Das Jahr 2021 ist von aussergewöhnlichen Wetterereignissen geprägt. Die Zeitlupe beleuchtet 14 wissenswerte, aber auch unterhaltsame Facetten aus der Meteorologie – von der kleinen Wolkenkunde bis zu historischen Ereignissen.
Text: Fabian Rottmeier
Der leere Hallwilersee
Die Regenmengen, die diesen Sommer vom Himmel fielen, waren enorm – und überfordern unsere Vorstellungskraft. Deshalb folgendes Gedankenspiel: Stellen Sie sich den 8,4 Kilometer langen Hallwilersee als Badewanne vor. Und dass dort jemand den Stöpsel zieht und das gesamte Wasser in den Neuenburgersee abfliesst – in weniger als einer Woche. Unvorstellbar? Nicht so diesen Juli. Die Hochwasserlage liess den Pegel des Lac de Neuchâtel in sieben Tagen um 1,02 Meter auf eine neue Rekordmarke ansteigen. Hydrologin Michèle Oberhänsli vom Bundesamt für Umwelt hat für die Zeitlupe errechnet, dass dabei der grösste Binnensee der Schweiz um 246 840 Millionen Liter zunahm – was dem Trinkwasserverbrauch der Schweizer Bevölkerung für über drei Monate entspricht. Verrückt.
Vor 100 Jahren
Dass früher eine Trockenperiode andere Dimensionen hatte als heute, verdeutlicht das Jahr 1921. «Ein meteorologisch höchst denkwürdiges Jahr», wie es in den Annalen der Schweizerischen Meteorologischen Zentralanstalt heisst. Nach einem rekordwarmen Januar führten die trockenen Monate Februar und März vor 100 Jahren dazu, dass der Strom knapp wurde. Ohne Niederschläge kein Wasserstrom. Es wiederholte sich «die für die Elektrizitätsversorgung unseres Landes beinahe katastrophale Trockenheit des Vorwinters». Die Monate Juli und Oktober 1921 brachen dann zusätzlich weitere Temperaturrekorde.
❱ Weitere Monatsberichte von MeteoSchweiz, die bis ins Jahr 1911 zurückgehen, finden Sie hier: zeitlupe.ch/wetterlinks
Wetter ist nicht Klima
Es gab eine Zeit, da dachten die Leute, der Himmel sei wegen der Luftverschmutzung blau. Heute, in Zeiten des menschgemachten Klimawandels, verwechseln viele das Wetter mit dem Klima, wie der deutsche Meteorologe Sven Plöger konstatiert. Er stellt in seinem Erfolgsbuch «Zieht euch warm an, es wird heiss» klar: Der Begriff Klima beschreibe «die Gesamtheit der Wettererscheinungen an irgendeinem Ort der Erde während einer festgelegten Zeitspanne» – die üblicherweise mindestens 30 Jahre beträgt. «Klima ist schlicht die Statistik des Wetters.» Wetter sei der aktuelle Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sven Plöger erklärt sich die häufige Verwechslung auch damit, dass wir das Wetter mit unseren Sinnen erleben, eine Statistik wie das Klima hingegen nicht. Ein Beispiel: Die Schweiz mag zwar einen regnerischen, hitzearmen Juli erlebt haben, weltweit handelt es sich jedoch um den heissesten Monat seit Messbeginn 1880, wie die US-Klimabehörde NOAA vermeldete. Es war global 0,93 Grad wärmer als im 20. Jahrhundert. Welche Auswirkungen die hierzulande damit verbundene Zunahme von Hitzetagen auf ältere Menschen hat, lesen Sie hier im Interview mit Altersmediziner Michael Jäger.
❱ Link zu Informationen des Bundesamtes für Umwelt rund um den Klimwandel zeitlupe.ch/wetterlinks
Sprachprognosen
Mal sprechen wir vom Hundewetter, mal von den Hundstagen und der Affenhitze. Oder wir wandern auch dann los, wenns «Chatze haglet». Wie der ehemalige SRF-Radio-Redaktor und Mundartspezialist Christian Schmid glaubt, handelt es sich bei Letzterem jedoch um einen Kriegsbegriff, der auf den Geschosshagel der Feuerkatzen zurückgeht. Feuerkatzen waren eine im 18. Jahrhundert verwendete Art von Mörsern, mit denen Steinkugeln verschossen wurden. Auch der Ausdruck «Katzen hageln und Spiesse schneien» ist bekannt. Weder von Katzen noch Frauen ist beim Altweibersommer die Rede, sondern von we(i)benden Spinnen. Die Tautropfen an deren Netzen glitzern im Herbst im Sonnenlicht. Der Begriff «alt» steht für «spät».
