Digitale Augen
In der Schweiz leben rund 325 000 Menschen mit einem grossen Sehdefizit. Den Weg durch die Stadt finden, Dokumente sichten, Fotos anschauen: Was für andere selbstverständlich ist, ist für Betroffene aufwändig und mühsam. Inzwischen erleichtern ihnen Smartphones und andere Techniken den Alltag enorm. Eine Auswahl der digitalen Helfer.
Von Roland Grüter
Voice-Over von Apple: Die Technologie liest sehbehinderten oder blinden Menschen vor, was sie auf dem Display ihres Smartphones antippen. Android-Nutzerinnen und -nutzer kennen diese Funktion als Talkback.
VIP PDF-Reader: Diese Software wurde vor sieben Jahren entwickelt – unter anderem unter Mithilfe des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen SZBLIND. Der «VIP-Reader» filtert Texte aus PDFs und zeigt diese auf einer benutzerfreundlichen Fläche an. Die Texte können beliebig vergrössert und kontrastiert werden – was das Lesen und Arbeiten mit PDF-Dokumenten enorm erleichtert. Inzwischen ist eine aktualisierte Version für Windows-, MAC- und Linux kostenlos verfügbar.
Lern Lormen: Lormen ist ein Kommunikationssystem. Darin werden Buchstaben mittels Strichen und Punkten in die Handfläche getippt, gestrichen und getrommelt. Dazu muss man jedoch wissen, wo genau auf der Handfläche die einzelnen Buchstaben platziert sind. Die App «Lern Lormen» vermittelt entsprechendes Wissen. Sie basiert auf einer Methode, die unter anderem von Selbsthilfevereinigungen für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen entwickelt wurde. Die App ist in erster Linie für Tablets gedacht. Sie kann aber kostenlos auf Smartphones geladen werden.
OrCam Myeye: Die 22 Gramm leichte Kamera, die an einem Brillenbügel befestigt ist, liest der Trägerin oder dem Träger Texte aus Büchern, Zeitschriften oder auch ausgedruckte Texte vor. Dazu gilt es, die Kamera auf den Text zu richten. Die Kamera funktioniert offline und taugt als Vorlesegerät offenbar sehr gut, wie Blinde ihr nach Tests bescheinigen. Schriftzüge an Gebäuden oder auf Schildern erkennt die OrCam Myeye jedoch schlechter. Hier liegt offenbar Entwicklungspotenzial.
Langstock: Selbst der klassische, weisse Stock wird technologisch aufgerüstet. Hightech-Modelle erkennen dank Ultraschall frühzeitig Hindernisse auf Kopfhöhe. Auch für Schuhe wurden technische Warnsysteme entwickelt: Sensoren in Einlegesohlen erkennen Hindernisse und geben der Trägerin, dem Träger Warnsignale, zum Beispiel über das Handy oder den Kopfhörer.
EyeMusic: Diese Technologie macht die Umgebung für Blinde akustisch erlebbar. Dafür filmt eine Kamera-Brille das Umfeld und übersetzt deren Eigenschaften in Töne oder Musik. So sollen Menschen mit Sehbehinderung nicht nur Farben erkennen und unterscheiden, sondern auch die dazu gehörigen Gesichtsausdrücke oder sogar gedruckte Buchstaben deuten können.
Seeing AI: Die iOS-App macht die Smartphone-Kamera zu einem dritten Auge. Die darin integrierte Technologie erzählt Menschen mit eingeschränkter Sehkraft, was vor ihrer iPhone-Linse passiert. Intelligent ist die Software vor allem auch deshalb, weil sie nicht nur Objekte erkennt, sondern auch Personen und Situationen deuten kann. Selbst die Mimik der Gesprächspartnerinnen und -partner erklärt sie (hoffentlich richtig). Die App umfasst zahlreiche andere Funktionen. Der Nachteil: Bislang ist die App nur in englischer Sprache erhältlich.
KNFB Reader: Die Handykamera scannt Briefe, Unterlagen und andere Schriftstücke ein und liest sie Sehbehinderten vor. Die kostenlose App gibt es in verschiedenen Sprachen. Wer auf die Schnelle die Speisekarte im Restaurant lesen will: Der kostenlose Text Detektiv ist für iOS- und Android-Benutzer eine praktische Alternative.
Aipoly und TapTapSee: Diese Apps erkennen Alltagsgegenstände, indem sie diese beispielsweise mit einer Online-Datenbank abgleichen und benennen.
FotoOto: Die Gratis-iOS-App macht Fotos für stark Sehbehinderte oder Blinde erlebbar. Sie analysiert das Motiv einer Aufnahme, beschreibt deren Farben und macht diese mit unterschiedlichen Tönen hörbar. Die melodische Farbvermittlung ist mit der kostenpflichtigen App ColorSay auch im Alltag hilfreich – beispielsweise bei der morgendlichen Kleiderwahl.
BlindSquare: Der kostenpflichtige, digitale Stadtführer lotst Menschen mit GPS und Kompass durch fremde Städte. Er benennt nahe Strassen, Kreuzungen und Geschäfte und manövriert deren Besitzerinnen und Besitzer mit einfachen Ansagen ans Ziel. Eine kostenlose Alternative: ViaOptaNav aus dem Google-Play- und Apple-App-Store.
Be My Eyes: Wer sich trotz digitalem Reisebegleiter in einer Stadt verirrt und nicht weiter weiss: Auf Ortskundige ist immer Verlass. In der kostenlosen App bietet ein Netzwerk ehrenamtliche Helfer an. Stellt ein sehbehinderter oder blinder Nutzer über die Plattform eine Frage, verbindet ihn die App per Videocall mit einem sehenden Freiwilligen. Dieser beschreibt in der Folge seinem Gegenüber, was er sieht. Und leitet diesen aus seiner Not. Die App ist für Android- und iOS-User erhältlich.
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