Bezauberndes Süditalien
Apulien ist mehr als Sonne, Meer und Sandstrand. Apulien ist auch Geschichte, Kultur, Kulinarik und italienische Lebensart. Geniessen Sie auf der Zeitlupe-Leserreise die Schönheiten dieser facettenreichen Provinz am Stiefelabsatz.
Text: Marianne Noser
Lecce, Montagmorgen, kurz nach neun. Die Provinzhauptstadt der Halbinsel Salento, die den Absatz des italienischen Stiefels bildet, ist am Erwachen. Strassenarbeiter wischen im historischen Kern letzte Schnipsel zusammen, da und dort gönnen sich Einheimische auf dem Weg zur Arbeit einen schnellen Espresso. Sonst sind die Gassen menschenleer. Es herrschen angenehme 25 Grad, am Himmel ist keine Wolke auszumachen. Ein idealer Zeitpunkt also, um die schönsten Ecken der Altstadt zu erkunden.
Bekannt ist die Metropole mit ihren knapp 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern vor allem wegen ihrer barocken Gebäude, die aus dem leicht zu bearbeitenden Tuffstein der Umgebung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert errichtet wurden. Der «Barocco leccese» ist eine besondere Spielart architektonischer Kunst, die in ihrer Opulenz auf der Welt einzigartig ist. Herausragendes Beispiel dafür ist die mit einer grossen Rosette und einer immensen Fülle an Tieren, grotesken Figuren und Pflanzenmotiven geschmückte Basilica St. Croce. Beeindruckend auch die reich verzierten Paläste in der Via Libertini und das Barock-Ensemble aus Bischofspalast, Palazzo del Seminario und Dom, das sich um die einladende Piazza del Duomo gruppiert.
Nach all der Pracht ist ein Halt in einer der vielen Bars angesagt. Bei einem Gelato, einem kühlen, mit Amaretto veredelten «Caffè leccese» oder einem Gläschen Primitivo kann man sich gemütlich zurücklehnen und das mittlerweile pulsierende Leben in den Gassen beobachten. Vergessen ist der Alltagsballast, man fühlt sich leicht und beschwingt, würde am liebsten stundenlang so sitzen bleiben. La vita è bella. Wie schön das Leben in solchen Momenten doch sein kann!
Bewegte Geschichte
Lecce, wegen des Reichtums an Kulturdenkmälern auch «Florenz des Südens» genannt, ist nur einer der Höhepunkte der Leserreise. Denn die süditalienische Provinz, deren 800 km lange Küstenlinie im Osten von der Adria und im Süden vom Ionischen Meer umgeben ist, wurde im Lauf der Geschichte mehrmals erobert. Unter anderem von den Griechen, Römern, Byzantinern und den Staufern, die alle Spuren hinterlassen haben. Griechischen Ursprungs ist etwa das Fischerdorf Monopoli, das mit seiner verwinkelten Altstadt und dem Hafen zum Verweilen einlädt. Reste einer römischen Stadtmauer finden sich in Polignano a Mare, einem schmucken Ort auf einer atemberaubend steilen und von Grotten durchlöcherten Felsküste.
Charakteristisch für Apulien sind die weiss gekalkten Trulli im Valle d’Itria. Die grösste Ansammlung dieser Rundhäuser mit den kegelförmigen Dächern befindet sich in Alberobello. Das Dorf gehört wegen seiner 1400 «Zipfelmützenhäuschen» seit 1996 zum Unesco- Weltkulturerbe und lockt jährlich Tausende von Gästen an. Beschaulicher ists mittlerim acht Kilometer entfernten Locorotondo, das sich zu den «Borghi più belli d‘Italia», den schönsten Orten Italiens zählen darf. Der «runde Ort» mit den weissen, blumengeschmückten Häusern liegt auf 410 m Höhe und bietet einen tollen Panoramablick über die hügelig-fruchtbare Landschaft des Itria-Tals.
Lokale Köstlichkeiten
Kulinarisch ist Apulien ebenfalls reich gesegnet. Auf den Tisch kommen nicht nur sonnengereiftes Obst und Gemüse und alles, was die beiden Meere hergeben. Dank des mediterranen Klimas ist dieser Flecken Erde auch die Kornkammer, eine der grössten Weinbauregionen und die grösste Olivenölproduzentin Italiens, wovon die vielen Olivenhaine mit den teils jahrhundertealten Bäumen zeugen. Einige der lokalen Köstlichkeiten – darunter natürlich ein feines Pasta-Gericht – lernt die Gruppe beim Mittagessen in der Masseria del Priori kennen, einem ehemaligen Herrschaftshaus mit Landwirtschaftsbetrieb.
Obwohl Matera nicht in Apulien, sondern in der Basilicata liegt, darf ein Rundgang durch diesen Ort nicht fehlen. Bekannt ist Matera für seine Altstadt, die zu einem erheblichen Teil aus Höhlensiedlungen, den Sassi, besteht. Diese wurden bis in die 1950er-Jahre von Menschen mitsamt ihren Tieren bewohnt und einst als Schandfleck Italiens bezeichnet. Das ist längst Geschichte: Seit 1993 gehören die Sassi zum Unesco-Weltkulturerbe, zudem wurde Matera 2019 zur europäischen Kulturhauptstadt ernannt. Und durch den prominenten Auftritt im letzten James-Bond-Film ist die faszinierende Felsenstadt zusätzlich auf den Reiseradar vieler Italienfans gerückt.
So viel sehen und erleben macht müde. Da sind ein paar Runden im Pool oder im azurblauen Meer, das direkt an die Hotelanlage grenzt, eine Wohltat. Wers romantischer mag, macht es sich am Sandstrand gemütlich und lässt sich vom flirrenden Licht des Südens verzaubern, bis die Sonne nicht mehr zu sehen ist. La vita è bella!