Benjamin Brunner (65) ist der einzige Wisent-Ranger der Schweiz. Der Biobauer wacht über sieben Ur-Rinder, die im Solothurner Jura ausgewildert werden sollen: ein Projekt, das landesweit Schlagzeilen schrieb.
Text: Roland Grüter
Da stehen sie. Im Schatten der Bäume sind die Tiere kaum auszumachen. Ihr Wuchs ist schmal, die Schulterhöhe bescheiden – doch heben die Wisente den Kopf mit den mächtigen Hörnern, wirkt ihre Urkraft auch über grössere Distanz. Und man ist dankbar dafür, dass zwischen Beobachter und den zotteligen Tieren 50 Meter liegen. Näher sollte man sich ihnen nicht nähern. Sicherheitsdistanz!
Seit einem Jahr leben die Ur-Rinder nun schon oberhalb der Gemeinde Welschenrohr im Solothurner Jura. Ein Bulle, drei Kühe, ein Jungtier, zwei Kälber auf einem halben Quadratkilometer. Einzig ein Zaun trennt sie von der grossen Freiheit. Verläuft alles nach Plan, wird dieser nächstes Jahr umgesteckt und ihr Lebensbereich vergrössert. Und in vier Jahren wird der Hag komplett abgeschraubt. So sieht es das entsprechende Auswilderungsprojekt vor. Es erstreckt sich über zehn Jahre und wird eng wissenschaftlich begleitet. Die Test-Herde soll zeigen, ob und wie sich die Vierbeiner in der Schweiz ansiedeln lassen. Für die Umsetzung wurde 2017 eigens der Verein Wisent Thal gegründet.
Freundschaft auf Distanz
Benjamin Brunner ist Mitglied der ersten Stunde. Der Bio-Bauer beobachtet die Herde mit Stolz. Er besucht seine «sanften Riesen» mehrmals täglich. Der Sender der Leitkuh ist sein Guide. Macht er sich auf den Weg, trägt er immer eine Antenne mit. Damit kann er das Signal orten und die Herde verlässlich finden. Der 65-Jährige arbeitet als Wisent-Ranger. Er kontrolliert, ob die Tiere gesund sind. Schaut, dass der Elektrozaun stets geschlossen ist. Weist tagsüber Wanderinnen und Wanderer zurecht, falls sie den Wisenten zu nahe kommen.
Fünf bis sieben Mal pro Woche führt der Solothurner Interessierte über den Waldweg zu den Urviechern und erzählt aus deren Leben. «Wir haben uns in den letzten zwölf Monaten buchstäblich angenähert», sagt er: «Bin ich allein unterwegs, suchen die Wisente meine Nähe und bieten mir ihre Freundschaft an.» Doch der Ranger wahrt Distanz. Schliesslich sollen seine Schützlinge die Scheu vor den Menschen behalten. Das ist wichtig für ihr späteres Leben ohne Zaun und Grenzen. Ursprünglich lebten die Tiere im Wildnispark Zürich Langenberg bei Zürich.
Es war eine Fügung, die den Landwirt mit den Wisenten zusammenbrachte. Sein Bauernhof Sollmatt grenzt an das bewaldete Gebiet der Bürgergemeinde Solothurn: und entsprach damit perfekt dem Wunsch des Biologen Darius Weber, der das Schweizer Auswilderungsprojekt vor gut 20 Jahren angestossen hatte. Eigentlich sollten die Tiere anderswo hinkommen, alles schien klar. Doch der Plan scheiterte am Widerstand der Bewohner, also ging die Suche von Neuem los – und führte Darius Weber zum Landwirt nahe des Naturparks Thal.
Denn der Landstreifen oberhalb von Welschenrohr bietet alles, was sein Projekt erfordert: ein riesiges und abwechslungsreiches Waldareal, angrenzende Wiesen und keine grösseren Strassen. «Eines Tages erhielt ich einen Anruf, ob ich den Initianten ein Stück Land abtreten mag. Wenige Tage später sassen sie bereits in meiner Stube.» Benjamin Brunner war von den Plänen sogleich begeistert: «Die Idee berauschte mich geradezu, ein Tier in die Gegenwart zurückzutragen, das vor 1000 Jahren ausgerottet wurde. Daran wollte ich teilhaben – obwohl ich anfangs nicht einmal genau wusste, was Wisente sind.» Mittlerweile ist er Experte. Nebst den Wildrindern hortet er im Stall noch immer 32 Zuchtkühe.
Wisente öffneten ihm die Tür zu neuen Welten
Zwischen dem Treffen und dem Einzug der Wisente sollten sieben Jahre verstreichen. Die Zeit nutzte Benjamin Brunner, seine Wissenslücken zu schliessen. Er besuchte Zuchtbetriebe und andere europäische Auswilderungsprojekte. «Wir wollen voneinander profitieren, um gegenseitig aus Erfahrungen und Fehlern zu lernen.» Noch heute steht er fast täglich in Kontakt mit den verschiedenen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die das Programm begleiten. «Die Wisente haben mir die Tür in eine komplett neue Welt geöffnet.»
Wo kühne Pläne geschmiedet werden, hagelt es meist auch Kritik. Manche Landwirte der Region beob- achten das Wisent-Projekt mit Skepsis, befürchten Flurschäden und grössere Ausfälle. Versteht Benjamin Brunner die Sorgen? «Durchaus. Ich hatte ja auch keine Freude, als die Wildschweine meine Äcker umpflügten», sagt er: «Noch aber ist nicht absehbar, wie gross der ökologische Fussabdruck wildlebender Wisente tatsächlich ist – das erforschen wir sehr genau.» Der Zuspruch in der Bevölkerung aber sei gross. «Dass wir in der Natur eine Lücke schliessen und sie schöner und reicher machen, gefällt den allermeisten Menschen. Damit stehe ich nicht allein.»
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