Heavy Metal ist seine Welt: Seit über 70 Jahren arbeitet Kurt Meier als Graveur und bearbeitet Metall und andere Materialien. Er ist einer der Letzten seiner Zunft.
Text: Roland Grüter
Ein Schritt und man wähnt sich in einer anderen Zeit. Die Werkstatt von Kurt Meier erinnert an die Filme der Nachkriegsjahre. Auf den Werkbänken liegen 1001 Dinge. Der Wecker, die Stoppuhr, die vielen Werkzeuge: alles Boten aus vergangenen Jahrzehnten. Auch die hölzernen Schubladenstöcke sind randvoll gefüllt mit Erinnerungsstücken, und jedes erzählt eine andere Geschichte aus den langen Berufsjahren des Zürchers. Im Raum riecht es nach Nostalgie, Metall und vor allem nach Handwerk: nach jenen Zeiten also, in denen es noch keine Computer und automatisierte Maschinen gab, dafür aber Menschen mit grossen Talenten.
Kurt Meier ist einer dieser Menschen. Er arbeitet nunmehr seit über 70 Jahren als Graveur. Mit wachen Augen und noch wacherem Geist führt er die Besucher durch sein Reich. Dieses liegt im Anbau seines Wohnhauses in Dänikon ZH. Hier arbeitete bereits sein Vater. Hier hat er 1949 seine Lehre begonnen. Und hier wirkt der 88-Jährige noch immer: mindestens vier Stunden pro Tag. «Solange es die Gesundheit zulässt und meine Arbeit gefragt ist, mache ich weiter», sagt er.
Ein Stundenansatz von vier Franken
Nun setzt er die Lupe auf und knipst das Licht der Scherenlampe an, die er vor Jahrzehnten an die Wand geschraubt hatte – denn durch die Sprossenfenster der Werkstatt fällt nur wenig Licht. Konzentriert macht er sich an einem Metallstück zu schaffen, treibt ein stählernes Instrument präzise in den Block, setzt diesen immer wieder neu an. Dafür sind Geduld, ein scharfes Auge und ruhige Hände gefragt. Erschwert ihm das Alter die Arbeit? Der Mann stutzt, die Frage scheint ihn zu überraschen. Er überlegt kurz und sagt dann: «Danke, danke – alles bestens.» Neben ihm tickt die Stoppuhr. Damit misst er die Zeit, die er seinen Kundinnen und Kunden später verrechnen will. In den 1940er-Jahren betrug der Stundenansatz vier Franken.
Die Arbeit eines Graveurs umfasst mehr, als Schriftzüge oder Bildchen in Zinn oder andere Materialien zu treiben. Er schafft auch Schlagstempel, mit denen Industriebetriebe ihrer Ware Markenzeichen einprägen. Oder er schafft Schilder und dreidimensionale Modelle für die Industrie, sei das für Gugelhopf-Backformen oder Giessformen für künstliche Zähne. «Ich arbeitete lange Jahre für Hersteller von Computertasten», sagt der Mann: «Viele Betriebe haben ihre Kunststofftasten nach meinen Vorlagen gegossen. Sie haben die ganze westliche Welt damit beliefert.»
Er legt die Lupe weg, erhebt sich aus dem Drehstuhl und holt eines seiner damaligen Modelle herbei, eine überdimensionale Löschtaste. Nixdorf, Philips, IBM – alles Referenzen seiner Kundendatei. Wie ist er zu den Aufträgen gekommen, ohne Computer, Werbung und Marketing? «Durch meine Arbeit», sagt Kurt Meier. «Offenbar waren viele damit zufrieden und haben mich weiterempfohlen. Das eine führte zum anderen – das funktioniert bis heute.»
Füsse von Spitzensportlern
Auf ein paar Werke ist der bescheidene Mann besonders stolz. Wieder erhebt er sich vom Drehstuhl, schreitet in einen Nebenraum der Werkstatt und bringt ein Fundstück zurück: den Abdruck einer Fusssohle. Tennisstar Roger Federer sass ihm dafür Modell – so wie US-Leichtathlet Michael Johnson und der deutsche Basketballstar Dirk Nowitzki auch. Er schuf die Werke für US-Sportausstatter Nike. Dieser wollte damit seinen (Werbe-)Stars ein Denkmal in Messing und Chromstahl setzen. Eine andere Paradearbeit zeigt Kriegsschiffe, die er Ende der 1950er auf kleine Metallteller übertrug, ausgearbeitet bis ins kleinste Detail. An jedem Sujet arbeitete er bis 130 Stunden. Sieht er sich als Künstler? Kurt Meier winkt ab. «Nein, nein. Ein gutes Auge habe ich aber schon», findet er. «Und wenn ich unsicher bin, zeige ich das Sujet meiner Frau und schaue, was sie dazu sagt.»
In Spitzenjahren beschäftigte Kurt Meier fünf Angestellte und 15 Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter. Seit über 20 Jahren steht er allein in der Werkstatt. Bei genauerem Hinsehen sind darin auch ein paar Zeugen der Moderne auszumachen. Auf der Werkbank liegt sogar ein Laptop. «Damit kann ich heppklepp umgehen – ein Handy besitze ich jedoch keines», sagt Kurt Meier: «Das raubt den Menschen nur Zeit.» Viel lieber nutzt er diese, um den vielen Mehlschwalben zuzusehen, die vor seinem Haus durch die Lüfte kreuzen. 28 Nester hat er den Vögeln eingerichtet. Im Herbst versammeln sich diese, um gemeinsam in den Süden zu ziehen – so wie in uralten Zeiten, als Kurt Meier noch ein Bub war.
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