«Moderieren ist ein Knochenjob»
Beatrice Müller ist vielen als «Tagesschau»-Moderatorin noch in bester Erinnerung. Sie habe sich aber nie über diese Funktion definiert, sagt die knapp 61-Jährige im Interview. Und erklärt, weshalb sie heute als Kommunikationstrainerin auch von einer Tanzausbildung profitiert.
Interview: Fabian Rottmeier, Fotos: Sonja Ruckstuhl
Viele Jahre vor Ihrer Zeit bei der «Tagesschau» haben Sie mit 22 Jahren in Rom ein Tanzstudium begonnen. Hat diese Ausbildung rückblickend Ihren Weg zur Moderatorin geebnet?
Nicht ganz, nein. Ich hatte mir nie ausgemalt, dass mein Weg einmal unter anderem zur «Tagesschau»-Moderatorin führen würde. Das war nie meine Absicht.
Aber war die Tanzausbildung nicht eine entscheidende Lebensschule für das Selbstbewusstsein und die Körpersprache?
Doch, durchaus. Das hat sich aber erst viel später herauskristallisiert. Heute ergänzt sich diese Erfahrung mit meiner Tätigkeit als selbstständige Kommunikationstrainerin. Ich begleite und verhelfe Führungsleuten zu einem besseren Auftreten. Vor Leuten zu sprechen, ist nicht so einfach, wie viele denken. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Körpersprache und die eigene Persönlichkeit sind zentral. Das hat alles viel mit Tanzen zu tun. Man muss sich der Signale, die man aussendet, bewusst werden.
Was haben Sie beim Tanzen über sich selbst gelernt?
Beispielsweise, in welcher Situation ich mich wohl fühle. Mein Unternehmen trägt nicht umsonst das Wort «authentisch» im Namen. Niemand soll auf einem Podium wie eine Marionette wirken. Jede Person muss ihre eigene Persönlichkeit entdecken.
Authentizität ist ein Modewort geworden.
Das stimmt. Authentizität ist trotzdem der Schlüssel für vieles. Wenn man weiss, wie man wirkt, welche Signale wichtig sind und welche unvorteilhaft sein können, ist ein wichtiger Schritt gemacht. Es geht darum, herauszufinden: Worin bin ich stark? Was macht mich aus?
Wie kam es zu dieser zweijährigen Ausbildung in Rom?
Ich war jung und wollte ins Ausland reisen, eine Sprache lernen und die Welt erkunden. Tanzen war bloss eine von vielen Passionen, die mich bewegten. Ich wollte nie Profitänzerin werden. Zurück in der Schweiz, konnte ich mit 24 Jahren in den Journalismus einsteigen und lernte den Beruf von der Pike auf. Ich trat Mitte der Achtzigerjahre eine Stelle bei einem neuen Lokalradio an. Eine neue Welt tat sich auf. Ich war neugierig und interessiert an den Begegnungen, aber auch an der audiovisuellen Welt. Der Ton als Kommunikationsmittel hat mich besonders fasziniert. Ich wollte – mit einem 15 Kilogramm schweren Tonband im Schlepptau – erfassen, was die Menschen und die Welt beschäftigt.
In jungen Jahren die Heimat zu verlassen, prägt. Wie wichtig war diese Erfahrung für Sie?
Es war ein Abschnitt – einer von vielen in meinem Leben. Gewiss hatte ich es später auch meinen Italienischkenntnissen zu verdanken, dass ich für SRF häufig als Ersatz des damaligen Italien-Korrespondenten berichten durfte und so zu weiteren Auslandeinsätzen kam.
Sprechen wir doch über diese 16 Jahre beim Fernsehen …
Dazwischen gabs auch noch 16 Jahre beim Radio! Wahrgenommen wird man aber leider vor allem am Fernsehen. Sobald man sichtbar wird, verändert sich die Situation. Die Gewichtung dessen, was man leistet, wird verzerrt wahrgenommen. Die Moderation stand für mich nie im Mittelpunkt meiner journalistischen Tätigkeit – und hat immer wieder zu seltsamen Einschätzungen geführt. Sobald man am Bildschirm zu sehen ist, wird man zur Moderatorin – ausschliesslich. Ich verstehe die Moderation jedoch als Funktion und nicht als Beruf.
«Meine Passion galt stets dem Inhalt. Es ging nicht um mich, sondern darum, komplexe Dinge einfach zusammenzufassen.»
Wer sichtbar ist, wird auch viel rascher bewertet.
Genau. Auch wer eine Führungsposition innehat und vor dem versammelten Team hinstehen muss, nimmt eine neue Rolle ein. Man wird angreifbar. Plötzlich werden andere Komponenten wichtig. Vor allem das Aussehen wird debattiert. Damit muss man umgehen können. Meine Haare gaben oft zur Diskussion Anlass. Sie fielen auf und waren oft kaum zu bändigen. Doch die Locken sind nun mal ein Teil von mir, den ich nicht verändern will. Sie wurden zum Markenzeichen. Man kann auch davon profitieren.
