«Heute zählen Show und Turnkunst»
Paul Engelmann hat das Eidgenössische Turnfest jahrzehntelang begleitet. Als Sportler, Vereinspräsident und später als Zentralpräsident des Schweizerischen Turnverbandes. Vieles habe sich positiv verändert, sagt er.
Sie haben für das Organisationsteam des letzten Eidgenössischen Turnfestes dessen Geschichte zusammengefasst. Hat Sie dabei etwas besonders überrascht?
Überrascht ist vielleicht das falsche Wort, aber ich habe erfreut festgestellt, dass sich das Turnen innerhalb der gesellschaftlichen Veränderungen enorm entwickelt hat. Oft heisst es ja, der Sport passe sich der Entwicklung der Gesellschaft etwas verzögert an. Ich erhielt jedoch den Eindruck, dass die Turnbewegung diesbezüglich häufig an vorderster Stelle mit dabei war. Sie hat Trends wahrgenommen und sich angepasst. Wenn man die letzten Turnfeste analysiert, würde ich sogar behaupten, dass die Vereine und Verbände sehr innovativ geworden sind.
Wie würden Sie das ETF einem «Nichtturner» beschreiben?
Das Eidgenössische Turnfest ist für jede Turnerin und jeden Turner ein Ereignis, dessen Teilnahme sie und er sich alle sechs Jahre zum Ziel setzt. Ab 50 gibt es jedoch viele Quereinsteiger im Turnverein, die vielfach aus gesundheitlichen Gründen eine andere Sportart aufgeben mussten. Ihnen geht dieses Bewusstsein teilweise ab. Wir Alteingesessenen erinnern uns sogar noch an Vorbereitungstrainings am Sonntagmorgen. Das war damals der einzige Tag, an dem alle frei hatten.
Wie verlief Ihre erste Teilnahme?
1963 war ich gerade mal 17 Jahre alt und staunte. Diese Dimensionen kann man sich vorab gar nicht so richtig vorstellen. Eindrücklich auch, wie alle in Weiss turnten, von Kopf bis Fuss. Die Botschaft war unmissverständlich: Alle sind gleich, egal, ob Genfer oder Rheintaler. Im Unterschied zu heute war damals eine grosse Disziplin gefordert. Alles ging militärisch und streng zu und her. Sprechen etwa war verboten. Der Oberturner stand in der Achtungsstellung vor der Gruppe und gab lautstark seine Befehle durch.
Das ist heute zum Glück nicht mehr der Fall.
Das hat sich Schritt für Schritt geändert. Wobei auch zu sagen ist, dass es später eine Phase gab, in der die Show fast mehr zählte als die Leistung und die Turnkunst. Heute ist es eine gute Mischung, die den Erfolg ausmacht.
Welche Werte zeichnen das Turnfest aus?
Die Grundsätze und Leitbilder des Schweizerischen Turnverbandes haben sich zum Glück nicht stark verändert. Es geht um Bewegung, Respekt, Anstand und Akzeptanz. Das Motto «Frisch, fromm, fröhlich, frei» mag etwas veraltet klingen, aber diese christlichen Grundwerte gelten auch heute noch.
Welches waren in Ihrer Zeit als Zentralpräsident des Schweizerischen Turnverbandes in den 1990er-Jahren die grössten Herausforderungen?
Wir haben damals grundsätzlich hinterfragt, ob solch grosse Feste noch zeitgemäss sind – auch im Hinblick auf die Jahrtausendwende. Unsere Antwort war ein klares Ja, auch wenn die Bedeutung des ETF im Vergleich zu früher etwas kleiner sein mag. Es geht schon lange nicht mehr darum, den Zusammenhalt der Schweizer Bevölkerung zu fördern. Uns war jedoch bewusst, dass der Anlass in Zukunft professioneller geführt werden muss. (Anm. d. Red.: Im Organisationskomitee des diesjährigen Eidgenössischen Turnfests sind denn auch sieben Personen angestellt.)
Inwiefern hat Ihre Funktion als Zentralpräsident Ihren Blick aufs ETF verändert?
Ich habe das ETF noch einmal neu kennengelernt. Während ich mich 1967 als Spitzensportler im Zehnkampf voll und ganz aufs Sportliche konzentriert habe, drehte sich in meiner Zeit als Präsident viel ums Strategische. 1997 hatte ich die grosse Ehre, das Turnfest als Präsident mit einer Rede vor rund 25 000 Leuten zu eröffnen. Adolf Ogi sass an der Eröffnungszeremonie neben mir.