Die Wetterfühligkeit
In der Biometeorologie gelten Menschen, die über witterungsbedingte Symptome klagen, als wetterfühlig oder wetterempfindlich. Hans Richner hat das Thema jahrzehntelang untersucht. Der emeritierte Professor des Instituts für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich kam zum Schluss, dass es sich hierbei bloss um einen scheinbaren Zusammenhang handelt: In der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» sagte er: «Nur weil der Verbrauch von Himbeereis und die Häufigkeit von Sonnenbrand an einem heissen Sonnentag steigen, würde niemand behaupten, dass Himbeereisessen Sonnenbrand verursacht.» Etwas diplomatischer drückt sich Andreas Matzarakis aus. Der wissenschaftliche Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdiensts sagte im Magazin «Geo»: Das Wetter sei nicht schuld, dass es einem schlecht gehe. «Das Wetter ist nur der Faktor, der das Glas zum Überlaufen bringt.» Aus vielen Quellen zusammengefasst: Unser Gesundheitszustand, aber auch Faktoren wie Schlaf oder die Gemütslage beeinflussen unser Wohlbefinden stärker als das Wetter.
Schönes Wetter ist auch weiblich
In ungeraden Jahren tragen die Tiefs im deutschsprachigen Raum männliche Namen und die Hochs weibliche. In geraden Jahren ists andersrum. Dass seit 1998 nicht nur Tiefs, sondern auch Hochs weiblich benannt sind, ist der Initiative von Jörg Kachelmann zu verdanken – und der Unterstützung durch die Feministin Alice Schwarzer. Vergeben werden die Namen seit 1954 von der Freien Universität Berlin. Auf deren Website kann man sich mittlerweile eine Namensgebung als Wetterpate oder -patin erkaufen.
Die Anfänge der Meteorologie
Als 1854 ein britischer Abgeordneter im Unterhaus sagte, man werde schon bald am Vortag wissen, wie das Wetter in London werde, brach Gelächter aus. Doch schon wenige Jahre später sorgten Wissenschaftspioniere für erste Sturmwarnungen und Wettervorhersagen. Sie hatten seit Anfang des 19. Jahrhunderts damit begonnen, Wolken und Windstärken zu benennen und einzuordnen oder per Heissluftballon die Kälte zu erforschen. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatten die meisten europäischen Länder ihre eigenen meteorologischen Institute gegründet, auch die Schweiz. Die florierenden Kurorte wussten die Wettermessungen schon früh für ihre Zwecke einzusetzen. Gersau etwa warb damit, landesweit der mildeste Ort der Alpennordseite zu sein.
❱ Buchquellen: Peter Moore, «Das Wetter-Experiment: Von den Pionieren der Meteorologie». Franziska Hupfer, «Das Wetter der Nation», Link zu kostenlosem PDF auf zeitlupe.ch/wetterlinks
«SRF Meteo» – die Nummer 1
772 000 Menschen schalteten sich 2020 im Anschluss zur «Tagesschau» durchschnittlich bei «SRF Meteo» zu. Die Sendung ist damit bei SRF die Nummer 1. Das war nicht immer so. Das öffentliche und mediale Interesse an Wettersendungen erwachte im deutschsprachigen Raum erst in den 1980er-Jahren. Der Effizienzgedanke war auch in der Freizeit immer wichtiger geworden. Seither haben sich die Sendungen stark gewandelt. Bereits seit 19 Jahren sendet das Schweizer Fernsehen vom Dach seines Zürcher Studios. Eine Idee, die gemäss Thomas Bucheli von Filippo Leutenegger und Helmi Hein stammt. Einen schönen SRF-Archivbeitrag zu früheren Meteo-Sendungen finden Sie auf zeitlupe.ch/wetterlinks.
❱ Buchquelle: «Wie wird das Wetter – Eine leicht verständliche Einführung für jedermann» von Jörg Kachelmann und Siegfried Schöpfer.