Was hat Sie 2013 dazu bewogen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Diesem Entscheid ging ein dreijähriger Prozess voraus. Ich hatte mich gefragt, wie ich mich noch weiterentwickeln könnte. Ich hatte Lust, etwas anderes zu machen. Führungspositionen haben mich nie interessiert, da die Begegnungen und das Filmemachen mein Antrieb waren. Mit 52 Jahren entschied ich mich, etwas Neues zu wagen und Menschen auszubilden, die vor der Kamera oder vor Leuten reden müssen. Ich wollte das Handwerk vermitteln und verstehe mein Engagement als Begleitung und nicht als Coach.
In Ihrem Ratgeber «Gut gebrüllt, Löwe! – Auftreten, überzeugen – sich durchsetzen» schreiben Sie, dass die Körpersprache und die Stimme ebenso wichtig seien wie die Botschaft. Können Sie daraus für unsere Leserschaft etwas ableiten – abseits der Berufswelt?
Viele ältere Menschen engagieren sich aktiv in der Gemeinschaft oder leisten Freiwilligenarbeit. Auch da kann es durchaus wichtig sein, seine Botschaft erfolgreich zu überbringen – oder seine Erfahrung weiterzugeben. Das ist zentral. Wer seinem Auftreten etwas Altersweisheit hinzufügt, sollte heute gefragter denn je sein. Vor kurzem schrieb mir ein Pensionär, er hätte sich gewünscht, mein Buch vor dreissig Jahren gelesen zu haben. Das hätte ihm viel gebracht.
Was ist Ihnen aus der «Tagesschau»-Zeit geblieben?
Für mich war die «Tagesschau»-Moderation bloss ein Teil meines Berufsalltags. An meine Arbeit als Videoredaktorin im Hintergrund erinnere ich mich viel stärker. Ich wusste am Morgen oft nicht, wo ich am Abend sein würde. Das war intensiv und spannend. Meine Moderation – und die damit verbundene Ehre, das Produkt Tagesschau nach aussen zu vertreten – hat dazu geführt, dass ich mich dem Journalistenberuf noch stärker verbunden fühlte. Meine Passion galt stets dem Inhalt. Es ging nicht um mich, sondern darum, komplexe Dinge einfach zusammenzufassen. Damit das Fernsehpublikum die Welt ein bisschen besser versteht. Vielleicht war ich deshalb auch so berührt und überrascht über die vielen Reaktionen, die ich auf meinen Abgang erhielt. Ich hatte nicht realisiert, dass ich für einige fast zum Familienmitglied geworden war.
«Eine Frau, die älter wird, scheint ein Problem zu sein … Das ist ein gesellschaftliches Phänomen – und sehr irritierend.»
Das Privileg, die Sendung als Produkt eines grossen Teams vertreten zu dürfen, haben Sie oft betont – aus Respekt oder Bescheidenheit?
Aus beiden Gründen. Weil ich die Arbeit im Hintergrund oft selbst verrichtet habe. Und das ist eine in vieler Hinsicht herausfordernde, harte Arbeit. Aber auch Moderieren ist ein Knochenjob, der nicht immer nur «lustig» ist. Gleichzeitig glauben immer noch viele, man habe bis zum Sendebeginn den ganzen Tag nichts zu tun. Manchmal antwortete ich den Kritikern sarkastisch: «Ich kann nicht nur moderieren, eine Schreibmaschine kann ich übrigens auch bedienen.» Es ist mir jedoch bewusst, dass die Arbeit vieler anderer Berufe auch kaum wahrgenommen wird.
Wenn man weiss, wie viele Menschen sich die «Tagesschau» anschauen: Reicht da ein gesundes Selbstbewusstsein?
Es ist bestimmt kein einfacher Weg. Man wird von manchen als Freiwild betrachtet. Ohne ins Detail zu gehen: Das Ganze nahm manchmal auch seltsame Züge an. Damit muss man umgehen können.
Nicht nur bei Ihrem Abgang bei SRF, sondern auch heute wird das Alter von Moderatorinnen noch immer thematisiert. Weshalb tut man sich damit so schwer?
Das ist immer noch ausschliesslich ein Frauenthema. Eine Frau, die älter wird, scheint ein Problem zu sein … Das ist ein gesellschaftliches Phänomen – und sehr irritierend.
2015 sagten Sie in einem Interview, Frauen hätten viel zu sagen, trauten sich aber oft nicht. Immerhin: Die neue Generation scheint anders zu ticken.
