«Ich wollte mein Leben neu denken»
Die Quizsendung «Risiko» hat Gabriela Amgarten beim Schweizer Fernsehen zum Star gemacht. Seit neun Jahren ist die knapp 59-Jährige als selbstständige Kommunikationsberaterin tätig – und verknüpft dabei all ihr Wissen aus der Zeit bei SRF.
Interview: Fabian Rottmeier
Lassen wir «Risiko» kurz aufleben: Wie lautete die Antwort auf die Frage, die den Moldovan-Betrug von 1998 offenlegte?
Ich glaube … Rolf Bloch.
Korrekt! Die falsche Antwort «Das isch dä Fuessballer Moldovan gsi» entlarvte den Quiz-Kandidaten als Betrüger, weil er die Antwort eine Fragerunde zu früh ausgesprochen hatte. Der Satz ist Kult geworden.
Mit dem Moldovan-Betrugsfall, aber auch mit der legendären Panne von 1993, als das «Goldrad» kaputtging, haben wir Fernsehgeschichte geschrieben. Ich werde noch sehr häufig auf die beiden Vorfälle angesprochen. Die Leute erinnern sich gern an die Sendung «Risiko».
Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die «Risiko»-Jahre 1992 bis 2000 beim Schweizer Fernsehen zurück?
Mit grosser Dankbarkeit. Ich durfte eine enorm schöne Zeit erleben. Zudem habe ich es sehr geschätzt, dass ich beruflich immer wieder neue Wege einschlagen konnte, etwa beim Wechsel von «Risiko» in die Führungsarbeit beim Schweizer Fernsehen. Ich habe wunderbare Chancen erhalten.
Die Livesendung am Montagabend wurde oft von einer Million Menschen verfolgt. Beeinflusste die hohe Einschaltquote Ihre Entwicklung als Moderatorin?
Sie beeinflusste mich sicher als Mensch. Plötzlich wurde ich auf der Strasse angesprochen und wurde zu einer Art Kunstfigur. Das hat mich geprägt und einen Prozess mit Hochs und Tiefs ausgelöst. Zuerst war ich erstaunt, fühlte mich geschmeichelt, bevor mir alles ein wenig zu viel wurde und ich mich in einem goldenen Käfig wähnte. Ich fühlte mich oft beobachtet. Stück für Stück lernte ich, damit umzugehen, und habe mir meine Freiheit zurückerobert und die Vorteile auch genossen. Heute ist das alles kein Thema mehr.
Sie leiteten nicht nur «Risiko», sondern später auch weitere Spiel- und Quizsendungen, bevor Sie zwischen 2005 und 2010 zur SRF-Unterhaltungschefin aufstiegen. Führen und Gestalten bereite Ihnen grossen Spass, sagten Sie einst. Weshalb?
Weil ich mich enorm dafür begeistern kann, einer Sache auf den Grund zu gehen. Ich möchte wissen, was den Kern ausmacht. Wie geht man es an, um vorwärtszukommen? Wie fördert man Kreativität und den Mut, anders zu denken? Um diese Fragen dreht sich auch meine heutige Arbeit als Kommunikationsfachfrau. Übrigens – im beruflichen Umfeld war ich immer mutig, körperliche Mutproben hingegen liegen mir gar nicht. Obwohl ich gerne wandere, konnte ich mich noch nie überwinden, über einen Grat zu gehen. Ein richtiges Weichei eben …
«Der Entscheid, mich im Alter von 50 Jahren selbstständig zu machen, hat mich enorm belebt»
Es scheint, als wollten Sie auf Ihrem Werdegang stets selbst entscheiden, wann es Zeit für ein neues Kapitel ist.
Durchaus. Ich lerne extrem gerne, bin neugierig und möchte ein Thema, das mich interessiert, erleben und erfassen. Nach einem Zyklus, der in der Regel sieben bis neun Jahre gedauert hat, wollte ich mich jeweils etwas Neuem widmen. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich diese Seite von mir ausleben kann und konnte. Auch der Entscheid, mich im Alter von 50 Jahren selbstständig zu machen, gehört dazu. Er hat mich enorm belebt.
Was gab den Ausschlag?
Ich wollte mein Leben nach 21 Jahren beim Fernsehen nochmals neu denken, eine neue Arbeitsform und andere Branchen kennenlernen. Ich wollte mich weiterbilden und letztlich nochmals auf Risiko setzen. Natürlich half es, dass man mich als Moderatorin kannte. Es war trotzdem ein riskanter Schritt.
Hat es viel Überwindung gekostet, mit 50 einen gut dotierten und sicheren Job aufzugeben?
Ich dachte ein Jahr lang darüber nach. Dabei habe ich verschiedene Zustände erlebt. Manchmal war ich fast euphorisch, dann wieder leicht panisch. Diesen Prozess zuzulassen und mir darin Zeit zu geben, war sehr wichtig. Am Ende überwog aber die Lust auf das Neue. Sogar sehr klar. Dadurch wurde mein Entscheid einfach. Ich habe ihn nie hinterfragt. Es war richtig so.
