Ich musste bei null anfangen
Das Fernsehen hat sich extrem gewandelt: Wären Sie heute noch gerne TV-Ansagerin?
Durchaus, obwohl ich eigentlich nie wahnsinnig gerne vor der Kamera gestanden bin. Sogar die Frisur wurde einem vorgeschrieben. Beim Fernsehen zu arbeiten, war nie mein Ziel gewesen. Vielleicht mochten mich die Zuschauerinnen und Zuschauer auch gerade deshalb, weil ich nicht so affektiert wirkte. Kürzlich sah ich mir am Schweizer Fernsehen spätnachts die alten Sendungen zum 50-Jahr-Jubiläum des Farbfernsehens an. Und hielt es bei der Quizsendung «Wer gwünnt?» kaum aus, obwohl ich damals ko-moderiert hatte: Unglaublich, wie «lamaschig» alles war!
Mit 25 Jahren sprachen Sie beim Schweizer Fernsehen 1970 Ihre erste Ansage. Ihre Premiere verlief – soviel ich weiss – alles andere als optimal.
Ja, und dabei hatte ich meine Chance überhaupt erst deshalb erhalten, weil meine Kollegin Monique Krieger heiratete. Es war ein Freitagabend, und die Einsätze am Wochenende waren die wichtigsten. Als das rote Licht leuchtete und ich auf Sendung war, wusste ich vor lauter Nervosität gar nicht mehr recht, was ich tun sollte. Ich dachte, ich dürfe nicht einmal blinzeln. Ich schielte verkrampft auf mein Blatt, sah das Wort «Alexander», und statt Alexander J. Seiler pries ich Peter Alexander als Regisseur an – ohne den Fehler zu bemerken. Danach durfte ich drei Monate lang keine Ansagen mehr machen.
Welche Stimmung herrschte damals beim Schweizer Fernsehen?
Eine sehr familiäre und kollegiale – ohne Berührungsängste. Alle kannten sich. Es war eine schöne Zeit. Manchmal war es als Ansagerin etwas einsam, weil abends nicht mehr viele arbeiteten.
Sie bezeichnen sich als schüchtern.Mussten Sie für die TV-Ansagen nicht jedes Mal enorm viel Mut aufbringen?
Doch, immer. Mir stockte jedes Mal der Atem, sobald die Kamera lief. Das Schwierigste war, auf den Punkt bereit zu sein. Und die Texte mussten auf die Sekunde genau stimmen. Insbesondere in den letzten drei Sekunden, damit sich die Regie für den Schnitt zum nächsten Beitrag auf uns verlassen konnte. Solche Bedingungen lassen es nicht zu, dass man sich als Person entwickeln kann. Schön wars trotzdem.
Haben Sie Ihre Sprachfertigkeit geerbt?
Schwierig zu sagen. Meine Mutter hat mir immer Gedichte vorgetragen, die sie in der Schule gelernt hatte. Mir selbst machen Sprachen und Dialekte noch heute Freude. Diese hatten mir schon meine Lehrer vermittelt. Ich beobachte die Sprache gerne. Als ich beim Radio arbeitete, wurde sehr darauf geachtet, dass unser «Baaseldytsch» korrekt ist. Ich besitze noch heute Grammatik- und Wörterbücher zum Basler Dialekt. Heute verlernen die Leute sogar ihren eigenen Dialekt.
Am Telefon klingen Sie wie eine Frau, die weiss, was sie will. Täuscht dieser Eindruck?
Nein, heute stimmt das sicher. Aber das musste ich lernen, denn lange Zeit konnte oder wollte ich dies nicht zeigen. Am meisten entwickelt habe ich mich – quasi gezwungenermassen – während der knapp 13 Jahre, die ich in den USA verbracht habe. Davor war alles wie von selbst gegangen: Fernsehen, Radio, Bestätigung, Heirat, Kinder. Doch dann ging 1995 in den USA meine zweite Ehe abrupt zu Ende, kurz nachdem wir meinem Mann zuliebe ausgewandert waren. Meine beiden Kinder kehrten bald wieder in die Schweiz zurück.
Ein schrecklicher Start.
Es geschah alles in einer Zeit, in der ich im Gegensatz zu früher gar nicht hatte auswandern wollen – weil ich für meine Eltern da sein wollte. Und dann war ich mit 50 Jahren in einem Land, in dem dir die Leute zu spüren gaben: «Du bist nicht mehr in der Schweiz, du bist nun in Amerika!» Ich musste bei null anfangen und aus mir herauskommen, damit ich mich mit der amerikanischen Mentalität anfreunden konnte. Und dies tat ich.