Ja, es gibt viele tolle, intelligente junge Frauen, die sich durch ein neues Selbstverständnis auszeichnen. Es freut mich enorm, dass sich diesbezüglich etwas getan hat. Ich unterrichte auch an einer Fachhochschule und an einer Universität und sehe, dass dort das Medienverständnis und der Medienkonsum stärker gewichtet werden – zu Recht. In meiner heutigen Funktion begleite ich viele Unternehmerinnen. Ich stelle dabei fest, dass sich Frauen wohl einfach mehr Gedanken über ihr Leben und ihre Fähigkeiten machen als Männer. Ich erkläre vielen, dass es in gewissen Positionen dazugehört, sichtbar zu werden, sich zu exponieren, auch wenn das nicht immer einfach ist. Aber auch Auftreten ist bloss ein Handwerk, das man lernen kann.
Privat ist wenig über Sie bekannt. Sie und Ihr Mann, der ehemalige Tagesschau-Redaktionsleiter Heiner Hug, sind seit rund 25 Jahren ein Paar und besitzen seit 2001 in der Südtoskana ein Haus. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?
Ich sage stets: Ich arbeite 150 Prozent – und den Rest der Zeit verbringe ich in der Toskana. Ich habe zuletzt vermehrt in Italien gearbeitet und etwa mit einer jungen Equipe einen Auftragsfilm gedreht. Die Toskana ist ein Rückzugsort geworden, um meinen Horizont zu erweitern. Aber hauptsächlich bin ich natürlich hier in der Schweiz, wo ich meine Agentur habe. Wer an einem fremden Ort lebt und nicht bloss dort Ferien macht, erhält einen ganz anderen Eindruck. Nicht zuletzt auch von der politischen Situation. Das empfinde ich als sehr wertvoll.
«Ich versuche, offen zu bleiben für alles, was mir begegnet.»
Als Paar verbindet sie eine grosse Passion fürs Kochen. Hat die Toskana diese Leidenschaft verstärkt?
Nicht nur die Toskana. Wir bereisen das Land sehr oft. Das war mir immer schon wichtig, um zu begreifen, wie Italien funktioniert. Auch die Kultur ist grossartig. Und es ist ein grosses Land. Alleine die Toskana ist halb so gross wie die Schweiz. Es hat gibt dort sogar Berge und Skigebiete …
Ergänzen sie sich gut in der Küche?
Ja, wir sind ein eingespieltes Team und machen alles Hand in Hand. Mein Mann ist ein grossartiger Koch. Ich ergänze ihn mit meinem Organisationstalent. Es ist alles eine Frage des Planens und der Effizienz. Vielleicht haben wir dieses Credo aus dem Journalismus verinnerlicht. Kochen fördert zudem die Kreativität. Wir bekochen auch hie und da 50 Gäste. Ein Fest zu machen, heisst für uns, die Freundschaft zu zelebrieren und schöne gemeinsame Momente zu kreieren.
Inwiefern haben Sie sich von der italienischen Mentalität inspirieren lassen?
Es gibt diesen schönen Ausdruck «fare bella figura», eine gute Figur machen. Ich bewundere die Italienerinnen und Italiener für ihre Haltung, weiterzumachen, auch wenn die Lage schwierig ist oder etwas unmöglich scheint. Man klagt nicht, macht weiter – und irgendwie geht es immer.
Und oft mit einer schönen Portion Lebensfreude.
Ja, weil viele keinen Sinn darin sehen, dauernd zu lamentieren. Vieles bleibt ohnehin schlecht. Manches sogar sehr schlecht. In der Schweiz liegt einem alles vor den Füssen. Trotzdem sind viele dauernd am Nörgeln – statt dankbar zu sein und sich am Leben zu erfreuen. Da halte ich es lieber wie die Italienerinnen, schöpfe aus dem Vollen und freue mich, wenn etwas klappt und läuft. Und bin dankbar dafür. Zudem versuche ich, offen zu bleiben für alles, was mir begegnet. ❋
- In der Online-Video-Serie «5 Fragen an …» erzählt Beatrice Müller, was Sie als Kind werden wollte und welche ihrer Charaktereigenschaften in Ihrem Job noch heute wichtig ist. Zum Video.
Die Neugier im Blut
Beatrice Müller wächst am Stadtrand Zürichs auf. Insgesamt 28 Jahre schreibt, filmt und moderiert sie für das Schweizer Radio und Fernsehen, nachdem sie bei Radio Zürisee ihre ersten journalistischen Erfahrungen gemacht hat. Die «Tagesschau» moderiert sie 16 Jahre lang, ist für die Tagesschau aber mehrheitlich als Radio- und Fernseh-Reporterin und -Redaktorin unterwegs. Sie arbeitet unter anderem für die beiden Radioformate «Echo der Zeit» und das Regionaljournal Zürich/Schaffhausen auf Radio DRS 1. Die knapp 61-Jährige ist seit 18 Jahren mit dem Journalisten Heiner Hug verheiratet. Das Paar besitzt in der Toskana ein Haus in den Weinbergen.