«Der Zoo hat noch lange nicht ausgedient»
Fast dreissig Jahre ist Alex Rübel Direktor des Zürcher Zoos. Im Interview spricht er von seiner Faszination für Tiere, der Rolle, die der Zoo in unserer Gesellschaft spielt, und von seinen Zukunftsplänen.
Alex Rübel, stimmt es, dass Sie bereits als Gymnasiast Tierarzt werden wollten?
Ja, ich bin in der Nähe des Zoos aufgewachsen, und Tiere haben mich immer fasziniert. Mit meinem ersten Taschengeld habe ich das Tierlexikon von Grzimek abonniert, von dem Band für Band nach Hause geschickt wurde.
Damals sollen Sie auch den früheren Zoodirektor Heini Hediger getroffen haben, der den Zoologen in Ihnen wecken wollte. Wie wichtig war diese Begegnung für Sie?
Meine Eltern haben mir eine persönliche Führung mit Heini Hediger zum Geburtstag geschenkt. Sie war eine «Gegenleistung» für eine Spende, die meine Eltern damals an Pro Infirmis gemacht hatten. Ich erinnere mich besonders an die Flughunde, denn Hediger zeigte mir, wie sie fliegen.
Aber zur Zoologie konnte er Sie trotzdem nicht bewegen.
Die Chancen, im Zoo zu arbeiten, erachtete ich als klein, und Lehrer wollte ich nicht werden. Meine beiden Eltern waren Lehrer. Ich fühlte mich mehr zu den grossen Tieren hingezogen, war aber recht naiv. Ich wollte eine Kuh im Garten halten, doch dieser war zu klein. Vielleicht Schafe? Wir hatten keine Haustiere. Meine Eltern hatten wenig Bezug zu Tieren.
Dennoch haben ein paar Vögel Einzug im Haus Rübel gehalten.
Ja, ich habe in der Waschküche eine Voliere eingerichtet.
Was meinten Ihre Eltern dazu?
Sie haben es stoisch ertragen (lacht)
Der Weg führte dann schliesslich doch zum Zoo.
Ich wollte Grosstierarzt werden, weil ich mir so die beste Ausgangslage ausrechnete, im Zoo arbeiten zu können. Ich schrieb meine Dissertation über Tiere im Zoo, und schliesslich wurde auch eine Stelle frei in der Zoo-, Heim- und Wildtierklinik der Uni.
Der Zoo hat sich mittlerweile von einer wenig tierfreundlichen Schaubühne zu einem Naturschutzzentrum gewandelt.
Das Wohlbefinden des Tiers steht im Zentrum. Das erwarten auch die Besucherinnen und Besucher. Wir sind eine Kulturinstitution, gemacht von Menschen für Menschen, aber mit einem ideellen Ziel: zu werben für den Arten- und Naturschutz mit lebendigen Tieren. Es ist etwas anderes, neben einem Elefanten zu stehen, der riecht und trompetet, als einen solchen auf einem Bildschirm zu sehen. Diese Argumentationskette ist für mich ganz wichtig, und ich habe – zusammen mit meinen Mitarbeitenden – versucht, sie umzusetzen.
Das ist Ihnen auch gelungen. In Ihrer Amtszeit hat sich die Fläche des Zoos mehr als verdoppelt.
Das stimmt, aber für mich war nie die Argumentation: Die Löwenanlage ist schlecht, lasst uns eine neue Löwenanlage machen. Die Frage ist vielmehr: Was wollen wir mit dieser Löwenanlage erreichen? Ist das vorgenommene Ziel nicht realisierbar, dann geben wir das Tier ab.
Ist das schon vorgekommen?
Ja, wir haben keine Schimpansen und Eisbären mehr, obschon Letztere die zweitbeliebteste Tierart gewesen ist. (Das beliebteste Tier ist der Elefant, Anm. Red.) Aber Eisbären brauchen viel Wasser, und unser Zoo liegt auf dem Berg. Folglich ist der Aufwand sehr gross und macht wenig Sinn. In solchen Momenten muss man korrigieren und lieber etwas weniger machen, aber das dann dafür richtig. Wir wollen den Besuchern ein Erlebnis bieten. Ihnen die Tiere näherbringen, etwas über sie erzählen und eine Verbindung zur Natur schaffen. All dies muss möglich sein.
Welches ist Ihr persönliches Lieblingstier und warum?
Ich habe kein persönliches Lieblingstier, mich interessieren in der Natur die Zusammenhänge, unter den Tierarten, zwischen Tieren, Pflanzen und ihrem Lebensraum.
Wie hat sich das Verhältnis Mensch und Tier gewandelt? Ich denke da an die omnipräsenten Schosshunde oder die Veganerbewegung.
