«Schön war ich lang genug»
Peter Kraus war eines der ersten Teenager-Idole überhaupt. Den legendären Hüftschwung hat der 83-Jährige noch immer drauf. Sein Rezept fürs Älterwerden: kein Zucker, kein Krafttraining, kein Schnösel sein und nur an die angenehmen Dinge denken.
Interview: Claudia Senn; Fotos: Ethan Oelman
Wer in den 1950er- und 1960er-Jahren jung war, kam an Peter Kraus nicht vorbei. Er war der Mann, der den Rock’n’Roll nach Deutschland brachte. Als Kraus seine ersten Hits landete, war er gerade einmal 16 Jahre alt – ein schlaksiger Junge mit aufregendem Hüftschwung und grossen Ambitionen. Peter Kraus war der erste männliche Promi, dem die Jugendzeitschrift «Bravo» einen lebensgrossen «Starschnitt» widmete, und das allererste Teenager-Idol im deutschen Sprachraum.
Bald schon liess er den als wüst und rebellisch geltenden Rock’n’Roll hinter sich und wandte sich einer weichgespülten «Teenagermusik» zu, gegen die auch besorgte Eltern nichts haben konnten («Sugar Baby»). Doch Kraus reüssierte nicht nur als Schmusesänger, sondern ebenso als Schauspieler («Wenn die Conny mit dem Peter», an der Seite von Conny Froboess), Drehbuchautor, Musikproduzent und Fernsehentertainer. Seit vielen Jahren lebt er mit seiner Frau, einem ehemaligen Model, im Tessin. In der österreichischen Steiermark betreibt er zudem einen Bauernhof samt Weingut. Diesen Sommer ist sein neues Album «Idole» mit eingedeutschten Swing-Hits erschienen. Er lässt sich darauf von der Sängerin Annett Louisan, dem Jazz-Trompeter Till Brönner, dem Anarcho-Komiker und Multiinstrumentalisten Helge Schneider und anderen Gästen begleiten.
Was bleibt vom Starruhm, wenn man alt wird? Das möchten wir von Peter Kraus wissen. Zunächst aber zweifeln wir, ob er überhaupt schon angefangen hat zu altern, denn der 83-Jährige federt mit dem Schritt eines viel jüngeren Mannes in die Lobby des Hotels in Grenchen, wo die Zeitlupe mit ihm zum Interview verabredet ist.
Peter Kraus, als junger Mann waren Sie ein Sexsymbol. Mir sind diverse 80-jährige Damen bekannt, die damals für Sie entflammt waren.
Gut so.
Ist es eine Erleichterung, diese Rolle nicht mehr spielen zu müssen? Oder trauern Sie ihr nach?
Ach, bin ich jetzt etwa kein Sexsymbol mehr? Das enttäuscht mich jetzt aber! (lacht) Erleichterung ist ein zu hartes Wort, aber ich will es mal so sagen: Schön war ich lang genug.
Sie konnten damals keinen Schritt tun, ohne von Fans verfolgt zu werden.
Ja, und anders als heute hatte man keine fünf Bodyguards, die einen von der Menge abschirmten. Die Leute wollten mir die Hand schütteln und in die Haare fassen. Anstrengend war auch, dass ich mich verpflichtet fühlte, eine Vorbildfunktion einzunehmen.
Ganz viel Druck für den 16-Jährigen, der Sie damals waren.
Das war aber mein Hobby.
Sich gut zu benehmen war Ihr Hobby?
Ja, Sie müssen sich vorstellen, Rock’n’Roll galt damals als grauenhafte Unsitte aus Amerika. Die Leute dachten von mir, wenn ich Rock’n’Roll mache und so viel Geld verdiene, dann muss ich ein arroganter Schnösel sein. Deshalb war ich immer extra höflich, kam superpünktlich, benahm mich gegenüber der Presse vorbildhaft. Es machte mir Spass, das Rock’n’Roll-Image gegen den Strich zu bürsten.
Sie haben also auch niemals ein Hotelzimmer zerlegt?
Nein. Mein Erfolg bestand darin, der charmante Schwiegersohn zu sein. Meine Fans waren junge Leute, die sich freuten, dass einer von ihnen Erfolg hatte. Die durfte ich nicht enttäuschen, indem ich mich wie ein Idiot aufführte.
«Es ging damals wilder zu als heute. Bloss redete man nicht drüber»
Schaut man sich Ihre Auftritte aus den 50er-Jahren an, kommt einem das geradezu rührend vor. Waren Sie auch hinter den Kulissen der brave Schwiegersohn?
Es gab damals noch nicht so viele Drogen, aber es ging schon wild zu und her, vielleicht sogar wilder als heute. Bloss redete man nicht darüber.
