Er ist Jesuitenpater, Zen-Meister und Buchautor. Zusammen mit der Ordensfrau Pia Gyger gründete er das Lassalle-Institut für Zen-Ethik-Leadership. Mit 82 Jahren macht Niklaus Brantschen nun nur noch das, was er gerne tut.
Von Usch Vollenwyder
Niklaus Brantschen hebt seine linke Hand und spreizt die Finger, mit dem Zeigefinger der anderen zeichnet er die Zwischenräume nach: «Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig Jahre – diese Handvoll Zeit haben wir.» Er bewegt den Daumen; spreizt ihn noch ein bisschen mehr: «Vielleicht kommen noch ein paar Jahre hinzu.» Er sei jetzt 82 Jahre alt und befinde sich in der «Noch-Phase»: «Ich freue mich, dass ich noch gesund und fit bin.» Und er glaubt, dass das Beste noch vor ihm liegt: «Der innere Reichtum hat im Lauf meines Lebens zugenommen. Warum sollte es plötzlich anders werden?
»Niklaus Brantschen ist zusammen mit sechs Geschwistern in einer katholischen Familie in Randa im Walliser Mattertal aufgewachsen. Ein ganz normaler Bergbub sei er gewesen, sagt der spätere Zen-Meister, der mit 22 Jahren in den Jesuitenorden eingetreten ist und in Lyon und Tübingen Theologie studiert hat. Doch schon als Kind habe er eine grosse innere Ruhe gehabt und konnte gut allein sein. Die Berge waren seine Heimat: «Ich kraxelte und kletterte, bevor ich richtig laufen konnte.» Diese Freude an der Geschmeidigkeit und Beweglichkeit des Körpers hat er sich bis heute erhalten.
Vor zwei Jahren hatte Niklaus Brantschen eine schwere Operation. Jetzt sind ihm wieder stundenlange Wanderungen möglich. Wandern ist für Niklaus Brantschen ein Sinnbild für das Leben: «Schritt um Schritt, Atemzug um Atemzug kommt man weiter. Und immer wieder ändert sich der Blickwinkel.» Mit allen Sinnen nehme er seine Umgebung wahr: den Geruch des geschnittenen Grases, die Wärme der Sonnenstrahlen, das Rauschen des Windes. Er mag die alltägliche Frage «Bisch zwäg?» – erkundige sie sich doch nach dem Weg, den man zurücklege. «Leben bedeutet, auch auf einem inneren Weg zu sein.»
Neugierde und ein grosses Interesse an anderen Kulturen führten den jungen Priester Niklaus Brantschen in den Siebzigerjahren nach Japan. Er vertiefte sich in den Zen-Buddhismus, 1988 wurde er Zen-Lehrer, 1999 Zen-Meister. Als Leiter des von Jesuiten geführten Bildungshauses Bad Schönbrunn oberhalb von Zug gründete er das Lassalle-Institut für Zen-Ethik-Leadership, das er zusammen mit der Ordensfrau, Psychologin und ebenfalls Zen-Meisterin Pia Gyger bis 2002 leitete. Heute mache er nur noch das, was ihm lieb sei. Er schreibt Bücher, gibt Seminare und wird im In- und Ausland zu Referaten und Lesungen eingeladen: «Ich bin zu alt, um Dinge nur halb oder ungern zu tun.»
Die Stille hinter der Stille
Niklaus Brantschen pflegt die Zen-Meditation, die auf Leere, Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit zielt, ebenso wie die auf Gott ausgerichtete christliche Meditation. «Ich suche die Stille hinter der Stille.» Manchmal werde er gefragt, ob er sich nie zwischen Zen-Buddhismus und Christentum habe entscheiden müssen. Dann braucht es das Bild einer Tanne und einer Buche, die nebeneinander stehen und so gänzlich anders aussehen: «Ihre Wurzeln nehmen Nahrung und Wasser aus dem gleichen Boden auf. Beide geben sie Sauerstoff frei, den alle Lebewesen zum Atmen brauchen.» Niklaus Brantschen fühlt sich doppelt verwurzelt.
Dieser interreligiöse Dialog, der weit über einzelne Gruppen und Konfessionen hinausgeht, ist Niklaus Brantschen ein zentrales Anliegen. Ebenso wichtig wie die Partnerschaftlichkeit zwischen Mann und Frau. Er vergleicht das Zusammengehen der Geschlechter mit dem Flügelschlag eines Vogels: «Einseitig entwickelte Flügel gibt schräge Vögel.» Das musste der Walliser Bergbub erst lernen. Seine langjährige Weggefährtin Pia Gyger habe ihn oft aufgefordert: «Erzähl mir von deiner Seele.» Durch sie und mit ihr hat der von traditionellen Wertvorstellungen geprägte Mann Seiten in sich entdeckt, die er vorher nicht gekannt hatte.
Mit ihr schrieb er auch das Buch «Es geht um die Liebe». Darin zitieren die beiden das Gedicht «Noch bist du da» von Rose Ausländer, das mit den Worten endet «Sei was du bist, gib was du hast». Für Niklaus Brantschen ist dieser letzte Gedanke das Geheimnis im Altwerden: Sein, was man im Laufe der Jahre geworden ist, und zum eigenen tiefsten Wesen finden. Und weitergeben, was einem in all der Zeit geschenkt wurde – bis mit dem letzten Atemzug auch das Leben zurückgegeben werde. Was nachher kommt? Niklaus Brantschen lacht herzlich und zuckt die Schulter. ❋
Buchtipp: Niklaus Brantschen: «Zwischen den Welten daheim». Brückenbauer zwischen Zen und Christentum. Patmos Verlag, 2018, 172 S., ca. CHF 33.90
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