Verkleidet wie zur Zeit von Jesu Geburt, führen am 11. Dezember rund 60 Freiwillige die «Solothurner Wiehnachtsreis» in der Altstadt auf. Urs Dummermuth hat die Attraktion vor 20 Jahren initiiert – auch mit einer Abfallsammelaktion.
Text: Fabian Rottmeier
Manche Geschichten beginnen anders als erwartet. Die Idee zur «Solothurner Wiehnachtsreis» gedieh ausgerechnet … bei Los Angeles. Urs Dummermuth sah dort mit seiner Frau eine Weihnachtsshow, die mit fliegenden Engeln, Pferden und Kamelen überraschte – in einer Kirche! Ihre Verblüffung wandelte sich zur Idee, zu Hause ebenfalls eine etwas andere Weihnachtsaufführung zu kreieren.
2004 feierte die Umsetzung, deren Form bis heute gleich geblieben ist, ihre Premiere in der Solothurner Altstadt: Während zwei Stunden führen Laiendarstellerinnen und -darsteller die Weihnachtsgeschichte an mehreren Schauplätzen auf – meist ohne Dialoge. Die Szenen werden regelmässig wiederholt, während andere Teilnehmende als Reisende oder Hirten verkleidet durch die Stadt streifen. Oder als römische Volkszähler beim Einlass am Bieltor stehen.
Die «Wiehnachtsreis» vom 11. Dezember 2022 ist die erste seit Pandemiebeginn (und findet zur selben Zeit auch als Kopie in St. Gallen statt). Wieder dürfen richtige Kamele durch die Altstadt ziehen – und römische Soldaten, behelmt und barfuss in Sandalen. Urs Dummermuth, der die Gesamtleitung 2014 abgegeben hat, plant, mit seinen Kindern und Enkelkindern als Hirtenfamilie teilzunehmen.Der 67-Jährige denkt um die Ecke und reisst gerne Neues an. Das war ihm während seiner 34-jährigen Tätigkeit als Leiter und Pastor der evangelischen Freikirche «BewegungPlus» wichtig. Dass die Stadtverwaltung vor 18 Jahren eine Bewilligung für den Anlass erteilte, ist auch sein Verdienst. Die Freikirche hatte sich, zusammen mit anderen Kirchgemeinden, mit einer von ihm initiierten Abfallsammelaktion nach dem Märetfest viele Sympathien geholt. Da schien die «Wiehnachtsreis» eine ideale Lösung, um den Sonntagsverkauf anzukurbeln.
Das Gemeinsame soll zählen
Die zehn Solothurner Kirchgemeinden haben sich mittlerweile auch dank der «Wiehnachtsreis» zur «Weggemeinschaft Landes- und Freikirchen Solothurn» gruppiert. «Ich fand immer, dass wir uns über das Gemeinsame statt durch die Unterschiede definieren sollten», sagt Urs Dummermuth. Es sei schön, dass auch einige Helferinnen und Helfer ohne Verbindung zur Kirche zur «Wiehnachtsreis» gestossen seien.
Die Leistung der rund 60 Freiwilligen ist beachtlich. Alles wird am selben Adventssonntag auf- und abgebaut. Dazu gehören etwa die Krippenszene auf dem Märetplatz, der Schauplatz des tobenden Herodes auf der St. Ursentreppe, aber auch die Infrastruktur. Oder die 1000 Kilo Stroh zur Szenengestaltung. Geprobt wird nur einmal, das OK begnügt sich mit zwei Sitzungen. «Wir hielten den Aufwand immer möglichst klein, um stets genügend Freiwillige zu finden.» Auch auf Verpflegungsstände verzichtet man bis heute. Im Zentrum soll die Geschichte stehen.
Schliesslich möchte der gebürtige Stadtzürcher, der seit bald 40 Jahren in Derendingen wohnt, die Kernbotschaft von Weihnachten in Erinnerung rufen. «Nämlich, dass Gott seinen Sohn Jesus Christus auf die Welt gab – als Zeichen, dass er die Menschen liebt und mit ihnen eine Beziehung aufbauen möchte.»
Die vielen Lämmer sind kein Zufall
Seit seiner Pensionierung gibt Urs Dummermuth seine Lebenserfahrung, seine «grösste Ressource», im Teilzeitpensum weiter. Der dreifache Vater arbeitet als Dienstchef «Einsatz und Ausbildung» beim kantonal tätigen Care Team Solothurn und ist Care Manager einer IT-Firma.
Gewachsen ist seit 2004 nicht nur die Publikumszahl, sondern auch die Detailverliebtheit. Der Schafbauer lässt seine Zibben zeitlich so decken, dass er in Solothurn ganz junge Lämmer dabeihat. Auch das Jesuskind soll ein Neugeborenes sein. «Einmal war ein Aufruf in der Presse nötig, weil uns kurz vor dem Anlass noch ein Baby und damit auch eine Maria und ein Josef fehlten», erzählt Urs Dummermuth. Sein zweites von neun Enkelkindern war auch für diese Rolle vorgesehen – es kam aber just am Tag der Aufführung zur Welt.
Urs Dummermuth hat vieles erlebt seit der Gründung, das Schönste blieb für ihn jedoch immer das abschliessende Weihnachtssingen auf dem Märetplatz in der Abenddämmerung. «Die Atmosphäre, das gemeinsame Singen mit wildfremden Leuten in der Altstadtkulisse: Das ist einzigartig.» Man könnte auch sagen: Das ist Weihnachten.
«Solothurner Wiehnachtsreis», 11. Dezember, 14 bis 16 Uhr, Altstadt Solothurn, Singen auf dem Märetplatz ab 16.15 Uhr. Infos: kirchen-solothurn.ch, Tel. 032 626 30 30. «Weihnachtsreise St. Gallen»: 11. Dezember, 13.30 bis 16.30 Uhr, Infos: weihnachtsreise-sg.ch.
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