Von Drogen sprechen Sie also nicht. Wovon dann?
Na, von Sex natürlich. Das war eine schöne Zeit für junge Leute, und im Gegensatz zu heute wurden die Eskapaden am nächsten Tag nicht in den sozialen Medien breitgetreten. In der Zeit, als ich berühmt wurde, machte mein Vater in München ein Kaffeehaus auf. Es hiess FK Espresso, also Fred Kraus Espresso. Im Volksmund nannte man es aber Fesche Katzen, das ist ein Wiener Ausdruck für hübsche Mädchen. Gunter Sachs und andere Playboys hielten dort Hof. Ich machte mir einen Sport daraus, ihnen die Mädels auszuspannen.
Ein weiblicher Fan, der sich damals vergeblich nach Ihnen verzehrte, versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Wie stark hat Sie das erschüttert?
Das geht einem schon nahe. Vielleicht habe ich mich dann auch um sie gekümmert und mich mit ihr getroffen, ich weiss es nicht mehr. Da müsste ich mich jetzt sehr anstrengen, daran zurückzudenken.
«Wenn ein enttäuschter Fan versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, denkst du: Ich will kein Idol mehr sein..»
Fühlten Sie sich für diesen Selbstmordversuch nicht irgendwie mitverantwortlich?
Doch, in so einem Moment denkt man: Ich will kein Idol mehr sein. Bei einem meiner Konzerte in Graz randalierten mal ein paar Jungs. Die Polizei verhaftete sie, und einer von ihnen hat sich daraufhin im Gefängnis aus lauter Angst vor seinen Eltern erhängt. Das war entsetzlich. Da dachte ich, ich höre auf. Bald darauf beerdigte ich dann den Rock’n’Roll und machte softere Musik.
Anderen Jugendlichen hätte der Hype, der um Sie gemacht wurde, den Boden unter den Füssen weggezogen. Ihnen aber nicht. Warum?
Das lag an meiner Zielstrebigkeit. Stand ich auf der Bühne, dachte ich schon an meinen nächsten Film. Hatte ich bei Dreharbeiten einen freien Tag, schaute ich der Cutterin im Schneideraum zu oder löcherte die Regieassistentin mit Fragen. Ich war sehr wissbegierig.
Sie wollten Ihre Karriere vorantreiben?
Ja, ich war in allem schon einen Schritt weiter. Nehmen Sie den Sänger und Gitarristen Chuck Berry. Der hat sein ganzes Leben lang sensationellen Rock’n’Roll gemacht. Wenn die Zeiten gut waren, spielte er in Fussballstadien. Wenn sie schlecht waren, in Kneipen. Finde ich toll. Er hat sein Ding gemacht. Aber mich interessierte das nicht. Ich wollte alles auf einmal: Platten, Filme, Musicals, Fernsehshows.
Auf der Bühne sind Sie trotz Ihrer 83 Jahre noch immer sehr agil. Wie viel Kraft kostet Sie heute Ihr legendärer Hüftschwung?
Ich bitte Sie, Sie wollen mich doch nicht erschrecken, indem Sie mir sagen, wie alt ich bin.
Ist das ein Thema, über das wir besser nicht reden sollten?
Ich bin nicht stolz auf mein Alter. Ich habe in meinem Freundeskreis auch keine Gleichaltrigen. Ich komme mit denen nicht klar, weil sie immer nur über ihre Gebrechen reden.
Sie selbst haben keine Gebrechen?
Ich springe morgens nicht mehr so aus dem Bett wie früher, und das Wasserskifahren habe ich auch aufgegeben. Aber ich denke nicht darüber nach. Was früher einmal war – da mache ich einen Strich drunter und sage, es war wunderbar. Und die Dinge, an die ich mich lieber nicht erinnern will, habe ich längst vergessen. So bin ich. Ein total positiver, auf morgen ausgerichteter Mensch.
Wie steht es denn nun mit dem Hüftschwung?
Der klappt noch ganz gut, ich bin trainiert.
Stemmen Sie Gewichte?
Davon kann ich nur abraten. Fitnessgeräte sind in meinem Alter völliger Unsinn. Es gibt hundert Möglichkeiten, mit dem eigenen Körpergewicht zu trainieren. Man braucht keine Hanteln, das hat schon Arnold Schwarzenegger gesagt. Kniebeugen, Treppensteigen, Liegestütze am Geländer, das reicht völlig. Ich habe Freunde, die so stolz sind auf ihre Muckis, aber wenn sie aufstehen, gehen sie krumm wie alte Männer.
Arbeiten Sie vor dem Spiegel an Ihrer jugendlichen Ausstrahlung?
