, der nach wie vor fast täglich an der Schule anzutreffen ist: «Gerade ältere Studierende schätzen die Kombination von Lernen und Reisen.» Darin sind sich die Kursteilnehmenden einig: «Am Vormittag kann ich mein Englisch auffrischen, und am Nachmittag lerne ich Chester und die Umgebung kennen», sagt eine Teilnehmerin. «Mir gefällt die Verbindung von aktivem Lernen und passivem Geniessen», meint eine andere. Fast alle Studierenden wohnen in einer Gastfamilie: «So lernen wir noch mehr von der Sprache und der englischen Lebensart», sagt ein spanischer Kursteilnehmer.
Richard – der Einfachheit halber und weil die englische Sprache ohnehin keinen Unterschied zwischen «du» und «Sie» macht, nennen sich alle beim Vornamen – hat noch keine Sekunde bereut, dass er in jungen Jahren seinem Beruf als Geografielehrer den Rücken gekehrt und eine eigene Sprachschule eröffnet hat: «Ich bringe Menschen aus aller Welt zusammen», sagt der 75-Jährige. 50plus-Studierende mag er besonders, auch weil er selber zu dieser Altersgruppe gehört: «Sie sind unglaublich interessiert und motiviert.» Alle Ausflüge werden von einer Lehrkraft begleitet, die Auskunft über Land und Leute und ihre Kultur geben kann.
Chester liegt rund vierzig Kilometer südlich von Liverpool im Nordwesten Englands. Gut drei Kilometer lang ist die Stadtmauer, die die Stadt in einem Rechteck umschliesst und zum Teil noch aus römischer Zeit stammt. Auf den denkmalgeschützten Sandsteinmauern – eine von Chesters Touristenattraktion – lässt sich die historische Altstadt zu Fuss umrunden. Durch die Stadttore auf allen vier Seiten führen Strassen ins Zentrum der Innenstadt. Über dem Osttor steht «the Clock», eine reich verzierte schmiedeeiserne Uhr, die zu Königin Victorias diamantenem Thronjubiläum 1897 errichtet wurde. Nach dem Big Ben in London sei dies die meistfotografierte Uhr Englands, sagt Richard.
Von dort aus fällt der Blick hinunter auf die Kreuzung, wo die Strassen, von den Stadttoren herkommend, zusammentreffen. «The Cross» ist Ausgangs- und Treffpunkt für einen Bummel durch die Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern und überdeckten Lauben. An der Kreuzung treffen sich in der Regel auch die 50plus-Studierenden für ihre Nachmittags- oder Abendaktivitäten: Cream Tea und Scones in einem typisch englischen Tea Room zum Beispiel, ein Pub-Besuch mit irischer Volksmusik, einen Kino- oder Theaterabend oder eine Schifffahrt auf dem Fluss Dee. «Chester hat genau die richtige Grösse, eine Stadt, die man zu Fuss erkunden kann», sagt eine Kursteilnehmerin.
Zum Angebot des zweiwöchigen Sprachkurses gehört am Wochenende ein Ganztagesausflug – oft nach Wales, dessen Grenze von Chester aus nachwenigen Kilometern überquert wird. Frank, Chauffeur und Reiseführer, steuert den Bus mit den Ausflüglern. Er weiss alles über seine walisische Heimat, begeistert erzählt er von der keltischen Kultur und Sprache. Drei verschiedene Wetterlagen herrschten in Wales: «Es regnet, es wird regnen oder es hat geregnet.» Der graue Himmel und das graue Meer tun seiner guten Laune keinen Abbruch. «Der Wind vertreibt die Spinnweben aus dem Kopf», sagt er. Drei Millionen Menschen und neun Millionen Schafe teilen sich das Land. Die Orte haben Namen wie Llandudno oder Llynogwen. Die Fahrt durch den Nationalpark Snowdonia mit seinen einsamen grünen Tälern, seinen kargen Felsen und den wilden Heidekräutern bleibt unvergessen. ❋