Was war der erste Schritt dazu?
Meine journalistische Arbeit für die Zeitung «News Star», wo ich schliesslich meine eigene deutschsprachige Seite erhalten sollte. Das war insofern ein toller Einstieg, weil ich an jede «Hundsverlochete» musste und mich mit Dingen befasste, von denen ich keine Ahnung hatte: Hurrikans zum Beispiel oder Waffen. Durch diese Tätigkeit war ich rasch integriert. Das wäre mir an einem neuen Ort in der Schweiz wohl nicht gelungen. Da wäre ich verhungert, bevor ich alleine in ein Restaurant gegangen wäre! Zudem sind die Amerikaner direkter als wir Schweizer und auch hilfsbereit, wenn man ihnen eine Gelegenheit dazu gibt. Das gefiel mir. Ich bin offener und mutiger geworden.
Wie viel USA steckt elf Jahre nach der Rückkehr in die Schweiz noch in Ihnen?
Sehr viel – sogar ein wenig Heimweh. Ausgerechnet nachdem es dort sieben Jahre gedauert hatte, bis ich die Schweiz nicht mehr vermisste. Ich habe so viel Tolles erlebt in den USA. Florida war für mich ein wichtiger Lebensabschnitt, den ich nicht missen möchte.
Wie würden Sie Ihren Wohnort, Lehigh Acres, beschreiben?
Der Schweizer würde sagen: «In der Pampa.» Die Stadt liegt bei Fort Myers, etwa 20 Kilometer vom Meer entfernt. Es ist kein hübscher Ort, «nüt rächts», voller schauerlicher Geschichten von deutschen und Schweizer Auswanderern, die sich gegenseitig über den Tisch gezogen haben. Ich fand jedoch immer Arbeit, sei es bei der Zeitung, einem deutschsprachigen Magazin, oder mit meiner kleinen Firma Floridatipps, die Deutschsprachige in jeder Form unterstützte. Alle kannten mich, alle grüssten mich – wie im Dorf. Später war ich Präsidentin des lokalen Rotary Clubs, habe Stadtfeste mitorganisiert und gründete auf Initiative des Konsulats den Swiss-American Club of Southwest Florida. Ich konnte mich verwirklichen.
Selbst Übersetzerin im Sheriff’s Office waren Sie! Das klingt aufregend
Ja, das war es. Ich habe auch vor Gericht übersetzt. Nie vergesse ich die Geschichte einer deutschen Frau, die mit einem Messer auf ein Kind losgegangen war. Grauenhaft. Und dann stellte sich diese Frau als sehr liebenswert heraus. Das lässt einen nicht so schnell los.
Wie kam es dazu, dass Sie später als Immobilienmaklerin arbeiteten?
Durch einen Bürojob erhielt ich Einblicke in diese Branche, die mich schon immer interessiert hatte. Ich liess mich zur Immobilienhändlerin ausbilden und entdeckte so eine neue Leidenschaft. In der Schweiz fehlte mir aber das Geld, um damit weiterzumachen. Diese Arbeit fehlt mir sehr. Das Gefühl, für jemanden das passende Heim zu finden, ist wunderbar. Man ist ebensosehr Betreuerin wie Verkäuferin. Aber ich will nicht klagen, heute arbeite ich teilzeit am Empfang einer Rechtsschutzfirma. Wer hat in meinem Alter schon einen solch tollen Job mit so viel Verantwortung?
Wie schwierig war der Wiedereinstiegin der Heimat?
Schwieriger als gedacht. Ich musste fast ein zweites Mal von vorn beginnen. In den USA hatten mir viele von der Rückkehr abgeraten. Ich liess mich davon nicht beirren, weil ich wegen meiner Kinder und meiner Mutter zurück wollte. Es ist nicht abwertend gemeint, wenn ich sage, dass man in der Schweiz fast willkommener ist, wenn man nur temporärer Besucher ist. Zuerst lebte ich ein Jahr in Nottwil, das war als Einstieg ideal, da ich im Umfeld des Schweizer Paraplegiker-Zentrums viele wertvolle Bekanntschaften machen durfte.
Sie erhielten dort auch eine Festanstellung …
… und als ich pensioniert wurde, durfte ich weiterarbeiten. Noch heute führe ich Besuchergruppen durch die Klinik. Führungen zu machen, ist ein Hobby geworden. Es ist schön, interessierten Leuten etwas zu vermitteln. Schon beim Fernsehen hab ich das gerne gemacht, im Zoo ebenso, und in Florida begleitete ich Besuchende durch ein Natur-Reservat oder einen Seekuh-Tierpark.