Ich bitte Sie, ich gehöre doch nicht zu den Künstlern, die seit 30 Jahren dieselben einstudierten Handbewegungen machen, nein. Ich weiss nicht einmal, was ich da genau tue. Es muss spontan kommen.
Werfen Ihnen die Frauen noch BHs auf die Bühne?
Nein. Das ist Andreas Gabaliers Spezialität (ein österreichischer Volksmusik-Sänger, Anmerkung der Red.), der lässt sich immer mit Büstenhaltern bewerfen. Mein Publikum ist ja schon im gesetzteren Alter. Bei mir gibts auch keine Konfettis, keine Nebelmaschine und keine Luftballons. Es passiert nichts auf der Bühne, ausser, dass ich mit meiner Band dastehe und singe, im Moment Swing-Musik aus den 1950ern. Da ist nix mit bufta, bufta, bufta. Nur Fingerschnippen. Wie früher.
Wie gehen Sie mit den Zumutungen des Alters um? Mit Schmerzen, Krankheiten, Freunden, die wegsterben?
Meine Frau und ich sind sehr darauf bedacht, gesund zu bleiben. Wenn ich nicht gesund alt werde, interessiert mich das Altwerden nicht. Wir essen keinen Zucker, keine Milchprodukte. Ich gehe zu einem Arzt in St. Pölten, der mein Blut mit Ozon anreichert. Ein Schulmediziner würde sagen, das sei Humbug, aber bei mir wirkts.
Alles kann man nicht kontrollieren. Manche Dinge passieren einfach. Jemand stirbt. Ein anderer bekommt Krebs.
Natürlich ist es tragisch, wenn jemand stirbt, aber so ist das Leben. (lacht)
Sie lachen solche Verluste einfach weg?
Wir haben unsere Tochter in sehr jungen Jahren verloren, sie ist mit 39 an Krebs gestorben. Selbstverständlich war das schlimm. Aber es ergibt doch keinen Sinn, endlos zu trauern. Der Tod hat nichts davon, und du machst dir bloss dein Leben kaputt. Das klingt jetzt vielleicht böse, aber ich habe keine Zeit, traurig zu sein.
Sie halten das für Zeitverschwendung?
Ja. Nein. Ich weiss es nicht. Darüber müsste ich genauer nachdenken, und ich denke ungern über solche Dinge nach. Es war jedenfalls nicht der Wunsch unserer Tochter, dass wir uns ewig mit ihrem Tod quälen. Man sollte einfach leben und glücklich sein, Schluss, basta.
2017 haben Sie sich während einer Fernsehshow die Schulter gebrochen und sind dadurch in eine tiefe Krise geraten. Warum hat der Unfall Sie so aus der Bahn geworfen?
Weil ich noch nie zuvor eine Verletzung hatte. Es war ein idiotischer Unfall. Erst hechtete Axel Prahl, dieser «Tatort»-Kommissar, auf mich drauf, dann auch noch der Schweizer Sportjournalist Marcel Reif. Da hats bei mir knacks gemacht. Ich begriff erst gar nicht, was los war. Als die mir später in der Klinik sagten, die Schulter sei gebrochen, bin ich beinahe in Ohnmacht gefallen.
Das hat Sie in den Grundfesten erschüttert.
Furchtbar, ja. Ich entwickelte eine schreckliche Angststörung, richtige Panikattacken. Andauernd hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen. Ich bin in keinen Lift mehr gestiegen, konnte im Auto nur noch vorne sitzen, einmal rannte ich im Hotel in Unterhosen auf den Gang hinaus, weil ich das Fenster im Zimmer nicht öffnen konnte.
Wie haben Sie da wieder herausgefunden? Durch eine Therapie?
Therapie? Ich? Das ist nichts für mich. Das kann ich allein.
Wie lange dauerte es, bis es Ihnen besser ging?
Das weiss ich nicht mehr. Ich habe Ihnen doch gesagt, ich verdränge solche Dinge. Nachgrübeln über etwas, das irgendwann einmal war – was soll das bringen?
Sie haben inzwischen schon fünf Abschiedstourneen gegeben, und bald folgt die sechste. Wird man Sie irgendwann von der Bühne tragen müssen?
Nein, so weit wie mein Freund Jopi Heesters (ein holländischer Schauspieler und Sänger, der 90 Jahre lang auf der Bühne stand, bevor er mit 108 Jahren starb, Anmerkung der Red.) lasse ich es nicht kommen. Man muss schon mal einen Strich ziehen. Sechs Abschiedstourneen reichen vielleicht wirklich.
Alle Tourneedaten finden Sie auf peterkraus.de