Es geht in die Richtung von Extremen. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die die Tiere in ihrer Wildnis belassen wollen, obwohl es eine solche gar nicht mehr gibt. Sie verbieten auch, dass man etwas mit dem Tier machen, es nutzen darf. Auf der anderen Seite gibt es die übermässige Vermenschlichung. Schon Heini Hediger hat gesagt: «Vermenschlichung ist eine der grössten Tierquälereien.» Auch die Unterscheidung zwischen Haus- und Wildtier erachte ich als seltsam, zumal viele das Gefühl haben, dass man alles mit einem Haustier machen kann. Aber dass Wildtiere genauso zahm werden können wie ein Haustier und es ihnen wohl dabei ist, steht gar nicht zur Diskussion. Ein Gepard kann zahmer werden als jede Hauskatze.
Blickt man zurück, dann haben Sie sehr viel erreicht. Gab es in den fast dreissig Jahren nie einen Moment, wo Sie gesagt haben: So, jetzt reicht es. Ich mache etwas anderes.
(lacht) Nein. Es ist der beste Beruf, den man haben kann. Extrem vielseitig. Wir haben 320 Mitarbeitende, einen grossen Restaurationsbetrieb, Events usw. Es ist hochspannend, und es kommt mir vor, als hätte ich gestern angefangen.
Dennoch hören Sie 2020, kurz nach dem offiziellen Pensionsalter, auf. Warum?
Ich habe diese Aufgabe mit voller Kraft und Freude gemacht, aber die Kraft lässt auch bei mir etwas nach. Zudem freue ich mich, dass im Zoo mit neuem Blut auch neue Ideen kommen. Das hat eine Institution immer wieder nötig.
Kaum im Amt mussten Sie zu Beginn der Neunzigerjahre ein Defizit abwenden. Sie sprangen auf den Dinosaurier-Hype auf und lockten mit der Ausstellung Dinamation über 900 000 Besuchende – ein Rekord – an. Woher stammt dieses Organisationstalent?
Das Organisieren kommt aus der Pfadi. Ich war Zürcher Kantonalfeldmeister und habe viele Anlässe organisiert und Kurse geleitet.
In ihrer Amtszeit wurden gigantische Projekte realisiert wie der Masoala-Regenwald, der Elefantenpark, und 2020 soll die Lewa-Savannen-Anlage eröffnet werden. Welches ist Ihr persönliches Highlight?
Der Masoala-Regenwald, hier kommt alles zusammen, was ich erreichen möchte: die Faszination und die Zusammenhänge in diesem grossen Ökosystem, was edukativ sehr interessant ist. Hier leben vom Insekt bis zum Halbaffen – insgesamt über 50 verschiedene Tierarten – ohne Schranken im Wald zusammen, und der Mensch bewegt sich ebenfalls mittendrin. Dazu kommt die Verbindung zum Masoala-Nationalpark in Madagaskar, den wir unterstützen. Dort geht es um eine nachhaltigere Lebensweise der lokalen Bevölkerung mit dem Regenwald.
Die Masoala-Halle ist ein hoch komplexes System. Wie viel Zeit hat die Planung in Anspruch genommen?
Von den ersten Plänen bis zur Realisierung ging es elf Jahre. Dazu gehörte auch, dass wir mit dem Landschaftsarchitekten nach Madagaskar flogen, um vor Ort zu sehen, wie das auf der Insel aussieht. Wenn die grossen Bäume einmal gepflanzt sind, kann man sie nicht mehr verschieben. Es gab auch Leute, die mir sagten: «Du spinnst!» Es ist das grösste Gebäude in Zürich, aber ich war überzeugt, dass wir nur ein Gleichgewicht erreichen können, wenn die Halle genügend gross ist. Die Risiken waren da, aber ich hatte die Unterstützung vom Verwaltungsrat.
Aber kommen denn alle Tiere in der Halle gut miteinander aus?
Nicht immer. Wir hatten früher Schmetterlinge in der Halle. Diese wurden inzwischen von den Vögeln gefressen. Das gehört dazu.
Sie betonen, dass Aufklärung ein massgebender Teil des Zoos ist.
Für mich liegt die Zukunft des Zoos im edukativen, sensibilisierenden Bereich. Würde man den Zoo schliessen und hätte man keine Haustiere mehr, würde man das Gefühl für Tiere verlieren. Man würde sie verdrängen, und nur noch der Mensch wäre da. Das kann es für mich nicht sein. Menschen brauchen eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Tieren, denn man schützt nur, was man liebt, man liebt nur, was man kennt, und kennt nur das, was einem beigebracht wurde. Der Zoo hat noch lange nicht ausgedient – im Gegenteil.
Wie wichtig ist die Funktion des Zoos beim Artenschutz?