Ihre Laufbahn begann mit einem erfüllten Kindheitstraum: Krankenschwester im Kantonsspital Luzern. Trotzdem arbeiteten Sie nur wenige Jahre auf dem Beruf. Weshalb?
Vermutlich war ich noch etwas zu jung, um mich mit einem dauerhaften Leben als Krankenschwester anzufreunden. Ich wollte noch eine andere berufliche Ebene kennenlernen. Der Mensch stand jedoch sowohl im Spital als auch in meinen weiteren Berufsstationen immer im Zentrum. Die verschiedenen Dimensionen, in denen sich ein Menschenleben bewegen kann, haben mich fortzu fasziniert.
Seit neun Jahren arbeiten Sie als selbstständige Kommunikationsfachfrau und als Business-Coach von Führungskräften. Der österreichische Sprachwissenschaftler Paul Watzlawick schrieb: «Man kann nicht nicht kommunizieren.» Stimmen Sie zu?
Voll und ganz. Auch wer schweigt, kommentiert eine Situation. Übrigens nicht nur im beruflichen Umfeld. Etwas nicht zu kommentieren, kann eine machtvolle Geste sein. Es entsteht ein Interpretationsspielraum. Das sind starke Körpersignale, die eine Situation klar kommentieren.
Wie früh wurde Ihnen dies bewusst?
Als Krankenschwester lernte ich, dass Kommunikation dort beginnt, wo Menschen miteinander interagieren. Ich erlebte, wie wichtig das Wort, die Tonlage und die Körperhaltung sind. In der Medienbranche haben sich diese Erkenntnisse vertieft. Eine weitere Stufe lernte ich kennen, als plötzlich die Rollen getauscht wurden und ich von der Interviewerin zur Interviewten wurde. Heute arbeite ich als Coach und als Beraterin nochmals in einer anderen Form der Kommunikation.
«Die Kommunikationsarbeit des Bundes habe ich sehr aufmerksam verfolgt. Zu Beginn der Pandemie hat sie mich extrem überzeugt»
Was zeichnet eine gute Kommunikation aus?
Eine Kommunikation ist dann gut, wenn sie klar, attraktiv und verständlich ist. Eine entsprechende Vorbereitung ist elementar und wird häufig unterschätzt. Das führt zu diffusen oder missverständlichen Aussagen, die im harmlosen Fall nichts bringen und im schlimmen Fall schaden. Ebenso unterschätzt wird häufig, dass wir immer auf drei Ebenen kommunizieren.
Wie meinen Sie das?
Einerseits über den Inhalt, also mit dem, was man sagt. Zweitens über die Optik, wozu Mimik, Gestik, Farben, aber auch Kleidung oder die Umgebung wie beispielsweise mein Wohnzimmer gehören. Die dritte Ebene ist die tonale Ebene. Dazu zählen die Stimmfarbe, die Modulation, der Sprechrhythmus, die Betonung. Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen nimmt nachweislich ab. Jeder dieser drei Ebenen muss stimmen, damit die erwünschte Botschaft ankommt. Der Mut zur einfachen Sprache hilft entscheidend. Fachausdrücke sind fehl am Platz. Konkrete Beispiele helfen.
Aus Sicht der Kommunikationsexpertin muss die Corona-Zeit spannendes Lernmaterial hergeben.
Die Kommunikationsarbeit des Bundes habe ich sehr aufmerksam verfolgt. Zu Beginn der Pandemie hat sie mich extrem überzeugt. Die Auftritte der Verantwortlichen waren sehr gut, ebenso die klare, einfache Sprache mit Sätzen wie «Bleiben Sie zu Hause». Mit der Zeit kam dann doch etwas Kakofonie hinzu. Es folgte das Kommunikationsproblem mit den Masken und die Übergabe der Verantwortung an die Kantone, die nicht alle denselben Weg einschlugen, was teilweise zur Verunsicherung führte.
«Sich im Videostudium selbst zuzuschauen, ist die härteste Schule. Selbst für mich – noch heute»
Teilen Sie den Eindruck, dass Unternehmen durch Social Media zu einer rascheren und anderen Form der Kommunikation gezwungen wurden?
Social Media hat viel verändert. Die Devise «Geschwindigkeit vor Genauigkeit» kannte man bis dato bloss für die Krisenkommunikation. Facebook-Kommentare können jedoch ohne gekonntes, rasches Reagieren eine gefährliche Dynamik entwickeln. Längst haben grössere Firmen zu Recht Leute engagiert, die sich ausschliesslich um Facebook, Twitter, Instagram und weitere Plattformen kümmern. Diese Mitteilungsform hat Zukunft und verändert auch unsere Gewohnheiten.
Sie vermitteln Ihr Wissen auch zum Thema Auftrittskompetenz – und beginnen mit einem Videostudium. Sind Ihre Kundinnen und Kunden überrascht, wie sie auf Bewegtbildern wirken?
