Zuwendung und Unterstützung statt Angst und Hilflosigkeit: Der Kurs «Letzte Hilfe» vermittelt Basiswissen zum Thema Lebensende und Tod. Er will Angehörige, Freunde und Nachbarn ermuntern und befähigen, Sterbenden bis zuletzt nahe zu sein.
Auf dem blauen Teppich in der Mitte des Raums seht eine rote Kerze – umgeben von Trockenblumen, Föhrenzapfen und Zweigen. Das helle Flämmchen züngelt in die Höhe. Im Kreis sitzen rund ein Dutzend Frauen und einige Männer, die meisten von ihnen in der zweiten Lebenshälfte. Sie sind im Kirchgemeindehaus Wädenswil ZH zusammengekommen, um am Tageskurs «Letzte Hilfe» teilzunehmen. Pflegefachfrau Eva Niedermann und Pfarrer Matthias Fischer, beide mit Zusatzausbildungen in Palliative Care und Spiritualität, leiten den Kurs. Eva Niedermann ist an der reformierten Landeskirche im Kanton Zürich für den Bereich Alter und Generationen zuständig, Matthias Fischer ist an der Stelle für Palliative Care/Spiritual Care tätig.
Zu Beginn stimmen sie einen Kanon an: «Ausgang und Eingang, Anfang und Ende liegen bei Dir, Herr, füll Du uns die Hände.» Dann stellen sich die Anwesenden kurz vor und sagen, warum sie diesen Kurs besuchen. Fast alle sind dem Tod schon begegnet: Sie haben einen Elternteil verloren, ein wenige Tage altes Baby, ein ungeborenes Kind, einen erwachsenen Sohn. Eindrücklich schildert eine Teilnehmerin den Moment, als ihr Mann in ihren Armen gestorben ist: «Ein Atemzug trennt uns vom Tod – ein einziger Atemzug.» Stille breitet sich aus. Berührt und betroffen hängen alle ihren Gedanken nach. In einigen Augen schimmern Tränen.
Erste Hilfe – Letzte Hilfe
Schliesslich stellt das Leiterteam die einzelnen Schwerpunkte des Kurses vor: In einem ersten Schritt wird man sich dem Thema annähern und den Gedanken zulassen, dass Sterben ein normaler Teil des Lebens ist. Danach stehen Fragen der Vorsorge, der Entscheidungen und klärende Gespräche mit den Angehörigen im Mittelpunkt. Der Kurs gibt aber auch praktische Hinweise: Wie die Not Sterbender gelindert werden kann, was es nach dem Tod zu tun gibt oder wie Abschiednehmen gelingen kann. Am wichtigsten jedoch ist die achtsame Begleitung der Sterbenden: «Lassen wir einander in dieser Zeit nicht allein», sagt Pfarrer Matthias Fischer, und verweist auf Henry Dunant, den Gründer des Roten Kreuzes. «Bleib bei mir», sei die drängendste Bitte der sterbenden Soldaten auf dem Schlachtfeld von Solferino gewesen.
Das Kurskonzept «Letzte Hilfe» wurde vor einigen Jahren in Deutschland entwickelt; der Titel des Kurses ist mit Absicht gewählt: Während fast alle irgendwann in ihrem Leben einen ErsteHilfe-Kurs absolviert haben und doch nie bei einem Notfall Hilfe leisten mussten, können die wenigsten der Begleitung todkranker Angehöriger oder Freunde ausweichen. Umfragen zeigen zudem, dass die meisten Menschen zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung sterben möchten. Der «Letzte-Hilfe-Kurs» soll betroffenen Angehörigen die Angst vor dieser Herausforderung nehmen.
Seit einem Jahr gibt es diese Kurse auch in der Schweiz. Kooperationspartnerin des deutschen Projekts ist die reformierte Landeskirche Kanton Zürich. Von hier aus soll sich das «Kleine Einmaleins der Sterbebegleitung», wie es in der Ausschreibung auch genannt wird, analog zu Erste-Hilfe-Kursen im ganzen Land ausbreiten. Geleitet werden sie von einem ausgebildeten Team; je einer Person aus dem Pflege- und dem Seelsorgebereich. Bereits kommen Teams aus anderen Kantonen zur Schulung nach Zürich. «Es ist der Auftrag der Kirche, Menschen in allen Lebenssituationen zu begleiten – auch gerade am Lebensende», sagt Pfarrer Fischer. Deshalb steht der Kurs allen offen und ist für die Teilnehmenden kostenlos.
Der Kurs entspreche einem grossen Bedürfnis, sagt Ursula Tolle, Sozialdiakonin der reformierten Kirchgemeinde Wädenswil: «Am Freitag wurde er ausgeschrieben, am Montag darauf war er schon ausgebucht.» Sie glaubt, dass das niederschwellige Angebot im geschützten Rahmen des Kirchgemeindehauses es den Interessierten leichter macht, sich diesem schwierigen Thema zu öffnen. Als Gastgeberin serviert sie in der Mittagspause Suppe und Kuchen. Im Gespräch sitzen die Kursteilnehmenden zusammen, tauschen Erfahrungen aus, stellen Fragen, sinnieren und philosophieren. Das liebevoll zubereitete Essen tut Leib und Seele gut.
Geheimnis Sterben
«Vielleicht bleibt als letzte Lebensaufgabe, einsamer zu werden, loszulassen, was uns ausmacht und auf uns selber zu verzichten», zitiert Kursleiterin Eva Niedermann den deutschen Theologen Fulbert Steffensky, Ehemann der verstorbenen Theologin Dorothee Sölle. Dann kommt dieser eine Atemzug, der letzte, der das Leben vom Tod trennt. Eva Niedermann schildert die äusseren Merkmale, die den Tod anzeigen. Sie weiss aus eigener Erfahrung: Das letzte Geheimnis bleibt den Zurückbleibenden verschlossen. Einige Teilnehmende erzählen, was sie im Augenblick von Sterben und Tod erlebt haben: eine grosse Ruhe, Gnade, tiefe Dankbarkeit, als würde die Zeit einen Augenblick stehenbleiben … Dann erklingt Musik von Mendelssohn: «Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen .» Tränen fliessen.
Die Schlussrunde gegen Ende des Nachmittags bestätigt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehen gestärkt und zuversichtlich nach Hause. Viele sind dankbar, dass andere ihre Erfahrungen mit ihnen geteilt haben. Sie nehmen das Gehörte und Erlebte mit in ihren Alltag, in ihre Familie, in ihr Umfeld. Für Eva Niedermann ist damit ein grosses Ziel erreicht: «Sterbebegleitung soll nicht ausschliesslich dem Gesundheitswesen überlassen werden.» Eine sorgende Gemeinschaft – eine «caring community», wie der Fachausdruck heisst – soll Lebensende und Sterben wieder in ihre Mitte nehmen: «Eine sorgende Gemeinschaft zeichnet sich gerade in schwierigen Lebensphasen durch Mitmenschlichkeit und Achtsamkeit aus.»
Weitere Informationen gibt es bei Eva Niedermann, evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Abteilung Kirchenentwicklung, Blaufahnenstrasse 10, Postfach, 8024 Zürich, Telefon 044 258 92 95, eva.niedermann@zh.ref.ch, www.zhref.ch, www.letztehilfe.ch
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