Das gibt es Beispiele vom Goldgelben Löwenäffchen, der Arabischen Oryx und des Kalifornischen Kondors, aber wichtiger ist der Lebensraumschutz. Die Tiere sollten in ihrem Lebensraum erhalten bleiben. Der Zoo kann Hilfe leisten. Manche Tiere von uns wurden mit Erfolg ausgesiedelt, aber das ist eine kleine Zahl. Auswildern bietet sich nur an, wenn es Sinn macht und die Tiere dort überleben können.
Wenn Sie als Tierarzt zurückblicken, was hat Sie am meisten beim Verhalten der Tiere überrascht?
Die wohl grösste Überraschung für mich ist die Rückkehr zum Matriarchat bei den Elefanten gewesen, als wir Menschen nicht länger eingegriffen haben. In die neue Anlage gehen keine Menschen mehr hinein, sondern man lässt die Elefantefamilien Familien sein. Der Mensch dominiert nicht mehr, wie das früher üblich war. So hat die Elefantenmutter die ältere Schwester herangepfiffen, damit diese auf die Kleine aufpasst, wenn das Junge baden geht.
Aber der Tierpfleger muss ja immer noch ausmisten …
Das schon, aber wenn der Elefant nicht will, dann können Sie nichts machen. Der Elefant macht alles freiwillig. «Du musst jetzt …», funktioniert nicht. «Chum mach das, dänn chunsch no öppis zur Belohnig über», führt eher zum Ziel.
Viele Tiere kommen im Zoo zur Welt und sterben auch hier. Wie wird der Tod im Zoo erlebt?
Wir haben praktisch keine Tiere aus der Wildnis mehr. Sie stammen aus anderen Zoos oder von uns. Geburt und Tod gehören zum Leben. Natürlich ist man traurig, wenn zum Beispiel das Gorillaweibchen Mamitu mit 41 Jahren stirbt, das fast gleichzeitig mit mir zum Zoo kam. Da scheidet jemand aus unserer Familie aus.
Eine solch gigantische Anlage braucht Geld. Wie finanziert sich der Zoo?
Die grossen Spenden sind ganz entscheidend, häufig sind es Legate. Wichtig ist zu zeigen, was wir machen, welche Bedeutung der Zoo hat. Es ist ja nicht «mein» Zoo, sondern der der Bevölkerung. Es ist auch die Gesellschaft, die ihn trägt.
Aber das Geld kommt nicht einfach so rein.
Nein, man muss überall präsent sein. Das Vertrauen gewinnen, dass etwas Rechtes mit dem Geld gemacht wird, das ich spende. Wir drehen jeden Franken zweimal um, schliesslich geht es um das Wohl der Tiere. Auch mich erschreckt es immer wieder, was diese Anlagen kosten, aber das Beispiel Masoala-Regenwald zeigt, dass es sich lohnt.
Sie gehen 2020 in Pension. Was sieht Ihr Leben nach dem Zoo aus?
Nun, ich werde schon etwas schneller müde. Nächte durchzuarbeiten, liegt nicht mehr drin. Ich habe noch verschiedene Stiftungsmandate und bin Präsident der Bibliophilen-Gesellschaft der Schweiz. Das ist mein Hobby. Ich kann mir aber auch vorstellen, bei einem Start-up in einem ganz anderen Feld mitzuwirken und so etwas aufzubauen. Das mache ich gerne.
Ein Leben für die Tiere
Eine persönliche Führung des damaligen Direktors Heini Hediger durch den Zürcher Zoo hat beim Gymnasiasten Alex Rübel 1971 eine Weiche gestellt. Zwar sollte es 20 Jahre und ein Veterinärstudium dauern, bis der grossgewachsene Tierarzt das Amt als Zoodirektor übernehmen würde, aber dafür tat er es mit Herzblut. In den fast dreissig Jahren hat der einst begeisterte Pfadfinder mit Rufnamen «Chüngel» im Rahmen seines Masterplans 2020 gigantische Anlagen wie den Masoala-Regenwald und den Kaeng-Krachan-Elefantenpark realisieren können. Seit bald 20 Jahren ist der Zoo dank dem pausenlosen Engagement des Buchfreunds und Präsidenten der Schweizerischen BibliophilenGesellschaft schuldenfrei. Im kommenden Jahr wird die Lewa-Savanne eingeweiht werden und einen krönenden Abschluss für Alex Rübels Arbeit im Zoo bieten. Er wird – wie er sagt – dem Zoo erhalten bleiben, in welcher Funktion, ist noch nicht bekannt, aber «bestimmt nicht als graue Eminenz im Hintergrund». Alex Rübel wohnt mit seiner Partnerin in Zürich und hat drei Kinder und zwei Enkel.