Ein Spitzenhandwerk
Als Schulmädchen schaute Hedy Bachmann-Wyss* sehr genau hin, wenn ihre Grossmutter Spitzen klöppelte. Heute meist nur noch ein schönes Hobby, war das Spitzenklöppeln damals für viele ein harter Broterwerb.
Aus «Das waren noch Zeiten», Zeitlupe-Leserinnen und Leser erinnern sich, Band 4.
«Ich sehe sie noch deutlich vor mir, meine Grossmutter, wie sie auf diesem Klöppelkissen, das sogar schon meine Urgrossmutter benutzte, Spitzen anfertigte. Als Elfjährige, 1947, habe ich sie am Mittwochnachmittag jeweils besucht. Von Zürich fuhr ich mit der Sihltalbahn nach Adliswil, wo sie bei einem Mann als Haushälterin arbeitete. Während sie selber für die Basler Webstube Spitzen am Meter herstellte, erklärte sie mir mit viel Geduld und Liebe, wie man beim Klöppeln kreuzt und dreht.
Nach zwei Stunden hatte ich jeweils genug und ich ging, da das Haus nahe am Wasser stand, oft noch in der Sihl baden. Stolz zeigte ich zu Hause, was ich Neues gelernt und geklöppelt hatte. Damals als Schulmädchen schaffte ich nur schmale Spitzli, was jedoch schon anspruchsvoll war, weil die Vorlagen nur die Löchli für die Stecknadeln aufwiesen und noch keine Verbindungslinien eingetragen waren. Viele Jahre später, nachdem ich das Klöppeln wieder aufgenommen hatte, wagte ich mich auch an Sachen mit weit über fünfzig Klöppeln.
Bei meinen Besuchen in Adliswil erzählte meine Grossmutter dann und wann von früher. Geboren wurde sie 1885 in Wengen, sie war das älteste von zehn Geschwistern – alles Mädchen! Je nach Alter mussten sie nach der Schule und vor dem Abendessen eine gewisse Länge Spitzen klöppeln. Im Berner Oberland wurde damals viel geklöppelt, vor allem für die reichen Engländer, die mit der Spitzenware ihre Tagwäsche verzierten. Nicht nur Mädchen mussten klöppeln, die Grossmutter erinnerte sich an Buben, die sich so den Konfirmandenanzug verdienen mussten. Für eine Bauernfamilie wie die der Grossmutter war dieses Handwerk eine wichtige Einnahmequelle.
Meine Grossmutter wurde mit 16 Jahren regelrecht verheiratet. Mit einem 45-Jährigen – es wurde keine glückliche Beziehung! Die beiden bewirtschafteten später einen Bauernhof im zürcherischen Hirzel. Als ihre fünf Söhne gross waren und sie Witwe geworden war, gab sie den Hof auf. Den Mann in Adliswil, bei dem sie Haushälterin wurde, hat sie schon bald geheiratet. Sie sagte später oft, dass danach ihre schönsten Jahre folgten. Mit 67 ist sie aber bereits gestorben.
Vielfalt des Klöppelns
Klöppeln hat seinen Ursprung wahrscheinlich in Italien. Erhalten sind Musterbücher aus dem 16. Jahrhundert. Die Klöppel sind eine Art Holzspindel, die paarweise am Klöppelkissen befestigt sind. Durch einen permanenten Wechsel von Drehen und Kreuzen der Fäden entstehen die Handklöppelspitzen. Im Extremfall sind Hunderte von Klöppeln im Einsatz. Gearbeitet wird meist auf einer auf dem Klöppelkissen (oder dem Klöppelbrett) befestigten Mustervorlage, dem Klöppelbrief, auf dem die Arbeit mit Stecknadeln fixiert wird, bis diese wieder herausgezogen werden, um das Werk abzunehmen. Verarbeitet werden vor allem Leinen-, Seiden- und Baumwollgarne. Es gibt sehr verschiedene Klöppeltechniken, so zum Beispiel Torchon, Schneeberger, Madeira, Cluny, Bandspitzen, Brügger Blumen. In der Schweiz ist es die Vereinigung Schweizerischer Spitzenmacherinnnen, die sich ambitiös für dieses alte Handwerk einsetzt www.vss-fds.ch.
Schon in der Zeit im Hirzel hat die Grossmutter viel am Klöppelkissen gearbeitet, mit Leinen, Seide und anderen Materialien. Damals hat man sogar die Oberleintücher mit Spitzen versehen, nebst all den Nastüechli, Deckeli, Läufern oder Tischdecken. Während des Kriegs war das Garn schwer zu erhalten und besonders kostbar. Mein Bruder hat einmal mit den Fäden und den Klöppeln ein heilloses Durcheinander angerichtet.
Die Grossmutter war völlig verzweifelt und hat sogar geweint. Sie musste alles zurückarbeiten, es kostete sie viel Zeit, denn das geht nicht so einfach wie beim Stricken, wo man einfach die Nadel herausziehen kann. Für die jeweils angelieferte Menge Rohmaterial musste sie dem Auftraggeber – zum Beispiel dem Heimatwerk – so und so viele Meter Spitzenware abliefern, sie konnte also das Pfuschwerk des Bruders nicht einfach wegwerfen. Noch oft hörte man sie klagen, obwohl sie uns alle gern hatte: «Das isch doch ganz en wüeschte Bueb gsi».
Vor dreissig Jahren während Ferien in Lauterbrunnen liess ich mir von einer versierten Frau das Klöppeln ausführlich erklären, denn bei der Grossmutter hatte ich mich nur an Meterware versucht. So lernte ich auch, wie man Ecken und Zusammenschlüsse macht und übte mich in den verschiedenen Techniken. Früher in Zürich und dann hier in Jona habe ich einige Frauen das schöne Handwerk gelehrt, ich habe sogar Kursunterlagen geschrieben. Ich besitze auch eine Sammlung von Klöppeln aus fünfzehn Ländern.
Heute sind es natürlich nur noch selten Nastücher oder Deckeli, die man mit Klöppelarbeiten verziert, es gibt moderne Anwendungen, zum Beispiel werden ganze Wandbilder gefertigt. Es ist beglückend, aus so vielen verschiedenen Fäden etwas ganz Persönliches zu schaffen. Auch wenn es kaum mehr als beruflicher Erwerb ausgeübt wird, stirbt das schöne Handwerk zum Glück nicht aus – nicht zuletzt dank der Vereinigung Schweizerischer Spitzenmacherinnnen. Meine Töchter haben sich nie gross fürs Klöppeln interessiert. Aber eine Enkelin – sie ist 23 – möchte, dass ich es sie lehre. Vielleicht wird sie ihren Kindern einmal sagen können, auf ihrem Klöppelkissen habe schon die Urururgrossmutter Spitzen gefertigt.
*Hedy Bachmann-Wyss wurde am 19. Februar 1936 im Hirzel ZH geboren. Sie wäre gerne Schneiderin geworden, aber da die beiden älteren Brüder bereits in einer teuren Lehre steckten, wurde ihr das verwehrt. Sie arbeitete, unterbrochen von einem interessanten Welschlandjahr, in einer Guetzlifabrik. Später machte sie eine Anlehre als Locherin bei der Kreditanstalt in Zürich. Die Kleider für sich und die zwei Töchter schneiderte sie, «nicht zuletzt auch aus Trotz», fast alle selber.
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