Franziska Feldmann lebt mit den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Obwohl für die Glarnerin heute vieles nicht mehr möglich ist und sie fast kein Sozialleben mehr hat, sieht sie auch Positives.
Text: Fabian Rottmeier, Foto: Samuel Trümpy
Herbst 2020: Franziska Feldmann pflegt ein aktives Leben und springt als Physiotherapeutin pausenlos von einer Patientin zur nächsten. Die Schwanderin musiziert, singt in einem Chor, liest gerne, wandert oft und freut sich auf Skitouren im Winter.
Dann erkrankt sie im November 2020 an Covid-19 – und kommt kaum noch eine Treppe hoch.
Ihr Alltag heute: Sie erledigt morgens Hausarbeiten und ruht sich aus, um nachmittags als Physiotherapeutin arbeiten zu können – mit einer jeweils halbstündigen Pause zwischen den Patienten. Freizeit heisst heute weitgehend: erholen. Lesen kann sie maximal einen Zeitungsartikel am Stück. Sie spaziert gemächlich und nur selten ausgiebig, weil selbst der Wind oder das Knistern des Schnees zu starke Reize sein können. Durch eine Ergotherapie hat sie das Kalligrafieren für sich entdeckt. Auch Meditieren hilft. Soziale Kontakte muss die 58-Jährige auf ein Minimum beschränken.
Trotzdem wirkt sie beim Treffen fröhlich und erzählt offen und ehrlich über ihren Leidensweg als Long-Covid-Betroffene. Sie hadert während des Gesprächs nie – beschönigt aber auch nichts. «Ich bin nicht mehr derselbe Mensch wie vor der Erkrankung», sagt sie. Sie sei ernster geworden. Ihre positive Lebenseinstellung hat sie sich jedoch bewahrt. Die Mutter von zwei Jugendlichen orientiert sich daran, was noch – oder wie- der – möglich ist. «Alleine, sich an etwas zu erfreuen, ist etwas Besonderes geworden.»
Und plötzlich kam Atemnot dazu
Im zweiten Monat nach der Ansteckung ging es Franziska Feldmann plötzlich viel schlechter. Sie hatte Fieber und bekam kaum noch Luft – und begab sich ins Spital. Nach einigen Untersuchungen gaben die Ärzte Entwarnung, konnten sich die Atemnot aber auch nicht erklären. Als Franziska Feldmann am Abend wieder entlassen wurde, war sie verunsichert und verwirrt, denn sie fühlte sich hundeelend, konnte nicht klar denken, ihr Kopf surrte. «Wie es mir psychisch ging, fragte niemand.»
Laut Schätzungen des BAG könnte jeder fünfte Erwachsene mit symptomatischen Coronaverläufen von einer Post-Covid-19-Erkrankung betroffen sein. Die Liste der Long-Covid-Symptome ist lang – auch bei Franziska Feldmann. Zu kognitiven Störungen kommen oft übermässige Müdigkeit und Erschöpfung hinzu. Nach dem Zeitlupe-Gespräch, bei dem ihr ausser wenigen Wortfindungsproblemen nichts anzumerken ist, wird sie sich hinlegen. So erhole sie sich am besten. In der schlimmsten Phase waren nicht einmal mehr Gespräche möglich. «Vieles ist mittlerweile in kleinen Schritten besser geworden.» Einer ihrer grössten Glücksmomente war, als sie erstmals wieder 300 Höhenmeter meisterte.
«Weil eine offizielle Anerkennung der Erkrankung noch immer fehlt, bin ich darauf angewiesen, dass man mir glaubt.»
Für Betroffene sei es bedauerlich, dass der Umgang mit Long-Covid auch nach eineinhalb Jahren noch nicht viel weiter sei: Ein nationales Register existiert ebenso wenig wie eine Anerkennung der Erkrankung durch Behörden, Ärzte oder Versicherungen. «Ich bin noch immer darauf angewiesen, dass man mir glaubt.» Auch deshalb ist sie froh um den Austausch beim Long-Covid-Netzwerk Altea.
Franziska Feldmann ist dankbar, wie sehr ihr Verlobter stets für sie da war. «So fühlte ich mich nie hilflos.» Auch ihr Chef habe sie enorm unterstützt. Nach den Abklärungen im Spital begab sie sich für neun Wochen in eine Spezialklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Dass ihr Arzt sie mit der Diagnose Überlastungsdepression eingewiesen hatte, erfuhr sie erst dort. Heute weiss die Glarnerin: Nur so konnte er ihr einen Klinikplatz verschaffen. Den Aufenthalt empfindet sie heute als Geschenk.
Ein strikter Tagesplan hilft
Sie hat viel über sich gelernt. Sich besser einzuschätzen, abzugrenzen. Wie sie mit der neuen Situation umgehen muss. Sie erstellt Tagespläne mit vielen Pausen – und hält diese wenn möglich strikt ein. Auch vom «Pacing» spricht sie. Dessen Credo: stets weniger zu tun, als es die Kräfte gerade erlauben. Pacing heisst auch, Prioritäten zu setzen. Im April 2021 begann Franziska Feldmann, wieder zu arbeiten. Sie hat dafür auf soziale Kontakte verzichtet, lediglich an kleinen Familienfesten nahm sie teil. Freundinnen trifft sie erst seit kurzem wieder – und träumt von Kaffeekränzchen, «bei denen ich mich nicht nach einer Viertelstunde fragen muss, wie lange ich noch durchhalte».
Am Ende des Gesprächs betont sie, dass dem Ganzen auch viel Gutes entsprungen sei. Eine gestärkte Partnerschaft oder die Gabe, sich über Dinge zu freuen, an denen sie früher «vorbeigelebt» habe. Den Duft blühender Rosen vor der Haustür etwa.
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