Vom Embryo zum Eiskorn
Das erste Stadium eines Hagelkorns heisst Hagelembryo. Es entsteht, wenn kleinste Wolkenpartikel, zum Beispiel Pollen, durch Aufwinde in Bereiche einer Gewitterwolke geraten, in denen es unter null Grad kalt ist. Das Embryo wächst stetig, wenn es durch Auf-und Abwinde besonders häufig in der Wolke nach unten und oben gerissen wird. Alleine in den hagelreichen Monaten Juni und Juli 2021 erlitten landwirtschaftliche Kulturen einen Schaden von geschätzten 65 Millionen Franken. Immerhin gibts für die Betriebe seit 1880 ein Entschädigungsmittel: die Schweizerische Hagel-Versicherungs-Gesellschaft. Zu den fünf Regionen, in denen es gemäss MeteoSchweiz am häufigsten hagelt, gehören das Südtessin, das Emmental, das Entlebuch, das Napfgebiet sowie der Jura.
1868: Der Bundesrat greift ein
Im Herbst 1868 starben in der Schweiz bei Überschwemmungen 51 Menschen. Der noch junge Bundesrat sah sich damals nicht wegen einer Pandemie, sondern wegen der Naturkatastrophe gezwungen, einzugreifen. Zum ersten Mal überhaupt. Indem er den Kantonen die Zuständigkeit entzog, legte er den Grundstein für die heute geltenden Katastrophenschutzmassnahmen. Die ebenfalls von der Regierung lancierte Sammelaktion «Einer für alle, alle für einen» brachte drei Tonnen Lebensmittel und 3,4 Millionen Franken ein.
Die Schönwetterwolke
Eine kleine Wolkenkunde, die vielleicht für die nächste Wanderung nützlich sein wird. Lektion 1: Entscheidend ist nicht die Form der Wolke, sondern, was sie tut. Lektion 2: Wenn Wolken nicht in die Höhe wachsen und sich flach ausbreiten, bleiben sie Schönwetterwolken. Lektion 3: Wenn sich die Wolken ständig auflösen, bleibt das Wetter schön, und mit Niederschlägen ist an diesem Tag eher nicht zu rechnen. Lektion 4: Scharfe Ränder = Schönwetterwolken. Aber nur dann, wenn die Ränder scharf bleiben.
❱ Buchquelle: «Wie wird das Wetter – Eine leicht verständliche Einführung für jedermann» von Jörg Kachelmann und Siegfried Schöpfer.
Alles Aberglauben
Was das Wetter anbelangt, sind deutschsprachige Länder führend – beim Aberglauben. Das schreiben Jörg Kachelmann und der Journalist Christoph Drösser in ihrem «Lexikon der Wetter-Irrtümer». So habe der Mond «wirklich keinen Einfluss» aufs Wetter (und auch nicht aufs Holz beim Fällen, wie die Wissenschaft feststellte). Der Hundertjährige Kalender? Unsinn. Bauernregeln? Statistische Tendenzaussagen. Immerhin: Dass das Wetter morgen gleich wird wie heute, stimme zu rund 55 Prozent.
Das waren noch Zeiten …
Nie wirken Wetterereignisse stärker, als wenn man persönlich davon betroffen ist – so wie viele Schweizerinnen und Schweizer diesen Sommer. Aber auch an die Bilder der grossen Schneemassen des vergangenen Winters werden sich viele lange erinnern. Für viele Zeitlupe-Leserinnen und -Leser war die Seegfrörni 1963 ein unvergessliches Ereignis. Auf der Zeitlupe-Website lesen Sie, wie eine Leserin beim Schlittschuhlaufen auf dem Bodensee beinahe eine Tragödie mitansehen musste. Und im sechsten Band unserer Buchreihe «Das waren noch Zeiten …» schildert eine Leserin, wie ihre Hochzeit 1968 in Blatten bei Malters an einem der regenreichsten Tage seit Jahrzehnten stattfand.
Wenn man für seine Ferien die statistisch wärmsten Tage des Jahres erwischen möchte, stehen die Chancen gemäss MeteoSchweiz zwischen dem 25. und 31. Juli gut. Dann ist es etwa in Bern mit durchschnittlichen 24-Stunden-Temperaturen von 18,7 Grad am wärmsten (am kältesten zwischen dem 15. und 26. Januar). Die im langjährigen Mittel (1981 bis 2010) wärmsten Temperaturen der Schweiz erreichten die Wetterstationen von Lugano und Locarno-Monti. Die Schweizer Meister der Sommertage (25 Grad und mehr) stammen aus dem Tessin: Magadino und Cadenazzo kommen auf 65 Sommertage – Bern schafft nicht mal die Hälfte. Spitzenreiter bei den Städten ist Sion mit 55.
Der Zürcher Altersmediziner Michael Jäger erklärt, weshalb unser Körper im Alter mehr Mühe hat, auf das Wetter zu reagieren – und was dagegen hilft. Lesen Sie hier das Interview.
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