Ja, und wie! Die Kamera zeigt sofort und unmittelbar die eigene Wirkung auf. Eine Methode mit hohem Lerneffekt. Sich selbst zuzuschauen, ist die härteste Schule. Selbst für mich – noch heute!
Weil Sie sich als Profi mit vielen Jahren Fernseherfahrung selbst kritischer beurteilen?
Auch, aber nicht nur. Nach so vielen Jahren fernab von Fernsehkameras ist es auch für mich ungewohnt geworden, mich selbst auf Video zu sehen. Plötzlich fallen mir wieder Macken auf, die mir nicht bewusst waren. Hinzu kommt für viele Kameraneulinge, dass sie ihre eigene Stimme etwas tiefer wahrnehmen als die Zuhörenden. Ein bekanntes Phänomen, das durch die Resonanzräume im Körper zu erklären ist und einen selbst irritiert. Kommt hinzu: Niemand ist sich gewohnt, sich selbst beim Sprechen zuzuschauen. Vor dem Spiegel sprechen wir kaum.
Authentizität sei zentral, sagten Sie in einem Interview. Aber lässt sie sich denn überhaupt trainieren?
Authentizität ist ein grosses Wort im Bereich der Auftrittskompetenz. Oft erhält man Ratschläge wie: «Bleib du selbst!» oder «Nur locker bleiben!». Leicht gesagt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man im Training einen «U-Prozess» durchlebt. Man erlebt, dass etwas nicht so wirkt wie beabsichtigt – und schon landet man im Tal der Tränen. Gemeinsam nehmen wir dann den Auftritt auseinander und analysieren die drei erwähnten Kommunikationsebenen. Wir hinterfragen etwa die Sprache und die Wortwahl. Das alles kann zusätzlich verunsichern. Nun setzen wir alles neu zusammen. Das Ziel: Der Klient oder die Klientin soll natürlich, kompetent und überzeugend wirken. Die eigene Persönlichkeit soll spürbar sein und leuchten. Das ist meine Aufgabe.
«Prägend war sicher, dass häufig ausländische Touristen bei uns im Haus ihre Ferien verbrachten und ich meiner Mutter oft beim Putzen der Gästezimmer helfen musste»
Blicken wir nochmals auf eine Fernseh-Anekdote zurück. 1996 trugen Sie in der Satiresendung «Ventil» bei einem Gastauftritt ein frisch gestochenes Lippenpiercing. Sie spielten den Gag verblüffend abgeklärt.
Meine Eltern glaubten, die Szene sei echt, und waren entsetzt. Sie sahen sich gezwungen, am nächsten Morgen die Frühmesse zu besuchen, um für mich zu beten. Sie dachten, ihre Tochter spinne endgültig. (lacht)
Ihre Eltern sind mittlerweile verstorben. Ist mit diesem Verlust auch ein Teil Ihrer Obwaldner Heimat weggebrochen?
Nicht unbedingt. Da zwei meiner Schwestern im Bauernhaus meiner Eltern in Lungern nun eine Ferienwohnung haben und ich oft dort zu Besuch bin, konnte ich den Bezug zu meiner Heimat bewahren. Meine Tochter und ich haben mehrmals in Lungern Ferien verbracht.
Wie viel vom Bauernmädchen von damals steckt heute noch in Ihnen?
Prägend war sicher, dass häufig ausländische Touristen bei uns im Haus ihre Ferien verbrachten und ich meiner Mutter oft beim Putzen der Gästezimmer helfen musste. Ich mochte es, dass wir Kinder immer Leute um uns herum hatten. Ein Leben als Bäuerin konnte ich mir jedoch nicht vorstellen. Ich bin nicht praktisch begabt. Und die Kühe wären wahrscheinlich vor mir fortgerannt. ❋
Mut zum Risiko
Gabriela Amgarten wuchs als eines von fünf Bauernkindern in Lungern im Kanton Obwalden auf. Sie erfüllte sich ihren Berufswunsch Krankenschwester. Mit 25 trat sie eine Praktikumsstelle beim Luzerner Radio Pilatus an, ein kurzes Engagement bei den Luzerner Neusten Nachrichten. 1990 bewarb sie sich beim Schweizer Fernsehen als Nachrichten-Redaktorin und Moderatorin. Nachdem sie beim «Sonntagsmagazin» ihre TV-Premiere feierte, erhielt sie mit dem Quizspiel «Risiko» von 1992 bis 2000 ihre erste eigene Sendung. Sie wechselte hinter die Kamera und führte die Abteilung Quiz & Spiele, bevor sie ab 2005 fünf Jahre lang SRF-Unterhaltungschefin war. Seit 2011 ist sie selbstständige Kommunikationsfachfrau und Business-Coach. Die passionierte Wanderin und Joggerin lebt mit ihrer Tochter (und einer Katze) im luzernischen Meggen am Vierwaldstättersee.