Der Chor der Nationen in Zürich vereint nicht nur über 50 Singende aus über 20 Ländern, sondern auch mehrere Generationen. Das Resultat ist heiter – und sehr lebhaft. Ein Probenbesuch.
Text: Fabian Rottmeier
Es gibt sprachlich einfachere Liedzeilen als «Ich glöibu nid, dass dü sus weischt, dass dü mich der mis Läbu treischt» – selbst für hierzulande Geborene. Wie schwierig ist sie wohl für die 50 Sängerinnen und Sänger aus über 20 Ländern, die an diesem Dienstagabend in der Stadt Zürich in einem Kirchgemeindesaal zur Probe erschienen sind? Wer gedanklich nicht flexibel ist, hat im Chor der Nationen Zürich einen schweren Stand: Das nächste Lied bedeutet hier auch die nächste Sprache. Auf Englisch folgen Farsi, Griechisch, Japanisch oder Französisch. «Man reist mit uns um die ganze Welt», sagt Sänger Christian Holm aus Deutschland.
Die perfekte Aussprache steht dabei ebenso wenig im Zentrum wie der perfekte Ton: Die Sängerinnen lachen immer wieder über ihre eigenen Misstöne. «Das höhere Ziel ist die Verbundenheit untereinander», erklärt die musikalische Co-Leiterin Charla Hofstetter. Wer nun glaubt, die Amerikanerin sei aber nur auf Harmonie aus, der irrt. Immer wieder bricht sie Stücke ab und rüttelt die Anwesenden auf – in Hochdeutsch. Es gebe nichts Schlimmeres als ein Chor, der gleichgültig singe, trichtert sie den 35 Frauen und 15 Männern ein, die zwischen 20 und 70 Jahre alt sind. Der musikalische Leiter des Projekts, Bernhard Furchner, hat die Idee für den Chor der Nationen 2006 als Integrationsprojekt des Kantons Solothurn mitgestaltet – unter anderem zusammen mit dem damaligen Integrationsdelegierten des Kantons, Albert Weibel, von dem die Idee ausgegangen war.
«Mir war zu Beginn nicht bewusst, dass ich im Chor der Nationen auch auf verschiedene Generationen treffe. Heute schätze ich diesen Mix sehr, da man als Ausländerin im Alltag – ohne seine Familie – nirgends eine solch bunte Durchmischung erlebt. Das hat mir gefehlt.» Kate Rothwell, Irländerin
«Ich suchte nach meiner Pensionierung bewusst einen internationalen Chor. Vor acht Jahren war alles etwas chaotisch, aber genau das gefiel mir. In meinen früheren Chören waren fast alle über 50. Ich wollte aber auch mal über etwas anderes als Enkelkinder sprechen.» Marina Wismer, Schweizerin
Schon bei den Aufwärmübungen ist sichtbar geworden, wie befreiend Singen sein kann. Bei den ersten Liedern ist der Chor aber noch etwas verhalten. Doch bei einem iranischen Lied stechen plötzlich zwei Sängerinnen heraus. Sie singen leidenschaftlicher als der Rest, in ihrer Mimik ist eine Mischung aus Freude und Schmerz auszumachen. Es ist ein Stück aus ihrer Heimat.
«Ich kann hier abschalten und vergesse alles um mich herum. Musikalisches Talent habe ich keines, aber ich liebe das Singen und schätze die Atmosphäre und die Vielfalt unseres Chores sehr.» Jila Heidarian, Iranerin
«Singen bereitet mir viel Freude. Es befreit mich vom Alltagsstress. In meinem Heimatdorf haben wir ständig getanzt und gesungen. Als ich in die Schweiz kam, fehlte mir das. Bei der ersten Probe war ich sehr positiv überrascht, in wie vielen Sprachen der Chor singt.» Sibani Gurung, Nepalesin
Auch Basel, Bern, Glarus und Luzern haben ihren Chor der Nationen. Es ist üblich, dass sich die Chöre für die Konzerte gegenseitig aushelfen, wenn es beispielsweise an Tenorstimmen mangelt. Thomas Wyss, Präsident und Sänger in Zürich, gefällt der «spezielle Groove», dieses Lockere, das etwas untypisch scheint für einen Chor. Einzig bei der Pünktlichkeit könnte es besser sein. Er muss selbst über diese Aussage lachen, weil er weiss, dass er damit ein Klischee bedient. Durchs Singen habe er einen Teil der typisch schweizerischen Hemmungen abgelegt.
«Ich gehe immer entspannt und glücklich nach Hause. Hie und da habe ich Gänsehaut beim Singen. Auch mir gefällt die Durchmischung unserer Gruppe. Es ist toll, auch auf Schweizer zu treffen, die offen sind und dich kennenlernen wollen. Wir sind eine Gemeinschaft, verbunden und vereint durch die Musik.» Lucie Bradlova, Tschechin
«Ich finde es toll, dass alle mitsingen können, auch wenn man den Ton nicht immer trifft. Bei uns finden alle Platz. Andernorts wäre man vielleicht schon lange nicht mehr dabei.» Martina Fäh, Schweizerin
Trotzdem: Beim eingangs zitierten Walliser Lied knüpft sich Charla Hofstetter das Bass-Grüppchen vor. Es ist ihr zu leise, das Fundament bricht weg. Einer der Sänger, ein Zürcher mit Passion und Hosenträgern, wehrt sich: «Dieses langgezogene ‹Ü› ist aber auch ein saudummer Vokal zum Singen!» ❋
Jahreskonzert des Zürcher Chors: 10. November, 17 Uhr, Kirche Neumünster, Zürich. Weitere Konzertdaten: www.chordernationen.ch.
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