In Basel hatten Sie jahrelang gar inmitten von Tieren gelebt – in Ihrer Wohnung auf der Anlage des Zoos, die Ihrem Mann als Direktor zustand. Sie selbst machten Führungen und eröffneten auch den Souvenirladen. Was bedeutet Ihnen der Zoo heute?
Er ist ein wichtiger Ort, der mir Freude macht und immer ein Teil von mir geblieben ist. Auch wegen unvergesslicher Erinnerungen als Familie, wie etwa die gemeinsamen Rundgänge nach Betriebsschluss – die Kinder meist schon im Pyjama und auf ihren Trottinetts und Velos unterwegs. Vom Garten unserer Wohnung konnte ich den Flusspferden zuschauen! Wann immer ich aus den USA zu Besuch in Basel war: Der Zoo musste sein. Nicht zuletzt wegen der Tiere, die sich an mich erinnerten. Ein Orang-Utan beispielsweise wollte immer schauen, ob ich meine Fingernägel rot lackiert hatte. Und eines Tages zeigte er mir sein Neugeborenes, noch bevor es die Wärterin sehen durfte. Das hat mich tief bewegt. Seit meiner Rückkehr bin ich sehr oft im «Zolli» – auch gern alleine. Er ist ein Stück Heimat, zu dem ich auch heute ein entspanntes Verhältnis habe.
Und das Schweizer Paraplegiker Zentrum in Nottwil? Ist es trotz aller Tragik auch ein inspirierender Ort?
Ganz bestimmt. Ich hatte immer ein wenig davon geträumt, dort zu arbeiten, seit ich als junge Radioreporterin bei der Stiftungsgründung in Basel anwesend gewesen war. Doch ausser Volontariaten konnte man mir nie etwas anbieten. Als ich aus Florida zurückkehrte, war eine Stelle ausgeschrieben. Die Arbeit dort ist bewegend, aber auch aufbauend, denn man lernt Leute kennen, die mit ungeheurem Willen und Selbstdisziplin ein neues Leben aufbauen. Durch sie habe ich gelernt, mich im Alltag zusammenzureissen, wenn mir hie und da wieder etwas eigentlich Unwichtiges nicht passt. Viele Besucher sagen mir beim Abschied, sie würden nun mit anderen Augen durchs Leben gehen. Das ist einerseits traurig, andererseits auch schön.
Haben Sie da auch etwas über den Tod gelernt?
Nicht unbedingt in Nottwil, aber durchs Älterwerden im Allgemeinen. Ich beschäftige mich stark mit dem Tod – leider. Das bringen die Erfahrung und das Alter so mit sich. Wenn man jung ist, ahnt man nicht, dass es so kommen wird. Ich war so naiv zu glauben, dass man heute nicht mehr auf schreckliche Art und Weise sterben muss. Ich hänge am Leben.
Nicht zuletzt wegen Ihres Lebensabschnittes in den USA müssen Sie auch mit 73 noch arbeiten, um über die Runden zu kommen. Die Rente reicht nicht. Wie gehen Sie damit um?
Ich muss es akzeptieren – ich habe keine andere Wahl. Was ich hingegen tun kann, ist dankbar zu sein für meine herausfordernden Jobs und dafür, dass ich diese körperlich noch meistern kann. Denn wenn das nicht mehr ginge …
Ein Horrorgedanke?
Ich stelle es mir gar nicht erst vor! Wenn ich das täte, könnte ich nicht mehr unbeschwert ins Büro gehen. Es ist hart, in meinem Alter so viel zu arbeiten. Das hätte ich vor einem halben Jahr noch nicht gesagt. Ich muss mich am Abend bewusst ausruhen, um am nächsten Morgen wieder fit für die Arbeit zu sein. Die Kräfte sind nicht mehr dieselben wie früher, die Selbsteinschätzung dummerweise schon. Ausflüge mit der 9-Uhr-Tageskarte kenne ich nur vom Hörensagen. Ich verpasse viel Gesellschaftliches, das in meinem Alter sonst die Regel ist.
Ergänzungsleistungen zu beziehen, war nie ein Thema?
Das werde ich erst tun, wenn es körperlich nicht mehr anders geht. Dann muss das Geld einfach irgendwie reichen. Ich arbeite fürs Leben gern. Die Arbeit ist heute trotz allem auch eine Bereicherung. Sie hält mich geistig aktiv und flexibel – und ich fühle mich gefragt.